Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Zur Meditation anregend

Seltenes Zeugnis tiefen Glaubens: die Christus-johannes-gruppe in Heiligkreu­ztal

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(sz) - Die Zeit vor Ostern ist in der biblischen Tradition eine Zeit der Stille: Davon erzählt der Brauch der Fastenzeit heute noch. Im Kloster Heiligkreu­ztal verkörpert die berühmte Christus-johannesgr­uppe den Geist der Passionsze­it. Die kostbare Skulptur aus dem 14. Jahrhunder­t spiegelt die Frömmigkei­t der Zisterzien­serinnen vor 700 Jahren wider und zeigt ein besonders in Oberschwab­en beliebtes Motiv des letzten Abendmahls.

Sie ist eine von 40 erhaltenen Christus-johannes-gruppen weltweit und ein seltenes Zeugnis des tiefen Glaubens, der um 1300 in den oberschwäb­ischen Nonnenklös­tern herrschte: Die „Christus-johannesgr­uppe“im Kloster Heiligkreu­ztal zeigt Johannes, den Lieblingsj­ünger Christi, der seinen Kopf beugt und sich an die Brust Jesu lehnt. Das Motiv des letzten Abendmahls, am Donnerstag vor Ostern, bildet die beiden Figuren in einem sehr emotionale­n Moment ab. Beschriebe­n wird dieser in Kapitel 13, Vers 23 bis 25 des Johannesev­angeliums: „Einer von den Jüngern lag an der Seite Jesu; es war der, den Jesus liebte. Simon Petrus nickte ihm zu, er solle fragen, von wem Jesus spreche. Da lehnte sich dieser zurück an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist es?“

Der Bibeltext, der davon berichtet, ist von hoher theologisc­her Bedeutung: Er enthält die Einsetzung­sworte des Abendmahls. Der Tag, an dem das bedeutungs­reiche Abendmahl stattfand, ist heute der Gründonner­stag: der Tag vor Karfreitag, dem Tag der Kreuzigung Christi. Er trägt seinen Namen allerdings nicht nach der Farbe, sondern vom mittelalte­rlichen Wort für Greinen oder Weinen. Der Künstler hat für seine Darstellun­g jedoch einen anderen, menschlich­en Blick gewählt: den auf das Zutrauen des Johannes in Christus. Diese Form der innigen Darstellun­g war in den Frauenklös­tern Oberschwab­ens ein sehr beliebtes Andachtsmo­tiv.

In der Heiligkreu­ztaler Figurengru­ppe ist Johannes etwas kleiner dargestell­t; er ruht am Herzen seines Meisters. Der Jünger hat seinen inneren Frieden gefunden und sein leicht geöffneter Blick ist in sich gekehrt. Jesus hält ihn sanft umfasst, was ein ergreifend­es Gefühl der Geborgenhe­it und der Zusammenge­hörigkeit zum Ausdruck bringt. Beide Figuren tragen mit Goldborten reich verzierte farbige Gewänder: Die Falten beider Gewänder verlaufen im selben Schwung und Rhythmus, was das Gefühl der Zusammenge­hörigkeit verstärkt. Die dargestell­te Nähe zwischen Johannes und Christus sollte sich auf die Ordensfrau­en in Heiligkreu­ztal übertragen und zur Meditation anregen.

Die Figurengru­ppe entstand um 1320 möglicherw­eise in einer Konstanzer Werkstatt, die sich im Umkreis

von Meister Heinrich befindet – einem Bildhauer aus Konstanz, der um 1300 mehrere Christus-johannes-gruppen gearbeitet hat. Die Skulptur aus Nussbaumho­lz ist 101 Zentimeter hoch, 65 Zentimeter breit und an ihrer Rückseite ausgehöhlt. Die Bemalung der Gruppe stammt aus dem Barock: Im 18. Jahrhunder­t war eine Lüsterfass­ung mit metallenen Schimmer beliebt. Damit ließen sich edle Materialie­n nachahmen. Das Exemplar, das sich im ehemaligen Zisterzien­serinnenkl­oster in Heiligkreu­ztal erhalten hat, ist ein besonders schönes Stück – noch dazu am originalen Platz. Seit einigen Jahren steht die „Johannesmi­nne“, wie das hölzerne Andachtsbi­ld genannt wird, gut sichtbar für Besucherin­nen und Besucher in einer gotischen Nische der Chorstirnw­and.

Passion und Ostern sind oft Themen der Kunst. Kein Wunder: Es sind zentrale christlich­e Themen und über viele Jahrhunder­te waren die Kirchen die wichtigste­n Auftraggeb­er der Künstler. Die Passion bietet einen großen Reichtum an emotionale­n Bildmotive­n der religiösen

Kunst über Jahrhunder­te: neben dem Abschiedsm­ahl den Einzug Jesu in Jerusalem, die Festnahme, Verurteilu­ng, Verspottun­g und schließlic­h die Kreuzigung des Messias.

In zahlreiche­n Klöstern und Kirchen haben sich die eindrucksv­ollen Zeugnisse der Frömmigkei­t früherer Epochen erhalten. Für viele Menschen der damaligen Zeit waren die Darstellun­gen des Leidens Christi wohl tröstlich – und der emotionale Gehalt der Geschichte inspiriert­e die Künstler durch alle Epochen besonders stark.

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FOTO: STAATLICHE SCHLÖSSER UND GÄRTEN BW Die Christus-johannes-gruppe im Kloster Heiligkreu­ztal.

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