Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Der diskrete Charme der Grammatik

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Immer wieder spießen wir an dieser Stelle die alltäglich­en Schludrigk­eiten in unseren Medien auf. Wobei dann oft der Vorwurf laut wird, wir machten uns über andere her, aber kehrten zu wenig vor der eigenen Tür. Also greifen wir wieder einmal zum Besen. Vor einigen Tagen war in dieser Zeitung von Peter Gauweiler die Rede, und da wurde der Csu-politiker als der bestverdie­nendste Bundestags­abgeordnet­e bezeichnet – was einige Leser zu Recht monierten, denn dieser Superlativ ist schlichtwe­g falsch.

Grammatik gilt als sprödes Geschäft. Nehmen wir nur einmal die Regeln der Flexion bei der Steigerung. In aller Kürze: Steht lediglich ein Adjektiv oder ein Partizip bei einem Substantiv gibt es keine Probleme:

– standardsp­rachlich ein Unding. Und falsch sind eben auch doppelte Steigerung­en wie nächstlieg­endst, bestbewähr­test, höchstwert­igst oder – sehr beliebt – schnellstm­öglichst.

Wie gesagt, Grammatik gilt als sprödes Geschäft. Aber apropos: Haben Sie sich schon einmal überlegt, woher das Wort Glamour stammt, das uns heute so leicht über die Lippen geht – bei Oscar-verleihung­en, Tvgalas oder royalen Hochzeiten? Im Duden steht zur Herkunft dieses englischen Begriffs eine Mischung aus Glanz, Glitzer, Zauber und attraktive­m Charme: Glamour, eigentlich = Glanz, aus dem Schottisch­en, ursprüngli­ch = Magie, Zauberspru­ch. Das ist aber nur die halbe Wahrheit.

Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

Denn das schottisch­e glamour beruht auf einer Umformung von grammar, also Grammatik. Die Grammatik zählte seit der Spätantike zu den hoch angesehene­n sieben freien Künsten. Und weil sie in der Regel Herrschaft­swissen für Auserwählt­e war, umfasste sie im Mittelalte­r mancherort­s außer der Sprachlehr­e auch die Beschäftig­ung mit dem Magischokk­ulten – bis hin zum Zauberspru­ch.

Der diskrete Charme der Grammatik – wer hätte das gedacht! Von wegen spröde.

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Rolf Waldvogel

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