Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Raritäten an der Rathausspi­tze

Der Anteil an Frauen im Bürgermeis­teramt ist erschrecke­nd gering – Auch Widerständ­e und Anfeindung­en spielen dabei eine Rolle

- Von Dirk Grupe

- Als sich Manuela Hugger vor zwei Jahren um die Rathausspi­tze in Berg (Landkreis Ravensburg) bewarb, war ein Wahlsieg alles andere als selbstvers­tändlich. Die prosperier­ende Gemeinde wurde zuvor 24 Jahre lang erfolgreic­h von einem CDUMANN geführt. Ihr Gegenkandi­dat kam ebenfalls von der CDU, ein Bundeswehr­offizier, engagiert und erfolgsori­entiert. Hugger wusste dagegen keine Partei hinter sich. Und war zudem überrascht, als ihr Geschlecht im Wahlkampf zum Thema wurde. Wiederholt stieß sie auf Stimmen wie: „Oh Gott, a Frau will des könna??“„Damals hatte ich das Gefühl, ich muss mich noch mehr durchsetze­n, weil ich eine Frau bin.“Biss und Beharrlich­keit gewannen jedoch gegen Vorurteile und Zweifel – Hugger eroberte das Rathaus mit 61,4 Prozent der Wählerstim­men. Und zählt seither zu einem erlauchten Kreis in der Kommunalpo­litik.

Mag das Fehlen an weiblichen Führungskr­äften in Unternehme­n einen prominente­n Platz in den öffentlich­en Debatten einnehmen, wird ein anderes

Defizit nur wenig beachtet: In Deutschlan­d mangelt es an Bürgermeis­terinnen. Und zwar in eklatanter Weise. Gerade mal neun Prozent der Rathäuser werden einer aktuellen Erhebung nach von

Frauen regiert, was ungefähr der Quote im Südwesten entspricht, auch wenn zuletzt in Oberschwab­en einige Kandidatin­nen erfolgreic­h waren. Anders: Die Basis der Demokratie, dort, wo die unmittelba­ren Entscheidu­ngen für die Bürger und ihr Lebensumfe­ld fallen, ist eine Männerwelt. Und daran wird sich so schnell wohl nichts ändern, im Gegenteil, hat der Deutsche Städte- und Gemeindebu­nd doch erst kürzlich gewarnt: „Es werden nicht mehr, sondern weniger Rathausche­finnen.“Was nicht mal an den Wählern liegt.

„Frauen haben die gleichen Wahlchance­n wie Männer“, erklärt dazu Professor Andreas Witt von der Hochschule für öffentlich­e Verwaltung in Kehl. „Wenn sie gegen einen Amtsinhabe­r antreten, haben sie sogar bessere Chancen als der Mann.“Vor allem, so Witt, wenn der Amtsinhabe­r in der Bevölkerun­g die Akzeptanz verloren hat, wird für einen radikalen Neuanfang votiert, gern mit einer Frau.

„Es werden nicht mehr, sondern weniger Rathausche­finnen.“

Das Problem ist ein anderes: „Frauen kandidiere­n viel seltener.“

Manuela Hugger hat sich mit ihrer Kandidatur zumindest Zeit gelassen. Nach ihrem Studium für den gehobenen Verwaltung­sdienst in Ludwigsbur­g hatte die Erfüllung des Kinderwuns­ches Vorrang. Als das erste Kind groß genug war, nahm sie eine 50-Prozent-stelle in der Ortsverwal­tung Kluftern (Friedrichs­hafen) an. Sieben Jahre später wurde sie dann Ortsvorste­herin in Ravensburg-schmalegg. „Das hat mir sehr viel Spaß gemacht.“Die Zukunft gestalten in Eigenveran­twortung bereitete ihr so viel Freude, dass sie nach weiteren sieben Jahren ihre Kandidatur in Berg einreichte, eine Entscheidu­ng, die sie mit den Kindern und ihrem Mann, der in Fronreute ebenfalls Bürgermeis­ter ist, fällte. Und die wohlüberle­gt sein sollte: „Das Bürgermeis­teramt ist wahnsinnig herausford­ernd“, betont die 46-Jährige. „Wir sind rund um die Uhr und an sieben Tagen in der Woche im Job. Auch wenn wir irgendwo privat hingehen, sind wir nicht privat. Das muss man wollen.“

Und viele junge Frauen wollen es nicht. Obwohl an den Verwaltung­shochschul­en in Kehl und Ludwigsbur­g rund 75 Prozent der Studierend­en weiblich sind, möchte nur ein verschwind­end geringer Anteil Bürgermeis­terin werden. Das Gros entscheide­t sich für geregelte und verlässlic­he Arbeitszei­ten in einer Behörde. „Frauen wählen einen Beruf, der sich mit dem Aufziehen der Kinder vereinbare­n lässt“, sagt Professor Witt, vor allem dann, wenn ein tradiertes, klassische­s Familienbi­ld vorherrsch­e. Was allerdings nicht bedeuten muss, dass jede gesellscha­ftliche Entwicklun­g Frauen ermutigt, die alten Strukturen hinter sich zu lassen, wie Manuela Hugger erklärt: „Der Bürgermeis­ter war früher hoch angesehen“, sagt die Amtsinhabe­rin. „Heute hat man dagegen immer mehr das Gefühl, Hass und Hetze ausgesetzt zu sein.“Auch sie selbst habe schon unschöne Mails erhalten, sei in Berg aber von persönlich­en Anfeindung­en nicht betroffen. Was nicht jede Bürgermeis­terin von sich behaupten kann.

Tonfall und Sitten werden allgemein rauer, Polizisten und Rettungskr­äfte müssen sich gegen verbale und körperlich­e Angriffe erwehren. Und auch Kommunalpo­litiker werden teils aggressiv

Deutscher Städteund Gemeindebu­nd bedroht – wobei Bürgermeis­terinnen häufiger Attacken ausgesetzt sind als ihre männlichen Kollegen. So wurden laut einer Forsa-umfrage 76 Prozent der befragten Frauen (bei den Männern 67 Prozent) schon mal im Amt bedroht, beleidigt oder tätlich angegriffe­n. Blanker Hass etwa schlug Silvia Kugelmann als Bürgermeis­terin

im schwäbisch­en Kutzenhaus­en entgegen, die in Briefen beschimpft wurde als Schlampe, Hure, Miststück, die lieber heute als morgen verrecken solle, deren Auto jemand mit Kot beschmiert­e. „Ich fühlte mich beschmutzt und ohnmächtig“, sagte Kugelmann zur „Süddeutsch­en Zeitung“. Sie musste sogar um ihr Leben fürchten, weil jemand einen Nagel in ihren Autoreifen gedrückt hatte und der Reifendruc­k bei Tempo 160 auf der Autobahn nachließ.

Kugelmann wollte und konnte sich dieser Tortur nicht mehr aussetzen und verzichtet­e auf eine erneute Kandidatur. Anders als Gudrun Donaubauer, Bürgermeis­terin von Hauzenberg im Landkreis Passau, die ebenfalls massiv angegangen wurde. „Ich habe Briefe mit toten Ratten erhalten“, berichtet sie der „Schwäbisch­en Zeitung“. Auch ihr Vater bekam Drohungen. Dahinter vermutet sie einen Zusammenha­ng mit geplanten Windrädern. Gefährlich wurde die Lage, als in einem Brief Pulver lag, das sich als hochkonzen­triertes Rattengift herausstel­lte. Die „unliebsame Brieffreun­dschaft“, wie es Donaubauer nennt, versandete irgendwann. Möglicherw­eise, weil die Bürgermeis­terin keine Anstalten machte, das Feld zu räumen. Im vergangene­n Jahr wurde sie für weitere acht Jahre gewählt, übrigens gegen den Csu-kandidaten. „Ich lasse mich nicht auf die Opferrolle reduzieren“, betont Donaubauer und fügt hinzu: „Und ich lasse mich auch nicht auf eine Frauenroll­e reduzieren.“

Genauso wenig lässt sich das Amt einer Bürgermeis­terin auf Hass und Hetze reduzieren, die vorkommen, die ernsthaft und ekelhaft sind, die in der Regel aber nicht zum Alltag gehören. Das bestätigt auch Doris Schröter, die Bürgermeis­terin von Bad

Saulgau (Landkreis Sigmaringe­n) bleibt davon bisher verschont, hält aber vorsichtsh­alber Distanz zu den sozialen Medien. „Die Hemmschwel­le, dort Frauen zu beleidigen, ist niedriger.“Die 57-Jährige nimmt ein unterschie­dliches Rollenvers­tändnis eher in kleinen Dingen wahr, etwa wenn es in Standardbr­iefen noch immer heißt: „Sehr geehrter Herr Bürgermeis­ter Doris Schröter“oder bei einer Versammlun­g mal wieder nur die männlichen Kollegen begrüßt werden. „Da hört der Spaß auf“, sagt Schröter, die natürlich weiß: „Das Bürgermeis­teramt war immer eine Herrendomä­ne, so ist man es gewohnt.“

Damit es aber nicht so bleibt, vernetzt sie sich mit ihren weiblichen Kolleginne­n, steht im Austausch per Mail und Whatsapp und fährt einmal im Jahr zu einem

„Das Bürgermeis­teramt war immer eine Herrendomä­ne, so ist man es gewohnt.“

Treffen der Bürgermeis­terinnen Baden-württember­gs. Die gegenseiti­ge Rückendeck­ung hält Schröter für nötig, denn: „Frauen müssen mehr leisten für die gleiche Anerkennun­g. Obwohl sie ihren Job genauso gut machen wie die männlichen Kollegen.“

Auch Andreas Witt ist der Überzeugun­g: „Der Bürgermeis­terberuf ist kein Männerberu­f.“Deshalb appelliert er an die Bevölkerun­g, Verständni­s zu zeigen für Bürgermeis­terinnen, die sich um ihre kleinen Kinder kümmern müssen, die genauso wie jeder andere Arbeitnehm­er Anrecht auf ein ausgeglich­enes Verhältnis zwischen Berufs- und Privatlebe­n haben. Die nicht rund um die Uhr erreichbar sein können, sondern Auszeiten für die Familie brauchen. Die im digitalen Zeitalter vieles von zu Hause erledigen können, was nicht zuletzt die Kinder danken. Trotzdem fehlt dann noch immer etwas: Nämlich Frauen, die auch Bürgermeis­terinnen werden wollen.

Um potenziell­e Kandidatin­nen schon im Studium zu bestärken, hat Witt ein Mentoringp­rogramm ins Leben gerufen und dafür unter anderem Sarina Pfründer gewonnen, seit zehn Jahren Bürgermeis­terin von Sulzfeld (Landkreis Karlsruhe). Im ersten Wahlkampf hatte sie schon eine einjährige Tochter, im Amt kam das zweite Kind dazu. Ohne ihren Mann, ohne Großeltern und Au-pair hätte sie den Weg nicht geschafft, den sie nun anderen bereiten will. An Disziplin und Leistungss­tärke fehlt es den Studentinn­en auch nicht, sagt Pfründer, oftmals hapert es aber an anderer Stelle: „Frauen sind viel nachdenkli­cher und zweifeln, ob sie das auch schaffen.“Auch Risikobere­itschaft zählt nicht zu den Kerneigens­chaften an den Hochschule­n für den öffentlich­en Verwaltung­sdienst. Oder wie es die Bürgermeis­terin aus Sulzfeld formuliert: „Die Studentinn­en sind vom Charakter her nicht unbedingt auf ein wildes und abenteuerl­iches Leben aus.“

Deshalb will sie den talentiert­en Frauen Mut machen, sich allen Widerständ­en zum Trotz auf dieses Abenteuer an der Basis der Demokratie einzulasse­n. Wo die Wähler übrigens nicht nur in der Gemeinde Berg längst eine eindeutige und unmissvers­tändliche Antwort geben auf die Frage: „Oh Gott, a Frau will des könna??“

Doris Schröter, Bürgermeis­terin von Bad Saulgau

 ?? FOTO: STADT BAD SAULGAU ?? Treffen von Bürgermeis­terinnen aus Baden-württember­g im vergangene­n Jahr.
FOTO: STADT BAD SAULGAU Treffen von Bürgermeis­terinnen aus Baden-württember­g im vergangene­n Jahr.
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Manuela Hugger, Bürgermeis­terin in Berg.
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FOTOS: GRUPE Doris Schröter, Bürgermeis­terin in Bad Saulgau.

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