Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Eier als Symbol für den Auferstandenen
Historischer Blick auf das Brauchtum des Palmsonntags in Oberschwaben
- „Und viele breiteten ihre Kleider auf der Straße aus; andere rissen auf den Feldern Zweige von den Büschen ab und streuten sie auf den Weg. Die Leute, die vor ihm hergingen und die ihm folgten, riefen: Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn!“So berichtet Matthäus über Jesu Einzug in Jerusalem (11,1). Der Palmsonntag hatte im katholischen Oberschwaben im Laufe der Jahrhunderte sein eigenes Brauchtum entwickelt, das sich von Dorf zu Dorf und von Stadt zu Stadt unterscheiden kann. Fast überall wird bis heute das Palmentragen gepflegt. In Erinnerung an den Einzug Jesu in Jerusalem ziehen die Gläubigen in einer Prozession durch die Straßen und tragen prächtig geschmückte „Palmen“mit sich.
Das war nicht immer gern gesehen von der kirchlichen Obrigkeit. Einschnitte wurden ausschließlich theologisch rituell begründet. „Am Palmsonntag [Dominica Palmarum] wird an einigen Orten eine Skulptur des Erlösers auf einem Esel sitzend, in der Prozession herumgeführt oder in anderer Weise in der Kirche oder im Freien dargestellt“, heißt es in einem kirchlichen Erlass der Diözese Konstanz 1785. Für das „Volk“beruhigend wurde angefügt, man „wolle diese besonderen Riten wegen ihres Alters und im frommen Glauben, dass sie einst eingeführt wurden, um die Frömmigkeit des Volkes zu mehren, auch jetzt nicht gänzlich missbilligen“. Das „Aber“kam so sicher wie das „Amen“: Die Ortspfarrer wurden ermahnt, sich mit allem Eifer darauf zu verlegen, dass alles, was „mit dem römischen Ritus nicht konform ist, aus euren Kirchen entfernt werde“. Genannt ist für den Palmsonntag „die Statue des Heilandes, der auf einem Esel sitzt, sei aus der Prozession am Palmsonntag zu entfernen“. Das religiöse Brauchtum um den Palmsonntag wurde immer weniger und 1805 ist zum Beispiel in den Verkündungen keine Rede mehr von einer Prozession. Die Aufklärung hatte sich durchgesetzt. Da nützte es auch nichts, dass Palmprozessionen bereits seit dem 10. Jahrhundert aus Augsburg überliefert sind und die Gläubigen das religiöse Brauchtum vermissten. Aktuell ist es die Corona-pandemie, die dem religiösen Brauchtum gewisse Einschränkungen auferlegt.
Das Geschehen in der Karwoche ist auf Flügelaltären in Domen. Kirchen und Kapellen dargestellt. Eher selten wurde bildlich der Einzug Jesu in Jerusalem bildlich nachempfunden. Auch in der Riedlinger Pfarrkirche St. Georg beherrscht das Geschehen der Karwoche den Bilderschmuck: Das große Wandbild aus dem Jahre 1589 hat die Passion zum zentralen Thema. Das sehr eindrucksvolle Chorfenster aus dem Jahre 1933 und der Kreuzweg aus dem 1960er-jahren, beides Kunstwerke von Albert Burkart, haben starke Aussagekraft wie auch das lebensgroße Kruzifix im Chor aus dem 17. Jahrhundert. Selbst das Wappen des Heinrich Lupfen an der Säule im Langhaus aus dem 15. Jahrhundert zeigt eine Kreuzigungsszene. Die Pietà (Beweinung) aus dem 15. Jahrhundert schließt kunsthistorisch das Geschehen der Karwoche ab. Erhaben steht der Auferstehungschristus aus der spätromanischen Zeit am Ende des Kreuzweges für Ostern. Ein Passionszyklus ist auch in der Wendelinuskapelle aus dem späten 17. Jahrhundert erhalten.
In Ermangelung echter Palmzweige muss man in Oberschwaben auf winterharte, heimische Pflanzen zurückgreifen. Grün bedeutet Leben! Zudem wird diesen winterharten Pflanzen seit alters her besondere Heilkraft nachgesagt: Buchs, Wacholder, Palmweide mit Kätzchen („Dr Palma bliaht!“, ruft Adam in Sebastian Sailers „Schwäbischer Schöpfung“aus), Tuja, Taxus (Eibe), Sefe oder Föhre, Stechpalme, Haselruten mit Würstchen, Holunder, Herrgottsnägel (Berberitze), Eichenund Buchenlaub. Es sollten zwölf verschiedene Arten sein, je nach Verfügbarkeit. „Zwölf ist eine heilige Zahl, zwölf Jünger saßen beim Abendmahl“, lautet eine volkstümliche Redewendung. Zum Grün aus der Natur gehören Eier als Symbol für den auferstandenen Christus, für das Leben. Sie dürfen an keinem Palmen fehlen. Um das Ei als Zeichen hervorzuheben, wird es gefärbt oder bemalt. Rot war die vorherrschende Farbe. Rot bedeutet Blut, Leiden und Leben.
Hölzer und Grünzeug, zu einem Buschen oder an Ruten und Stangen zusammengebunden, ergeben einen einfachen Palmen, wie er von Landschaft zu Landschaft verschieden ausgeformt, getragen wird. So erfährt dieses Brauchtum trotz einheitlicher Grundausstattung interessante Variationen. Als Ursprung der oberschwäbischen Palmenform ist ein Fichtenwipfel aus dem Winterreisigteil anzusehen. Er sollte nach Möglichkeit drei Kronen haben mit je vier Ästen, was wieder die Zahl zwölf ergibt. Das geschälte Tännchen wurde sodann mit geschälten Holunderhölzchen bestückt, zwischen die je Ast drei Äpfel oder ausgeblasene Eier geschoben wurden, um erneut die Zahl zwölf je Krone zu erreichen. Die hochgebundenen Kronen ergaben kugelförmige Gebilde. Den Wipfel zierte ein Kreuzchen aus Reisig. Heute werden die Kronenäste durch Draht ersetzt, die Bestückung kann jedoch in gleicher Weise erfolgen und der Übersteigerung sind keine Grenzen gesetzt. Für einen sechs- bis siebenstöckigen Palmen braucht man etwa 1000 Holunderhölzchen und 120 Eier. In Anlehnung an die einst häufiger zu sehenden Feldkreuze mit den „Arma Christi“, den Marterwerkzeugen der Passion, wurde dieses Thema in Riedlingen zur Bekrönung einer Palmengruppe verwendet.