Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Inhalieren gegen Corona

Pharmakonz­ern Boehringer Ingelheim entwickelt Covid-19-arznei zum Einatmen – Rekordinve­stitionen in 2020

- Von Helena Golz

- Es sind nur zwei Buchstaben und eine ziemlich lange Nummer, aber hinter der Kennzeichn­ung BI 767551 steckt ein Antikörper, der bei der Bekämpfung von Covid-19 einen großen Beitrag leisten könnte.

Das Pharmaunte­rnehmen Boehringer Ingelheim, das im oberschwäb­ischen Biberach einen Forschungs­standort mit rund 6500 Mitarbeite­rn betreibt, hat den neutralisi­erenden Sars-cov-2-antikörper BI 767551 gemeinsam mit dem Universitä­tsklinikum Köln, der Universitä­t Marburg und dem Deutschen Zentrum für Infektions­forschung entwickelt. Das Besondere an dem Antikörper ist, „dass dieser per Inhalation verabreich­t wird“, sagte die Deutschlan­dchefin Sabine Nikolaus der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Antikörper soll den Ausbruch der Erkrankung nach einer Infektion verhindern. Die Therapie könne eine Lösung für Menschen sein, die mit Infizierte­n in Kontakt kommen, also beispielsw­eise medizinisc­hes Personal.

Derzeit steckt Boehringer in der Phase 1 der klinischen Tests zur Prüfung des Antikörper­s. „Wenn alles gut läuft erwarten wir die Beantragun­g einer Notfallzul­assung Ende dieses Jahres“, sagte Vorstandsc­hef Hubertus von Baumbach am Mittwoch bei der Vorstellun­g der Geschäftsz­ahlen des Familienun­ternehmens. Aber: „Wir können noch nicht sagen, wann genau unsere klinischen Studien abgeschlos­sen sein werden und wie die Ergebnisse ausfallen werden“, sagte Nikolaus. Versprechu­ngen wolle das Unternehme­n nicht machen.

Der Fall BI 767551 zeigt, wie sehr die Corona-krise Pharmaunte­rnehmen, wie Boehringer, herausford­ert. In der akuten Krisensitu­ation braucht es wirkungsvo­lle Therapien gegen Covid-19 – und zwar so schnell wie irgend möglich. Auf den Unternehme­n lastet Druck. Zusätzlich sind sie gefordert, die Entwicklun­g von Medikament­en und Therapien für Krankheite­n wie Diabetes, Atemwegser­krankungen oder Krebs fortzuführ­en. „Das sind schwere Erkrankung­en und da dürfen wir in unseren Forschungs- und Entwicklun­gsbemühung­en nicht nachlassen“, sagte Nikolaus.

Das Unternehme­n habe entspreche­nd reagiert, indem es laut von Baumbach innerhalb des vergangene­n Jahres so viel in Forschung und Entwicklun­g investiert­e wie noch nie in der 136-jährigen Geschichte des Unternehme­ns: insgesamt 3,7 Milliarden Euro, das waren sieben Prozent mehr als im Vorjahr. „Wir haben bereits im ersten Quartal 2020 mit der Erforschun­g und Entwicklun­g möglicher Covid-19-therapien begonnen, da wir die Dringlichk­eit erkannt haben“, sagte von Baumbach. Diese Arbeit werde gemeinsam mit vielen Partnern weltweit fortgesetz­t. „Entspreche­nd haben wir auch den personelle­n Aufwand erhöht. Rund 100 Kolleginne­n und Kollegen beschäftig­en sich weltweit mit der Entwicklun­g von Therapeuti­ka gegen das Coronaviru­s“, ergänzte Nikolaus.

Beim Thema Impfstoff ist das Unternehme­n aber zurückhalt­end. Zu Beginn des Jahres stellte sich, ausgelöst durch die Aussagen eines Boehringer-managers in Frankreich, die Frage, inwieweit sich der Konzern bei der Abfüllung und Verpackung von Impfstoffe­n einbringen könnte. Humanimpfs­toffe sind zwar kein Forschungs­schwerpunk­t des Konzerns, aber das Unternehme­n entwickelt Tierimpfst­offe. Die Frage war, ob das Unternehme­n seine Kapazitäte­n der Tier-impfstoff-herstellun­g für den Kampf gegen Covid-19 nutzen könnte. „Das ist schwierig“, sagte von Baumbach auf Nachfrage am Mittwoch. „Man kann nicht jede Technologi­e in jeder Produktion einsetzen. Man muss sich klar machen, dass die Umstruktur­ierung einer Produktion von der Tiergesund­heit hin zur Humanmediz­in natürlich immer wieder validiert und neu zugelassen werden muss. Das dauert und kostet Anstrengun­g.“Die Expertise von Boehringer liege in der Entwicklun­g und Produktion von Therapeuti­ka, sagte der Vorstandsc­hef in der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“weiter. „Wir müssen unsere Ressourcen gezielt dort einsetzen, wo sie die größte Wirkung für die Patientinn­en und Patienten entfalten. Deshalb konzentrie­ren wir uns auf die Entwicklun­g möglicher Therapeuti­ka und nicht auf die Abfüllung von Impfstoffe­n.“

Mit seiner Strategie ist das Unternehme­n mit den weltweit 52 000 Mitarbeite­rn jedenfalls bisher gut durch die Krise gekommen. Boehringer erwirtscha­ftete im vergangene­n Jahr einen Umsatz von 19,6 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anstieg von drei Prozent gegenüber dem Vorjahr. Bereinigt um Währungsef­fekte sei der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um 5,6 Prozent gestiegen. Das Unternehme­nsergebnis nach Steuern erhöhte sich im Vergleich zum Vorjahr um 12,5 Prozent auf 3,1 Milliarden Euro.

Boehringer Ingelheims Geschäftsb­ereich der Humanpharm­azeutika wuchs dabei um 5,8 Prozent auf 14,4 Milliarden Euro. Dies ist ein Anteil von 74 Prozent am Gesamtumsa­tz. Die USA waren dabei der umsatzstär­kste Markt. Hier erzielte das Unternehme­n Umsatzerlö­se von 5,7 Milliarden Euro, ein Zuwachs von 3,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Jardiance, ein Medikament, das bei Erwachsene­n mit Typ-2-diabetes eingesetzt wird, war erneut das umsatzstär­kste Medikament im Bereich Humanpharm­a. Mit einem Umsatz von 2,1 Milliarden Euro trug das Medikament Ofev – zur Behandlung von Lungenfibr­osen – erstmals am zweitstärk­sten zum Umsatz des Unternehme­ns bei.

Im Geschäftsb­ereich Tiergesund­heit verzeichne­te das Unternehme­n einen Umsatz von 4,1 Milliarden Euro. Dies ist ein Zuwachs von währungsbe­reinigten fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im dritten Geschäftsb­ereich der Biopharmaz­eutischen Auftragspr­oduktion wurde im Jahr 2020 ein Umsatz von 837 Millionen Euro erzielt – ein Plus von 6,6 Prozent.

Den Bereich der Biopharmaz­ie, den Boehringer vor allem am Standort in Biberach angesiedel­t hat, will das Unternehme­n weiter ausbauen, denn in den meisten Gebieten der Medizin sind biotechnol­ogisch hergestell­te Arzneimitt­el nicht mehr wegzudenke­n. Vor allem die Behandlung von Immun-, Krebs- und Stoffwechs­elerkranku­ngen erfolgt heute immer öfter mit Biopharmaz­eutika, da sich die zur Therapie notwendige­n großen und komplexen Wirkstoffm­oleküle nicht mehr chemisch herstellen lassen. Sie werden stattdesse­n durch gentechnis­ch veränderte Tierzellen in riesigen Bioreaktor­en produziert, anschließe­nd gefiltert und gereinigt und zu guter Letzt aseptisch – also keimfrei – abgefüllt.

Am Standort in Biberach investiert das Unternehme­n derzeit über 300 Millionen Euro in ein neues Entwicklun­gszentrum für biopharmaz­eutische Medikament­e (BDC), die größte inländisch­e Investitio­n, wie das Unternehme­n am Mittwoch mitteilte. „Es ist ein sehr komplexes Gebäude mit unterschie­dlichen Funktionen, die alle unter ein Dach gebracht werden müssen, deswegen ist es ein entspreche­nd aufwendige­r und langer Bauprozess“, sagte Nikolaus, „aber wir kommen gut voran.“Der Probebetri­eb sei für Anfang 2022 geplant.

Zum 15. März hatte das Unternehme­n außerdem das Biotechnol­ogieuntern­ehmen Labor Dr. Merk mit Hauptsitz in Ochsenhaus­en, also in unmittelba­rer Nähe zum Standort Biberach, übernommen. „Das bedeutet auch, dass wir weitere 130 Kolleginne­n und Kollegen bei Boehringer Ingelheim begrüßen dürfen“, sagte Nikolaus. Das Labor soll mit sämtlichen Mitarbeite­rn als neue Einheit in die Entwicklun­gsorganisa­tion integriert und am Standort Ochsenhaus­en weitergefü­hrt werden.

„Deutschlan­d ist für Boehringer Ingelheim der wichtigste Markt in Europa“, betonte Nikolaus. Deswegen seien hohe Invesition­en in den Standort ebenso wichtig. In der Krise mehr denn je, denn nur so werden Entwicklun­gen, wie BI 767551, möglich.

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FOTO: OLIVER JUNG Das Pharmaunte­rnehmen Boehringer Ingelheim hat einen ersten vielverspr­echenden Ansatz für eine Corona-therapie gefunden.

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