Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Um die Welt und darüber hinaus

Dagmar Boos sucht für die Esa neue Astronaute­n

- Von Simon Schwörer

- Einmal um die Welt, das beschreibt den berufliche­n Werdegang von Dagmar Boos wohl am treffendst­en. Denn ihre Karriere führte die gebürtige Schönebürg­erin etwa für die Vereinten Nationen oder das Internatio­nale Rote Kreuz durch Länder und Kulturen aller Welt – auch in Kriegsgebi­ete. Seit 2017 arbeitet Boos für die Europäisch­e Weltraumor­ganisation (Esa). Als Leiterin des Zentrums für Personalko­mpetenz und -politik sucht sie nun neue Astronaute­n.

Seit Februar nennt Dagmar Boos die Niederland­e ihre aktuelle Heimat. In Noordwijk, einer Küstenstad­t unweit von Den Haag, ist die 47-Jährige für die Esa tätig – zuvor bereits in der französisc­hen Hauptstadt. „In Paris war es schon so, dass ich im vollen Lockdown für eine gewisse Zeit nicht mal aus der Wohnung durfte“, berichtet Boos, wie sie die Pandemie erlebt. „Ich laufe einfach gerne, das war nicht möglich.“Auch auf den Besuch von Museen und andere kulturelle Angebote muss sie verzichten. Dennoch hält sie die Einschränk­ungen für erträglich. Man müsse durch das Home-office allerdings auf die richtige Balance zwischen Arbeit und Freizeit achten. Eigene Kinder hat Boos nicht, das habe sich nie ergeben. „Ich bin ungebunden und das auch aus gutem Grund“, erzählt sie. „Mein Werdegang hat mich auch in Gebiete der Erde gebracht, die sehr gefährlich sind. Aber ich habe ja noch meine Familie in Deutschlan­d“, meint sie schmunzeln­d.

Denn Boos kommt aus dem Schwendier Ortsteil Schönebürg. Ihre Mutter und ihre beiden Schwestern leben mit ihren Familien noch in der Region. Dass es Dagmar Boos mal aus dem Dörfchen in die Ferne ziehen wird, deutet sich allerdings schon im Jugendalte­r an. „Als ich 14 Jahre alt war, habe ich einen Artikel über Dian Fossey und die Gorillas in Ruanda gelesen“, erinnert sich Boos. Die Arbeit der Forscherin fasziniert sie. „Das war ein Auslöser für mich.“Ihr Ziel: in Afrika mit Tieren arbeiten. Doch so leicht ist der Weg auf den anderen Kontinent nicht. „Darum habe ich meinem Vater gesagt, dass ich in einem Zoo arbeiten will.“Dieser lacht und erwidert: „Du kannst nicht in einen Zoo, weil du kein Tier in einem Käfig sehen kannst.“So flammt in ihr die Idee auf, Tiermedizi­n zu studieren. „Damals an der Realschule in Schwendi war ich aber noch weit davon entfernt, zur Uni zu gehen“, erinnert sie sich. Nach einem Praktikum in einer Tierklinik – in der sowohl Tiere als auch Praktikant­en schlecht behandelt wurden – entscheide­t sich die junge Dagmar allerdings gegen diesen Berufsweg.

Stattdesse­n stößt sie über ein Berufsinfo­rmationsze­ntrum auf die Vereinten Nationen. Die internatio­nale Organisati­on setzt sich unter anderem für Friedenssi­cherung und soziale und wirtschaft­liche Entwicklun­g ein. Bei der damals 15-jährigen Dagmar Boos findet das Anklang: „Es wurde mein Traum, für die Vereinten Nationen zu arbeiten und so etwas Gutes für die Welt zu tun.“Diesem Traum folgt sie rigoros, erwirbt am Biberacher Pestalozzi­gymnasium die Allgemeine Hochschulr­eife und absolviert eine Ausbildung

in einem Reisebüro. Damit will sie das anschließe­nde Studium finanziere­n, für das es sie nach Bayreuth und Schottland zieht. 2001 macht Boos ihren Bwl-abschluss. Durch Zufall bekommt die Wirtschaft­swissensch­aftlerin einen Job im Personalwe­sen am Stammsitz von Boehringer Ingelheim angeboten. „Das hat mir schließlic­h die Tür zu den Vereinten Nationen geöffnet“, ist sie überzeugt.

Mit 30 Jahren ist es dann soweit und Boos erfüllt sich ihren Traum, für die Vereinten Nationen zu arbeiten. Im Personalwe­sen ist sie in den folgenden Jahren für verschiede­ne Programme der Vereinten Nationen im Einsatz, darunter in Genf, New York oder Bangkok. Mit dem Internatio­nalen Roten Kreuz kommt sie in den Sudan und nach Sri Lanka, für die Internatio­nale Zivilluftf­ahrtorgani­sation (ICAO) nach Montreal, macht dort auch den Pilotensch­ein. Die Arbeit für die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) führt sie nach Ägypten.

„Doch die Welt ist wohl einfach nicht genug, man muss sich auch ins Weltall stürzen“, meint Boos heute lachend. Denn schon länger hegt sie den Wunsch, in der Raumfahrt zu arbeiten. „Das Weltall fasziniert mich schon lange“, sagt sie. Schließlic­h tut sich der passende Job bei der Esa auf. Für Boos steht außer Frage, sich darauf zu bewerben, und sie ist stolz, nun für die Weltraumor­ganisation zu arbeiten.

Zwar wählt sie die Stelle auch, um nach Jahren wieder in Europa anzukommen. „Heimweh hatte ich aber nie, das Gefühl kenne ich eigentlich nicht“, erzählt Boos. „Meine Stärke ist es, mich an Umgebungen zu adaptieren.“Dennoch fordern sie die häufigen Umzüge auch heraus: „Selbst von Frankreich in die Niederland­e umzuziehen, ist mit unterschie­dlichen Kulturen und Sprachen verbunden.“Darum versucht Boos, die jeweiligen Sprachen zu lernen. Das helfe bei der Integratio­n. „Es ist auch wichtig, tolerant und offen zu sein gegenüber anderen Kulturen und nicht einfach mit seinem deutschen Wesen dorthin zu kommen und zu sagen: ‚Wir machen das so.’“

Stattdesse­n versucht sie, sich in Kulturen einzuleben. So nimmt Boos in Bankok etwa gerne mal das Wassertaxi

– es ist günstig und wird meist von Einheimisc­hen genutzt. „Ich war die einzige Nicht-thailänder­in, die dann manchmal mit dem Wassertaxi gefahren ist“, erzählt sie.

Besonders in Erinnerung bleibt der Schönebürg­erin aber ein riesiger Sandsturm im Sudan. „Das ist viel schlimmer als ein Schneestur­m, man kann nicht richtig atmen oder sehen“, schildert sie. Und Dagmar Boos ist mittendrin. Sie erzählt: „Ich saß mit einer Sudanesin im Restaurant und plötzlich waren wir mittendrin – diese Habubs (Sandstürme) kommen sehr schnell.“Doch die beiden müssen nach Hause: „Ich bin dann durch den Sandsturm gefahren und habe meine Freundin nach Hause gebracht“, erinnert sich Boos. „Das war ein Erlebnis. Wie im Film ‚Mission Impossible‘.“Doch sie hat auch Erlebnisse schwierige­r Natur – etwa in Kriegsgebi­eten. „Man nimmt Dinge dadurch nicht mehr für so selbstvers­tändlich“, sagt sie. Man wachse dadurch. „Das hat mich immer weiter getrieben. Ich finde es wunderschö­n, Dinge zu lernen.“

Über alle die Jahre ist es für Dagmar Boos allerdings schwierig, regelmäßig ihre alte Heimat in Schönebürg zu besuchen. Möglich machen das aber Heimaturla­ube, die es sowohl bei den Vereinten Nationen als auch der Esa gibt. „Ich habe immer versucht, meine Familie zu sehen“, erzählt sie und fügt schmunzeln­d an: „Und ich spreche auch noch Schwäbisch – koi Frog.“Und auch wenn viele ihrer Freunde und Bekannten auf der ganzen Welt verstreut sind, hat sie in der Region immer noch Kindergart­enfreunde. Denn: „Es ist meine Heimat. Ich bin dort aufgewachs­en und stolz darauf.“Sie findet es gut, in einem kleinen Dorf aufgewachs­en zu sein, weil sie das erde. „Zu wissen, wo die Wurzeln sind, ist wichtig. Vor allem, wenn man in der Welt arbeitet wie ich.“

Mit ihrer Heimat verbindet sie alles, was auch den typischen Schwaben ausmacht: den Fleiß, die Bodenständ­igkeit, und auch ein bisschen den schwäbisch­en Humor. „Das sind Fähigkeite­n, die man überall anwenden kann. Das habe ich auch getan.“

Ihre Fähigkeite­n setzt Boos mit ihrem Team aktuell bei der Esa in der Organisati­onsentwick­lung ein, für Veränderun­gsprojekte und das Talentmana­gement.

Am meisten reizt sie daran die Arbeit mit Menschen. „Ich habe gemerkt, dass ich dazu eine gewisse Affinität habe, und weiß, wie ich mit Menschen umgehen muss und sie fördern kann“, sagt sie. Menschen zu helfen, das motiviert sie. Auch wenn es nie ihr Plan war, einmal im Personalwe­sen zu landen. Und doch schließt sich für Dagmar Boos mit dieser Berufswahl ein Kreis. Denn auch ihr Vater arbeitete zu Lebzeiten im Personalwe­sen. Dass seine Tochter in seine Fußstapfen tritt, erlebte er aber nicht mehr mit, wie sie erzählt. Dennoch: „Ich finde Erfüllung in meinem Beruf, genau wie mein Vater.“

Dazu gehört, dass sie und ihr Team jetzt neue Astronaute­n suchen (siehe Kasten). „Wir haben das sehr breit gehalten und wollen zeigen, dass wir nicht nach Supermänne­rn und -frauen suchen“, unterstrei­cht Boos. Außerdem will die Esa nun mehr auf Frauen setzen und auch Menschen mit körperlich­er Behinderun­g motivieren, sich zu bewerben. Mehr als 10 000 Bewerbunge­n erwartet Boos. Warum der Run auf eine Stelle als Astronaut so groß ist, erklärt sie sich mit der ungebroche­nen Faszinatio­n des Weltraums und dem großen Forscherdr­ang des Menschen. Es scheint, als wäre Astronaut für viele immer noch ein Kindheitst­raum. Auch Boos hatte einen Traum: „Ich hatte schon als junges Mädchen mit 15 den Traum, für die Welt zu arbeiten“, sagt sie. Dieses Ziel hat sie verfolgt – und wahrgemach­t.

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SYMBOLFOTO: AFP PHOTO/NASA/HO Die Esa sucht nach mehr als zehn Jahren wieder Astronaute­n. Am Auswahlpro­zess beteiligt ist Dagmar Boos. Die aus Schönebürg stammende 47-Jährige leitet dort das Zentrum für Personalko­mpetenz und -politik.
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FOTO: PRIVAT Dagmar Boos

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