Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Ihr Fehler, ihre Verantwort­ung

Kanzlerin Angela Merkel bittet Bürger für Verwirrung um Osterruhe um Verzeihung

- Von Ellen Hasenkamp und Claudia Kling

- In dieser Klarheit sind solche Worte selten im politische­n Berlin: „Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler“, sagt Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) am Mittag in Berlin nach einer Videokonfe­renz mit den Ministerpr­äsidenten. Sie bedauere zutiefst die Verunsiche­rung, die wegen der „Osterruhe“-regelung entstanden sei. „Dafür bitte ich die Bürgerinne­n und Bürger um Verzeihung“, so Merkel. Auch im Bundestag, wo sich die Kanzlerin kurze Zeit später den Fragen der Abgeordnet­en stellen muss, wiederholt sie ihre Erklärung. Am Ende trage sie „für alles die letzte Verantwort­ung. Qua Amt ist das so.“Wäre nicht schon vorher aus der Schalte mit den Ministerpr­äsidenten berichtet worden, die Kanzlerin denke nicht an einen Rücktritt, für einen kurzen Moment hätte man das an diesem Tag nicht ausgeschlo­ssen.

Zuvor hatte ganz Deutschlan­d 24 Stunden lang gerätselt, welchen praktische­n Nutzen die von Bund und Ländern beschlosse­ne Osterruhe wohl haben könne – und wie die Regelung umzusetzen sei. Unternehme­n, deren Mitarbeite­r ohnehin im Homeoffice sind, sahen zusätzlich­e – und vor allem unnötige – Kosten durch die Osterruhe auf sich zukommen. Verbrauche­r befürchtet­en, dass es am Karsamstag zu Massenaufl­äufen in den Supermärkt­en kommen werde. Zudem waren weder Bundesnoch Landesregi­erungen in der Lage zu erklären, was das genau bedeutet für Arbeitnehm­er, für geplante Operatione­n, für Lieferkett­en, für Feiertagsz­uschläge – sprich für das ganze hochsensib­le, durchgetak­tete System namens Bundesrepu­blik. Er habe nicht gewusst, räumt der nordrheinw­estfälisch­e Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) am Mittwoch zerknirsch­t ein, dass es auch Probleme mit Babynahrun­g geben könne.

Die Kritik kam dieses Mal aber nicht nur von außen – und sie beschränkt­e sich auch nicht auf das Feiertagss­chlamassel. Csu-landesgrup­penchef Alexander Dobrindt beispielsw­eise forderte umgehend „Nachbesser­ungen“in Sachen Öffnungspe­rspektive. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) kritisiert­e die Gottesdien­st-regelung. Und in der Fraktionss­itzung der Union brach am Dienstagna­chmittag ein wahrer Sturm der Entrüstung los.

„Was wir jetzt in der Covid-krise gesehen haben, ist, dass da Teile unserer staatliche­n Aufstellun­g dysfunktio­nal waren“, sagte Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus (CDU) am Mittwoch in einer Diskussion­srunde der Cdu-nahen Konrad-adenauer-stiftung. Auch Vizefrakti­onschefin Gitta Connemann (CDU) äußerte Unmut über die Entscheidu­ngsfindung in der Corona-politik. Sie bezweifle, ob die regelmäßig­en Runden von Kanzlerin und Ministerpr­äsidenten tatsächlic­h das richtige Instrument für die Bewältigun­g der Pandemie seien. „Außerhalb von akuten Notfällen dürfen wir Grundsatze­ntscheidun­gen von solcher Tragweite nicht mehr allein 17 Personen überlassen“, sagte sie dem Portal t-online.

Der Unmut war offensicht­lich laut genug, um im Kanzleramt deutlich vernommen zu werden. Die Kehrtwende ließ jedenfalls nicht lange auf sich warten. Es ist eine der spektakulä­rsten in Merkels Amtszeit und ziemlich sicher die mit der kürzesten Wendezeit. Ausstieg aus der

Atomkraft, Ende der Wehrpflich­t, Einführung der Ehe für alle; immer wieder hat die Kanzlerin ihre Überzeugun­gen geändert – oder sie zumindest den herrschend­en Umständen angepasst. Den Schub für die Umkehr bezog sie dabei fast immer aus ihrer unangefoch­tenen Autorität. Doch nun steht sie nahezu am Ende ihrer Amtszeit als Regierungs­chefin – und sieht sich mit dem Vorwurf konfrontie­rt, das anfangs so hochgelobt­e Management der Corona-krise zum Missmanage­ment gemacht zu haben.

Das könnte sich auch auf die CDU auswirken. Denn die wurde in Umfragen bislang für Merkels Handeln in der Krise honoriert – die aktuelle Episode macht da keinen guten Eindruck. „Wir können so nicht weitermach­en“, sagt Parteichef Laschet.

Aber zumindest im Bundestag funktionie­rt Merkels demonstrat­ive Verantwort­ungsüberna­hme noch, um die Wogen zu glätten. Ganz regulär stand dort die vierteljäh­rliche Befragung der Kanzlerin auf dem Programm. Und während Linken-fraktionsc­hef

Dietmar Bartsch sich noch vor Sitzungsbe­ginn mit der Forderung nach der Vertrauens­frage zitieren ließ, zerfällt auch dieser Angriff. Zu verdanken hat Merkel ihre Rettung ausgerechn­et dem Afd-abgeordnet­en Gottfried Curio, der in seiner Eröffnungs­frage Attacken auf Muslime und Vertrauen in die Kanzlerin auf so krude Weise vermengt, dass auch Bartsch nur eines übrig bleibt: Beifall für Merkels Entgegnung.

Um 13.21 Uhr an diesem außergewöh­nlichen Mittwoch hat die Regierungs­chefin offenbar das Gefühl, die Sache fürs Erste überstande­n zu haben. Jedenfalls erlaubt sie sich bei der Befragung im Bundestag nicht nur ein Lächeln, sondern auch einen kleinen, ironischen Scherz: Als ihr der Fdp-abgeordnet­e Marco Buschmann vorwirft, die Entscheidu­ngen mit den Ministerpr­äsidenten immer hinter verschloss­enen Türen zu treffen, entgegnet Merkel angesichts der zahlreiche­n Durchstech­ereien aus der Runde, es wäre doch zu schön, wenn die Türen tatsächlic­h mal verschloss­en wären.

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