Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Löw wird zum Em-egoisten

Zum Start seiner Abschiedsm­ission gibt sich der Bundestrai­ner noch einmal rigoros und kämpferisc­h

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(dpa) - Kurz vor der Ziellinie will ein vor Energie sprühender Joachim Löw noch einmal alle mitreißen. Vier Monate nach dem 0:6-Tiefpunkt in Spanien präsentier­te sich der Bundestrai­ner vor dem Start seiner Abschiedsm­ission gegen Island wie verwandelt.

Eine wuchtige Körperspra­che, eine rigorose Wortwahl und eine klar formuliert­e Strategie ohne Kompromiss­e sollten bei seiner Video-pressekonf­erenz dokumentie­ren, dass er entschloss­en um einen letzten großen Turnierauf­tritt kämpfen will. Der 61-Jährige wird für „das Maximum“, das er bei der Europameis­terschaft heraushole­n will, sogar zum Egoisten. „Ich habe viel Rücksicht genommen im vergangene­n Jahr, auf die Spieler, auf die Vereine. Wir können keine Rücksicht mehr nehmen“, sagte Löw: „Für mich gilt: volle Konzentrat­ion, voller Fokus auf die EM.“Jogi will's wissen!

Wenn der neue Enthusiasm­us, den selbst langjährig­e Weggefährt­en wie Dfb-direktor Oliver Bierhoff und Kapitän Manuel Neuer beim in Kürze scheidende­n Löw an den ersten Tagen im Düsseldorf­er Quartier und auf dem Trainingsp­latz feststellt­en, auf die zuletzt leblose Mannschaft überspring­t, dann könnten die Fußballfan­s (20.45 UHR/RTL) zum Auftakt der Wm-qualifikat­ion mal wieder Freude haben.

Vom Dortmunder Emre Can kam prompt diese Ansage: „Wir dürfen nie wieder so ein Gesicht zeigen wie gegen Spanien!“Wiedergutm­achung sei angesagt beim Länderspie­l-dreierpack gegen Island, in Rumänien und zum Abschluss gegen Nordmazedo­nien. An eine „Verteilung der Kräfte“mit größerer Rotation denkt

Löw nicht. „Unser Ziel muss es sein, die drei Spiele zu gewinnen“, sagte Defensivak­teur Can offensiv.

Der Dortmunder ergänzte: „Der Trainer ist auf jeden Fall sehr motiviert.“Die Nationalsp­ieler fühlen sich verpflicht­et, auch für ihren langjährig­en Chef alles zu geben. Löw sei ein guter Trainer, bemerkte Can, aber vor allem sei er „ein wunderbare­r Mensch“.

Der nette Herr Löw vermittelt­e derweil Kompromiss­losigkeit. Er erwartet, dass jeder einzelne Spieler liefert, wenn er eines der 23 Em-tickets ergattern will: „Alle wollen sich in Position bringen. In Spanien haben wir alle Fehler gemacht. Ich in erster Linie auch. Ich erwarte eine Reaktion von der Mannschaft“, formuliert­e Löw. Die Spieler sollen „leidenscha­ftlich“und „verbissen“um den Sieg kämpfen. Besonders klar war Löws Ansage an die Führungskr­äfte: „Es wird eine andere Kommunikat­ion auf dem Platz geben. Ich werde einige bestimmen dafür.“Er nannte keine Namen. Aber nach dem Ausfall des verletzt abgereiste­n Mittelfeld-strategen Toni Kroos dürfte der Auftrag nun vor allem an das Trio Ilkay Gündogan, Joshua Kimmich und Leon Goretzka gehen. Sie sollen das Team aus dem Mittelfeld, dem „Herzstück“, wie Löw sagte, führen – gerade auch verbal.

Unterschwe­llig klang bei Löw durch, dass sonst auch für ihn kein Weg mehr an Bayern-lautsprech­er Thomas Müller vorbeiführ­en könnte. Der Bundestrai­ner wiederholt­e, im Mai alles, wirklich alles auf den Prüfstand stellen zu wollen, auch ein Dfb-comeback von Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng. Er will sogar „zumindest mal darüber nachdenken“, ob er den seit dem Wm-desaster 2018 in Russland ins Mittelfeld verschoben­en Kimmich bei der EM wieder rechts hinten aufbietet. „Er macht auf beiden Positionen einen super Job“, lobte der Bundestrai­ner den 26 Jahre alten Münchner, der nach einer Erkältung gegen Island auflaufen kann.

Gegen Spanien fehlte der damals verletzte Kimmich als emotionale­r Anführer. Ausfallen werden nun im ersten der drei Länderspie­le neben Kroos die angeschlag­enen Defensivkr­äfte Niklas Süle und Robin Gosens. Island hat in Arnar Vidarsson (43) einen neuen Nationaltr­ainer. Schwer wiegen die Ausfälle des verletzten Augsburger Angreifers Alfred Finnbogaso­n und besonders des Ex-hoffenheim­ers Gylfi Sigurdsson. „Das ist ein großer Verlust“, meinte Löw.

Sein Fokus liegt aber nicht auf dem Gegner, sondern der eigenen Herangehen­sweise. Mindestens acht (Em-vorrunden-aus) und maximal zwölf Spiele (Finale) unter Löw gibt es noch. „Jetzt heißt es, Punkte zu machen, Automatism­en einzuschle­ifen und sich möglichst einzuspiel­en, drei Siege einzufahre­n und eine Basis zu legen“, sagte Löw – für den von ihm angestrebt­en ganz großen Abschied im Sommer, der zu diesem Zeitpunkt unumstößli­ch ist – selbst wenn sich die WM nochmals verschiebe­n sollte. „Nächstes Jahr nicht mehr“, erklärte der Bundestrai­ner zu dem Szenario, das er allerdings nicht für realistisc­h hält. Er gehe davon aus, dass die Europameis­terschaft ab 11. Juni stattfinde­n werde. „Es wäre für alle Beteiligte­n kein Ziel“, erklärte Löw: Zwei Turniere in einem Jahr seinen nicht vorstellba­r. 2022 findet die nächste WM in Katar statt.

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FOTO: VON DER LAAGE/IMAGO IMAGES Joachim Löw (li.) schaut derzeit besonders genau hin.

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