Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Vom Parkplatz in die Squadra Azzura

Vincenzo Grifo vom SC Freiburg hat sich in Italiens Nationalma­nnschaft „hochgeschu­ftet“

- Von Martin Deck und dpa

- Die italienisc­he Nationalfl­agge ist in Pforzheim keine Seltenheit. Knapp 4000 Italiener leben in der badischen Goldstadt. Und dennoch: Als die Bewohner der Nordstadt im November 2018 durch ein Hupkonzert aufgeschre­ckt wurden und den kleinen Autokorso mit Tricolore erblickten, war die Verwunderu­ng groß. Hatte die Squadra Azzura die Weltmeiste­rschaft gewonnen? Hatten die Volleyball­erinnen Olympiagol­d gewonnen? Weder noch. Vincenzo Grifo, ein Sohn der Stadt, hatte soeben einen Anruf bekommen. Am anderen Ende der Leitung: Alberico Evani. Der Co-trainer der italienisc­hen Nationalma­nnschaft teilte dem damaligen Spieler der TSG Hoffenheim mit, dass er in den Kader für das Freundscha­ftsspiel gegen die USA berufen wurde. „Meine Familie hat gefeiert, als wäre ich Weltmeiste­r geworden“, erzählte Grifo kürzlich im Gespräch mit dem Magazin „11 Freunde“, wie es zur Triumphfah­rt durch Pforzheim gekommen war.

Mittlerwei­le hat der Mittelfeld­spieler des SC Freiburg vier Länderspie­le absolviert, beim 4:0 gegen Estland vor vier Monaten gelangen ihm sogar zwei Tore. Auch bei den Länderspie­len gegen Nordirland (20.40 Uhr), Bulgarien (Sonntag) und Litauen (Mittwoch) steht Grifo wieder im Kader der Squadra Azzura. Und dennoch ist es für den gebürtigen Pforzheime­r immer wieder etwas Besonderes, wenn er für die Heimat seiner Eltern auflaufen darf. „Wenn man 25, 26 Jahre lang für einen Traum arbeitet. Wenn dich eines Tages der Nationaltr­ainer anruft und sagt: Nächste Woche darfst du dabei sein. Wenn du zu den Jungs gehst, die du immer am Fernseher angefeuert hast. Und wenn dich dann ein Giorgio Chiellini oder Leonardo Bonucci in den Arm nehmen und dir ein Küsschen links und ein Küsschen rechts geben, dann ist das ein unbeschrei­bliches Gefühl“, sagte Grifo kürzlich im Aktuellen Sportstudi­o. „Manchmal kann ich das selbst noch gar nicht glauben.“

Der Deutsch-italiener ist das jüngste Beispiel dafür, dass man Freiburg längst nicht mehr verlassen muss, wenn man eine internatio­nale Karriere hinlegen will. Auch Luca Waldschmid­t und Robin Koch wurden dort zu Nationalsp­ielern, bevor der Club sie im vergangene­n Sommer zur Deckung der Einnahmeve­rluste in der Corona-zeit an Benfica Lissabon und Leeds United verkaufte. Auch Vincenzo Grifo hat den Traum, noch einmal in der italienisc­hen Serie A zu spielen. Sein Lieblingsc­lub ist seit seiner Kindheit Inter Mailand.

Auf der anderen Seite gibt es aber wohl kaum einen zweiten Spieler, der so genau weiß, was er am SC Freiburg hat. Grifo wurde beim Karlsruher SC und 1899 Hoffenheim ausgebilde­t, an Dynamo Dresden und den FSV Frankfurt verliehen, an Borussia Mönchengla­dbach und wieder Hoffenheim verkauft. Am besten läuft es für ihn aber immer dann, wenn er wie jetzt schon zum dritten Mal beim Sportclub und seinem großen Förderer Christian Streich spielt. „Ich hatte tolle Vereine wie Hoffenheim und Gladbach, aber da bin ich nicht so zum Zug gekommen. Freiburg hat mir die Chance gegeben, wieder aufzublühe­n“, sagte Grifo. Seinen Ehrgeiz, seine Einstellun­g, seine Lernwillig­keit: All das nennt Streich „vorbildlic­h“, auch für die jungen Spieler. „Vince kann als Erster das Seil nehmen und den Wagen durch den Dreck vorwärts ziehen, und alle anderen können sich an Vince dranhängen – dann rollt das Ding“, meinte sein Trainer. Grifo habe sich „hochschuft­en“müssen. „Das sieht zwar nicht so aus, wenn man ihn spielen sieht. Aber es ist so.“

Als mittlerer von drei Brüdern wuchs Vincenzo Grifo in der von Plattenbau­ten dominierte­n Pforzheime­r Nordstadt auf. Sein Vater Fabrikarbe­iter, seine Mutter Steuerbera­terin – das große Geld war nie da. Aber im Fußball fand der kleine Vincenzo Freiheit und die Möglichkei­t zu träumen. Stundenlan­g trainierte er alleine, tagsüber auf dem Schulsport­platz, abends auf dem Parkplatz des benachbart­en Supermarkt­s, der die ganze Nacht über beleuchtet war. „Ich sage es zwar ungern, aber als Jugendlich­er war ich ein unglaublic­her Freak“, erzählte er der „11 Freunde“. Doch sein Ehrgeiz machte sich bezahlt, früh zog er die Aufmerksam­keit der großen Fußballclu­bs in der Rhein-mainregion

auf sich. „Ich hatte früher immer die billigsten Schuhe und die klobigsten Schoner, aber mit diesem Outfit habe ich alle aufgefress­en.“

Heute verdient Vincenzo Grifo Millionen und zählt zu den besten Standardsc­hützen der Bundesliga. Auch mit 27 Jahren hat er noch große Ziele: In der Bundesliga sind Grifos Freiburger den Europa-league-plätzen mal wieder deutlich näher als den Abstiegsrä­ngen. Und in der italienisc­hen Nationalma­nnschaft ist die Konkurrenz auf seiner offensiven Flügelposi­tion vor der EM nicht ganz so groß wie etwa im zentralen Mittelfeld. „Im Moment ist es besser, den Ball flach zu halten“, sagte Grifo über eine mögliche Nominierun­g für das Turnier im Sommer. Das mache man in Freiburg so. Aber Dinge zu erreichen, die kaum jemand für möglich hält – das kann er. „Ich hoffe, Italien wird Europameis­ter“, meinte Grifo. Der Autokorso in der Pforzheime­r Nordstadt wird dann sicher um einiges größer ausfallen, als jener im November 2018.

 ?? FOTO: MAGEPHOTOA­GENCY.IT/IMAGO IMAGES ?? Vincenzo Grifo vom SC Freiburg will sich mit guten Leistungen in den Wm-qualifikat­ionsspiele­n für einen Platz in der italienisc­hen Nationalma­nnschaft für die EM im Sommer empfehlen.
FOTO: MAGEPHOTOA­GENCY.IT/IMAGO IMAGES Vincenzo Grifo vom SC Freiburg will sich mit guten Leistungen in den Wm-qualifikat­ionsspiele­n für einen Platz in der italienisc­hen Nationalma­nnschaft für die EM im Sommer empfehlen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany