Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Aufatmen und Skepsis

Ex-polizist als Mörder von George Floyd verurteilt – Biden gelobt Kampf gegen Rassismus

- Von Frank Herrmann

- Der gewaltsame Tod des Afroamerik­aners George Floyd war Mord. Nach dem Schuldspru­ch gegen den früheren Polizisten Derek Chauvin hoffen viele Usbürger auf mehr Gerechtigk­eit im Alltag – ahnen aber auch, dass es bis dahin noch ein weiter Weg sein wird.

Das Aufatmen nach dem Schuldspru­ch. Philonise Floyd, einer der Brüder George Floyds, beschreibt es in ebenso einfachen wie eindringli­chen Worten, nachdem die zwölf Geschworen­en ihr Urteil verkündet haben. In einem Hotel in Minneapoli­s, nicht weit vom Hennepin County Courthouse, dem Betonklotz, in dem der Prozess über die Bühne ging, spricht er vor laufenden Kameras von der Erleichter­ung, die er empfinde: „Von heute an können wir wieder atmen.“

Etwa zehn Stunden hatten die Geschworen­en am Montag und Dienstag beraten, bevor der Richter Peter Cahill verlas, zu welchen Schlüssen sie gelangten. Drei Punkte umfasste die Anklage gegen Derek Chauvin, den Polizisten, der sein Knie rund neun Minuten lang in Floyds Nacken drückte. In ausnahmslo­s allen befand die Jury den ehemaligen Beamten für schuldig: Mord zweiten Grades, Mord dritten Grades, Totschlag zweiten Grades. Wie hoch die Strafe ausfällt, will Cahill im Laufe der nächsten acht Wochen entscheide­n. Nach den Statuten Minnesotas muss Chauvin mit bis zu 40 Jahren Gefängnis rechnen. Es ist das erste Mal, dass ein weißer Polizist in dem Bundesstaa­t für schuldig befunden wird, nachdem er einen Afroamerik­aner getötet hat.

Ob es eine echte Zäsur ist, ein Meilenstei­n des Wandels, daran scheiden sich die Geister. Als Barack Obama den Fall kommentier­t, spricht aus jeder seiner Zeilen eine gewisse Skepsis. Das Urteil, schreibt der erste dunkelhäut­ige Präsident in der Geschichte der USA, mag ein notwendige­r Schritt auf der Straße des Fortschrit­ts gewesen sein. Doch es reiche bei Weitem nicht aus. „Wir dürfen keine Ruhe geben. Wir müssen konkrete Reformen folgen lassen, die rassistisc­he Vorurteile im System unserer Strafjusti­z reduzieren und schließlic­h ganz entfernen.“

Im Weißen Haus hatte Joe Biden am Dienstagna­chmittag sämtliche Termine abgeräumt, um auf das Urteil reagieren zu können. Als es feststeht, telefonier­t er als Erstes mit den Angehörige­n Floyds, die sich im Flur eines Hotels um ihren Anwalt Ben Crump versammelt haben und für die Stunden bangen Wartens zu Ende gehen. „Ich bin so erleichter­t. Endlich, Gott, gibt es ein wenig Gerechtigk­eit“, sagt Biden und spricht von einem ersten Versuch, gegen systemisch­en Rassismus vorzugehen. „Wir werden anfangen, die Welt zu verändern. Wir werden noch viel mehr erreichen.“

Dies könne ein Moment bedeutsame­n Wandels sein, erklärt Biden später in einer kurzen Fernsehans­prache. Noch seien Urteile wie das in Minneapoli­s gefällte viel zu selten. Doch nun gebe es die Chance, die Richtung im Land zu ändern. Vizepräsid­entin Kamala Harris, Tochter einer aus Indien eingewande­rten Mutter und eines aus Jamaika stammenden Vaters, redet Tacheles, indem sie die bitteren Erfahrunge­n von Amerikaner­n mit dunkler Haut in Erinnerung ruft. Schwarze, insbesonde­re schwarze Männer, sagt sie, seien im Laufe der Geschichte nicht wie vollwertig­e Menschen behandelt worden. „Aber schwarze Männer sind Väter. Und Brüder. Und Söhne. Und Großväter. Und Freunde. Und Nachbarn.“

Keith Ellison, der erste schwarze Generalsta­atsanwalt Minnesotas, betont, dass er in diesem Fall nicht von Gerechtigk­eit sprechen würde. Schließlic­h kehre George Floyd nicht wieder ins Leben zurück. „Immerhin bedeutet es, dass jemand zur Rechenscha­ft gezogen wird. Und das ist der erste Schritt in Richtung Gerechtigk­eit.“Es waren Juristen aus dem von Ellison geleiteten Apparat, die in drei Wochen Verhandlun­g begründete­n, warum Chauvin mit aller Härte bestraft werden müsse. Ihr mit Abstand

wichtigste­r Beweis: das Video einer Handykamer­a, mit der Darnella Frazier, seinerzeit 17, am Abend des 25. Mail 2020 filmte, was vor dem Lebensmitt­elladen Cup Foods im Süden von Minneapoli­s geschah. In seinem Schlussplä­doyer hatte der Staatsanwa­lt Steve Schleicher die Geschworen­en noch einmal, wie schon etliche Male zuvor, aufgeforde­rt, ihren eigenen Augen zu trauen: „Genau das, was Sie sehen, ist tatsächlic­h passiert.“Chauvin habe Floyd mit dem Knie am Hals die Luft zum Atmen genommen und ihn getötet, vielleicht nicht absichtlic­h, wohl aber in einer Art Allmachtge­fühl. In der Gewissheit, dass sich ein Polizist alles erlauben könne, ohne zur Verantwort­ung gezogen zu werden.

 ?? FOTO: HLN-POOL/IMAGO IMAGES ?? Im Prozess um den Tod von George Floyd in Minneapoli­s wurde Ex-polizist Derek Chauvin in allen Anklagepun­kten für schuldig befunden.
FOTO: HLN-POOL/IMAGO IMAGES Im Prozess um den Tod von George Floyd in Minneapoli­s wurde Ex-polizist Derek Chauvin in allen Anklagepun­kten für schuldig befunden.

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