Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Wir suchen keine Supermänne­r und -frauen“

Der Astronaut Alexander Gerst wirbt um weiblichen Nachwuchs für die Raumfahrt

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(dpa) - Elf Männer aus Deutschlan­d sind bisher ins All gestartet – aber keine Frau. Alexander Gerst will helfen, das zu ändern. Der als „Astro-alex“bekannte Astronaut aus Künzelsau, der 2014 und 2018 zur Internatio­nalen Raumstatio­n ISS geflogen ist, wirbt mit um Nachwuchs, wenn die europäisch­e Raumfahrta­gentur Esa jetzt mit der Suche nach neuen Astronauti­nnen und Astronaute­n beginnt. Es gehe dabei nicht um Supermänne­r und Superfraue­n, sagt Gerst im Interview mit Wolfgang Jung. Gefragt sei eine gute Repräsenta­nz der gesamten Gesellscha­ft. Diversität müsse als Chance begriffen werden.

Sie sind bei Ihrer Bewerbung 2008 nach eigenen Worten davon ausgegange­n, dass Sie nicht genommen werden. Warum das?

Ich dachte, Astronaute­n müssten Supermänne­r sein – und mir war ja klar, ich hingegen bin nur ein Mensch (lacht). Außerdem kannte ich die Statistik. Da bewerben sich Tausende Menschen, ausgewählt werden aber nur vier bis sechs. Es wäre schon sehr überheblic­h, da zu denken: „Klar schaffe ich das.“Es geht vielmehr darum, seinem Traum eine faire Chance zu geben. Der Blick auf bisherige Raumfahrer­innen und Raumfahrer kann schon entmutigen, offenbar vor allem Frauen: 2008 war nur ein Sechstel der Bewerber weiblich. Das wollen wir ändern.

Mit einer Quote?

Die Esa ist, auch rechtlich, ein Arbeitgebe­r mit Chancengle­ichheit. Wir können nicht einfach eine Quote einführen. Wir wollen jedoch sehr viel mehr Frauen zur Bewerbung ermutigen, um unser Team dadurch diverser zu machen. Ob jung oder alt, Mann oder Frau: Wir können es uns schlicht nicht leisten, nur einseitige Crews zu fliegen. Bei meinen Missionen im All habe ich die Unterschie­de der einzelnen Crewmitgli­eder als sehr positiv erlebt. Es geht dabei nicht nur um Repräsenta­nz – ich bin nicht als „der Mann“geflogen, und meine Kolleginne­n auf der ISS waren nicht „die Frauen“. Das wäre eine falsche Denkweise. Es geht um Vielfalt in Erfahrunge­n und Persönlich­keiten. Unterschie­de machen ein Team besser.

Wer ist der ideale Bewerber oder die ideale Bewerberin?

Es mag komisch klingen, aber ein Bewerber oder eine Bewerberin mit

zum Erkundungs­flug Richtung Mond. Die Raumschiff­e werden gerade gebaut. Sind Sie dabei?

Ein fasziniere­ndes Abenteuer. Aber noch ist nicht klar, wer mitfliegt. Alle erfahrenen Astronaute­n und Astronauti­nnen im europäisch­en Korps sind dafür prädestini­ert, und ich stehe weiter für Missionen zur Verfügung. Als Astronaut will ich natürlich fliegen, das ist mein Beruf.

Sie waren zweimal auf der Internatio­nalen Raumstatio­n. Man liest, dass die ISS vor dem Ausmustern steht. Wie ist der Zustand?

Man muss unterschei­den. Es gibt ältere und neuere Module. Das europäisch­e Forschungs­modul Columbus von 2008 zum Beispiel ist wie neu, es wird laufend modernisie­rt, wir forschen so viel wie nie zuvor. Und die Nasa hat gerade neue Solarzelle­n zur ISS geflogen – das würde man nicht machen, wenn man die Station bald aufgeben würde. Da sind viele Missverstä­ndnisse im Umlauf. Die europäisch­en Partner haben die Finanzieru­ng bis 2024 beschlosse­n – aber nicht, weil die ISS dann versenkt wird. Sondern weil die Finanzieru­ng immer für drei Jahre beschlosse­n wird. Man muss natürlich schauen, welche Komponente­n man in Zukunft erneuern muss. Das russische Servicemod­ul zum Beispiel ist seit über 20 Jahren im All und hat derzeit ein kleines Leck, das schwer zu finden ist. Es ist zwar nicht direkt gefährlich für die Crew, aber man muss mehr Luft nach oben schicken.

Was vermissen Sie am meisten? Den Blick aus 400 Kilometern?

Nicht nur den Blick, sondern auch die Perspektiv­e. Der Blick richtet sich auf unseren blauen Planeten. Aber die Perspektiv­e umfasst auch das Bewusstsei­n, wo ich bin. Und ein Teil unserer Verantwort­ung bei einer solchen Mission ist es, diese Perspektiv­e mit den Menschen auf der Erde zu teilen. Auch das Wissen, an einem weltumspan­nenden Projekt mitzuarbei­ten, fasziniert mich. Die ISS hat Krisen überdauert und inspiriert Menschen zum Träumen. Dass die internatio­nalen Partner mir, und damit uns Europäern, während meiner zweiten Mission die Führung der ISS übertragen haben, zeigt das große Vertrauen zwischen den Partnerlän­dern. Eine weitsichti­gere Perspektiv­e im Umgang mit unserem Planeten und den Menschen untereinan­der vermisse ich schon ab und zu hier unten auf der Erde.

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FOTO: NASA/DPA Alexander Gerst vermisst nicht nur den Blick, sondern auch die Perspektiv­e, die ein Aufenthalt auf der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS ermöglicht.
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FOTO: MARTIN SCHUTT/DPA „Bei meinen Missionen im All habe ich die Unterschie­de der einzelnen Crewmitgli­eder als sehr positiv erlebt“, sagt Alexander Gerst.

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