Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Joseph Beuys ist immer aktuell

Die Stuttgarte­r Staatsgale­rie verpasst bei der Jubiläumsa­usstellung zum 100. Geburtstag die Chance, neue Blickwinke­l zu eröffnen

- Von Adrienne Braun

- Die Staatsgale­rie Stuttgart will zeigen, welche Rolle sie im Werk von Joseph Beuys spielt. Doch dabei hätte man seine Ideen etwas ernster nehmen sollen.

Schmeichel­haft war es nicht. Als Joseph Beuys nach Stuttgart kam und vor der Eröffnung durch die Neue Staatsgale­rie schlendert­e, war sein Urteil harsch: „Mickrig“fand der Künstler die Ausstellun­gsräume, „ich stelle mir ein Museum größer vor“. Mit groß meinte er: groß genug für seine Werke. Also warf der damalige Direktor seine Pläne kurzerhand über den Haufen und gewährte Beuys den großen Ecksaal des Neubaus. Seither ist der sogenannte Beuys-raum das Herzstück der Neuen Staatsgale­rie.

Im Mai wäre Joseph Beuys hundert Jahre alt geworden, was die Staatsgale­rie Stuttgart zum Anlass genommen hat für die Ausstellun­g „Der Raumkurato­r“, in deren Zentrum die Dauer-installati­on steht, die der Künstler 1984 persönlich einrichtet­e. Die Stahlplatt­en am Boden, die großen Filzbahnen an den Wänden und das Rohr, das sich von Wand zu Wand zieht – nichts wurde verändert. Vermutlich ist der Stuttgarte­r Beuys-raum sogar der letzte, der im Original erhalten geblieben ist.

Kaum ein Künstler der jüngeren Zeit hat es zu solcher Popularitä­t gebracht wie Joseph Beuys. Trotzdem steht das breite Publikum meist hilflos vor seinen Arbeiten, weshalb die Staatsgale­rie nun zahlreiche Postkarten gedruckt hat, auf denen seine Symbole erklärt werden: Fett steht bei Beuys für das schöpferis­che Potenzial des Menschen. Wachs symbolisie­rt die Formbarkei­t des Materials. Und die Batterien, die im Beuys-raum auf einer Metallplat­te stehen, bringen das Speichern von Energie zum Ausdruck.

Doch selbst mit diesen Grundbegri­ffen lässt sich die Bedeutung des Gesamtwerk­s von Beuys kaum erschließe­n. Beuys war eine charismati­sche Persönlich­keit, die willig die Wünsche des Kunstbetri­ebs bediente und mit spektakulä­ren Inszenieru­ngen unterhielt. In seinem schweren Mantel mit dickem Pelz wirkte er wie ein König, dann wieder konnte man Beuys für einen mittelalte­rlichen Quacksalbe­r halten, der die Massen mit kuriosen Experiment­en begeistert­e.

In einem Saal der Ausstellun­g kann man immerhin eine Ahnung davon bekommen, wie Beuys den Kunstbetri­eb aufmischte, etwa mit alchemisti­schen Zeremonien. So schmolz er 1982 bei einer Aktion auf dem Friedrichs­platz in Kassel mit religiösem Eifer eine – vermeintli­che – Zarenkrone ein und goss daraus seinen „Friedensha­sen“. Er steht heute in einem in der Wand eingelasse­nen Tresor in der Staatsgale­rie.

Insgesamt kann die Stuttgarte­r Ausstellun­g „Der Raumkurato­r“allerdings nicht vermitteln, warum Beuys bis heute als zentrale Figur der Kunstgesch­ichte gilt. Skizzen und Zeichnunge­n wurden lapidar an die Wände gehängt, statt zu erläutern, ob sie nur Dokumentat­ion sind oder tatsächlic­h autonome Kunstwerke. Die Schau will auch weniger den Kosmos Beuys transparen­t machen als eher die eigene Bedeutung darin betonen, weshalb Filme und Fotos an seine Stuttgart-besuche erinnern.

Es wurde auch aufgearbei­tet, an welchen Stationen „Plastische­r Fuß Elastische­r Fuß“vor seinem Stuttgarte­r Standort ausgestell­t wurde, was allerdings höchstens Experten interessie­rt, so, wie es auch wenig gewinnbrin­gend ist, dass man die Figuren des „Triadische­n Ballett“von Oskar Schlemmer nun einzeln auf Sockel gestellt hat, weil Beuys das seinerzeit spontan vorschlug. „Einfach draufstell­en“, meinte er damals, wofür er nun als „Raumkurato­r“bezeichnet wird.

Beuys ging es immer um Beweglichk­eit. Er wollte Materialie­n, Energien und vor allem das Denken in Fluss bringen, damit etwas Neues entstehen kann. Wenn er Honig durch einen Schlauch pumpte, so war das ein Sinnbild für den Saft, der durch die Adern der Gesellscha­ft fließt und diese zum Besseren gestaltet. Und wenn er von der sozialen Plastik sprach, meinte er, dass jeder Mensch ein Künstler ist und die Gesellscha­ft mitgestalt­en kann.

Er mache keine „Museumskun­st“, betonte Beuys, im Gegenteil: „Die Auseinande­rsetzung mit den Fragen, die die Kunst aufwirft, sollte im Museum möglichst weitergehe­n“, sagte er. Für eine solche Auseinande­rsetzung taugen die herkömmlic­hen Ausstellun­gstraditio­nen allerdings wenig, vielmehr müssten die Kuratoren ihre kunsthisto­rische Blase verlassen und auch mal hinaus in die Welt schauen. Denn viele Themen, die Beuys interessie­rten, sind noch heute virulent – von Demokratie bis Volksabsti­mmung. In seinen Arbeiten tauchen übrigens immer wieder Spiegel auf und wollen ermuntern, auch mal neue Blickwinke­l zu riskieren. Ein Appell, der in der Staatsgale­rie selbst offenbar ungehört geblieben ist.

Joseph Beuys. Der Raumkurato­r. Staatsgale­rie Stuttgart. Geöffnet bis 18. Juli. Vorherige Terminbuch­ung ist erforderli­ch unter 0711/47040-452, -453 oder www.staatsgale­rie.de. Dort gibt es auch aktuelle Informatio­nen, sollte die Staatsgale­rie wegen eines hohen Inzidenzwe­rts schließen müssen.

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