Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Tiger, Schakale, Würgeschla­ngen

Russlands Präsident Putin gibt ausländisc­hen Widersache­rn Tiernamen und schweigt zum Protest im eigenen Land

- Von Stefan Scholl

- Russlands Präsident Wladimir Putin hat seine Rede zur Lage der Nation mit drohenden Worten an äußere Gegner und mit sozialen Verspreche­n ans Volk gespickt. Die Proteste für Alexei Nawalny am selben Tag erwähnte er nicht.

Spätestens seit Mittwoch wissen die Russen, dass Wladimir Putin Rudyard Kipling mag. Er benutzte in seiner 17. Rede zur Lage der Nation die übelsten Figuren aus Kiplings „Dschungelb­uch“, um die Feinde des Landes zu charakteri­sieren: den blutrünsti­gen Tiger Shir Khan und dessen Lakaien, den hinterhält­igen Schakal Tabaki. „Sie schnappen nach Russland, mal hier, mal dort, ohne jeden Grund. Und natürlich schleichen allerlei kleine Tabakis um sie herum.“Kipling, sagte Putin über den britischen Kolonialsc­hriftstell­er, sei ein großer Autor gewesen.

Bei seinem knapp 90-minütigen Auftritt vor beiden Kammern des Parlaments, dem Kabinett und anderen Würdenträg­ern verzichtet­e Russlands Präsident auf die Überraschu­ngen der vergangene­n Jahre. Er präsentier­te keine neuen Hyperschal­latomraket­en wie 2018. Und er kündigte keine Renovierun­g der Verfassung an wie vergangene­s Jahr. Dabei gab es in Moskau angesichts der gespannten internatio­nalen Lage und der inzwischen etwa hunderttau­send Soldaten, die Russland an der Grenze zur Ukraine versammelt hat, wilde Spekulatio­nen. Darüber, ob Putin Kiew den Krieg erklären würde, oder den Anschluss der ostukraini­schen Rebellenre­publiken Lugansk und Donezk an Russland. Oder die Annexion der Republik Belarus, deren Chef Alexander Lukaschenk­o am Donnerstag in Moskau erwartet wird.

Putin listete nur auf, welche neuen Waffensyst­eme man gerade oder demnächst in Dienst stellen werde. Und er machte rasselnd Front gegen alle äußeren Widersache­r: „Wenn irgendjema­nd unseren guten Willen als Gleichmut oder Schwäche auslegt und selbst Brücken verbrennen oder gar sprengen will, soll er wissen, dass Russlands Antwort asymmetris­ch, schnell und hart sein wird.“Er hoffe, niemand werde eine „rote Linie“Russlands überschrei­ten. „Wo diese Linie aber verlaufen wird, das werden wir selbst in jedem konkreten Fall entscheide­n.“

Danach herrschte bei politische­n Beobachter­n Unklarheit, ob Putin die Spannung im Konfliktkn­äuel mit den USA, der EU, Tschechien oder der Ukraine weiter anheizen wollte, oder ob seine doch unkonkrete­n Worte im Gegenteil eine gewisse Deeskalati­on signalisie­rten.

„Wie sich Russland in der Ukraine verhalten wird, weiß niemand“, sagt der Petersburg­er Politologe Dmitri Trawin der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Die Truppenkon­zentration hält an, aber ich halte die Befürchtun­gen für übertriebe­n.“Putin habe auch vorher der Ukraine nie direkt mit Krieg gedroht. Die Rede zur Lage der Nation sei die übliche Zeremonie gewesen, das gelte auch für soziale und wirtschaft­liche Themen. „Da gibt es konkretere Angaben, die sich Jahr für Jahr ändern“, so Trawin. „Aber es bleibt eine Erzählung darüber, wie sehr sich Putin um das Volk sorgt.“

Putin feierte russische Erfolge über das Coronaviru­s und beschwor ein Wirtschaft­swachstum, das man mit dem Aufbau neuer pharmazeut­ischer und ökologisch­er Branchen erzielen werde. Er versprach den Regionen Infrastruk­tur-kredite, 1300 neue Schulen, 45 000 neue kostenlose Studienplä­tze, werdenden Müttern in Not monatlich Zuschüsse von etwa 70 Euro und Familien im August, einen Monat vor den Dumawahlen, ein Geldgesche­nk von knapp 110 Euro für jedes Schulkind.

Während Putin noch sprach, begannen im russischen Fernen Osten landesweit­e Proteste für den hungerstre­ikenden Opposition­sführer Alexei Nawalny. Am Nachmittag wurden etwa in Wladiwosto­k 400 bis 1000, in Nowosibirs­k 2000 Demonstran­ten gezählt, das Bürgerrech­tsportal OWD Info zählte bis 16 Uhr MEZ 113 Verhaftete. In Moskau hatte die Kundgebung bei Redaktions­schluss noch nicht begonnen.

Wladimir Putin erwähnte die Proteste mit keinem Wort. Was er von Leuten hält, die gegen ihn auf die Straße gehen, hatte er schon 2011 klargemach­t – mit einem Zitat der Riesenschl­ange Kaa aus dem „Dschungelb­uch“, die dumm-freche Banderlogi-affen erst hypnotisie­rt und dann erwürgt: „Banderlogi kommt zu mir!“

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FOTO: A. ZEMLIANICH­ENKO/DPA Wladimir Putin wendet sich an die Nation.

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