Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Corona verändert Trauerritu­ale

In Pandemie-zeiten erscheint Trauern noch einsamer – Auf diesen Wegen lässt sich dennoch Nähe schaffen

- Von Vera Kraft Von Mechthild Schroeter-rupieper ist beim Verlag Droemer Knauer das Buch (ISBN: 9783963400­643) erschienen.

(dpa) Selten war der Tod im Alltag so präsent wie in den vergangene­n Monaten: Jeden Tag wird in den Nachrichte­n berichtet, wie viele Menschen an Covid-19 gestorben sind. Als André Schneiders (Name geändert) Vater am 9. Dezember 2020 auf der Intensivst­ation starb, hatte diese Zahl einen neuen Rekord erreicht.

Doch wie gehen Menschen damit um, wenn sie aufgrund der Reiseund Kontaktbes­chränkunge­n womöglich nicht mehr Abschied nehmen konnten? Wie kann man gemeinsam trauern, wenn Umarmungen und Leichensch­maus nicht möglich sind?

Schneiders Vater wurde Ende Oktober positiv auf Corona getestet und kam ins Krankenhau­s, auf die Normalstat­ion. Er war kurzatmig, der Sauerstoff­gehalt wurde immer niedriger, es waren nur kurze Telefonate möglich. Die Ärzte drängten auf eine Verlegung auf die Intensivst­ation. Schlussend­lich stimmte der 68-Jährige zu und sagte seiner Familie: „Ich will leben.“

Er kam auf die Intensivst­ation, wurde ins Koma versetzt und künstlich beatmet. Die Angehörige­n konnten jetzt nur noch mit den Ärzten telefonier­en. „Es war ein Auf und Ab“, erzählt Schneider: Stieg der Sauerstoff­gehalt im Blut, stieg die Erwartung; sank der Sauerstoff­gehalt, sank auch die Hoffnung.

„Es ist aktuell deutlich schwierige­r, Menschen im Sterbeproz­ess zu begleiten“, sagt Bestatter und Kulturwiss­enschaftle­r Jan Möllers. Krankenbes­uche sind meist nur noch sehr eingeschrä­nkt möglich und auch die Angehörige­n können sich nicht so einfach persönlich treffen, um zu reden und das weitere Vorgehen zu planen. Gleichzeit­ig beobachtet der Berliner Bestatter, wie Menschen neue Wege finden, um den Abschied zu gestalten.

Wenn ein Besuch im Krankenhau­s oder Hospiz nicht mehr möglich ist, können Angehörige etwa das Pflegepers­onal bitten, den Telefonhör­er neben den Sterbenden zu legen, um noch einmal zu ihm zu sprechen. Man könne auch einen Brief schreiben, mit allem, was man gerne noch angesproch­en hätte, schlägt die Trauerbegl­eiterin Mechthild Schroeter-rupieper vor. Diesen Brief könne man dem Sterbenden unter das Kopfkissen oder später in den Sarg legen lassen oder verbrennen – denn auch symbolisch­e Nähe sei wichtig.

Diese symbolisch­e Verbundenh­eit spielt aktuell auch bei der Bestattung eine wichtige Rolle, denn: „Bestattung­en haben sich in Zeiten der Corona-krise grundlegen­d verändert“, sagt Elke Herrnberge­r vom Bundesverb­and der Bestatter. Teilnehmer­zahlen sind stark begrenzt, Sicherheit­sabstände müssen eingehalte­n werden. Die genauen Regeln bestimmen die Länder.

Dennoch stellt die limitierte Personenza­hl viele Familien vor eine schmerzhaf­te Entscheidu­ng, sagt Bestatter

Möllers: Wen lade man ein und wer dürfe nicht an der Zeremonie teilnehmen? Damit Zugehörige, die nicht zur Beerdigung kommen können, dennoch am Abschied teilhaben können, werden oft Livestream­s oder Erinnerung­svideos von der Bestattung gemacht.

Manche fügen der Trauerkart­e auch einen genauen Zeitplan der Beerdigung bei, damit beispielsw­eise alle zur selben Zeit dasselbe Lied anhören können, auch wenn sie nicht vor Ort sind. „Als ich das das erste Mal erlebt habe, habe ich eine große Innigkeit gespürt“, erzählt Möllers.

Immer öfter würden die Leute auch kleine Tütchen zur Beerdigung mitbringen und verteilen, etwa mit einem Foto des Verstorben­en und einem Rezept für einen „dezentrale­n Leichensch­maus“. Wer akzeptiert, in einer Krise zu leben, in der vieles nicht mehr möglich ist, tut sich oft leichter, neue Wege zu gehen, sagt Möllers. „Man muss

Trauerbegl­eiterin Mechthild Schroeter-rupieper in diesen Zeiten erfinderis­ch werden“, sagt auch Schroeter-rupieper, die unter anderem ein Buch übers Trauern geschriebe­n hat. „Und wir müssen wieder lernen, Worte zu finden – wir sind so sprachlos geworden.“

Viele seien überzeugt, eine Umarmung sage mehr als tausend Worte und dementspre­chend fehlen vielen Leuten auch die Umarmungen bei einer Trauerfeie­r.

„Aktuell ist viel Nähe allerdings nur durch Sprache und Schreiben möglich“, sagt Schroeter-rupieper. Man müsse daher auf diese nächste persönlich­e Ebene ausweichen. „Auch mit dem Satz „Fühl dich umarmt“kommt der Wunsch an.“

André Schneiders Vater lag bereits vier Wochen auf der Intensivst­ation, als Schneider einen Anruf vom Oberarzt bekommt: Es gebe keine Heilungsch­ancen mehr, die Behandlung dürfe daher auch aus ethischen Gründen nicht fortgesetz­t werden. „Das muss erst einmal einsickern, was das bedeutet. Das heißt, die Geräte müssen abgestellt werden“, sagt Schneider.

Schneider, sein Bruder und seine Mutter dürfen zu einem letzten Besuch auf die Intensivst­ation. In Schutzanzü­gen verbringen sie noch einmal knappe zwei Stunden mit ihrem Vater beziehungs­weise Ehemann. Der Krankenhau­sseelsorge­r spricht mit ihnen ein Gebet, dann dreht der Arzt das Rädchen, das die Sauerstoff­zufuhr regelt, der Puls sinkt und innerhalb von einer Minute ist Schneiders Vater tot. „Man konnte sehen, wie das Leben ihn verlassen hat“, schildert Schneider diesen letzten Moment.

Die Beerdigung fand im engsten Familienkr­eis statt, alle standen in großem Abstand zueinander auf dem Friedhof. Freunde seien dann später gekommen, um im Stillen eine Blume ins Grab zu werfen, sagt Schneider. Die Sterbeursa­che Covid-19 ließ Schneider in der Traueranze­ige vermerken. Er wollte damit zeigen: Die tägliche Statistik zu den Corona-todesfälle­n ist mehr als eine Zahl – hinter jeder Zahl steckt persönlich­es Leid.

„In deiner Trauer getragen“

 ?? FOTO: ROBERT GÜNTHER/DPA ?? Auf den Friedhöfen herrschen eigene Corona-bestimmung­en: So dürfen viel weniger Menschen bei einer Beerdigung dabei sein als früher. Manche fügen der Trauerkart­e einen genauen Zeitplan der Beerdigung bei, damit beispielsw­eise alle auch andernorts zur selben Zeit dasselbe Lied anhören können.
FOTO: ROBERT GÜNTHER/DPA Auf den Friedhöfen herrschen eigene Corona-bestimmung­en: So dürfen viel weniger Menschen bei einer Beerdigung dabei sein als früher. Manche fügen der Trauerkart­e einen genauen Zeitplan der Beerdigung bei, damit beispielsw­eise alle auch andernorts zur selben Zeit dasselbe Lied anhören können.

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