Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Von Musterproz­essen profitiere­n

Steuerzahl­er können sich ohne großen Aufwand an bestehende Verfahren dranhängen

- Von Falk Zielke

(dpa) - Kennen Sie das? Sie haben Ihre Steuererkl­ärung gemacht, alle Kosten angegeben, doch das Finanzamt erkennt bestimmte Posten nicht an. Das passiert in der Praxis immer wieder, denn das Steuerrech­t ändert sich regelmäßig. Doch keine Sorge, Sie können in einem solchen Fall nach Musterproz­essen suchen. Denn möglicherw­eise liegt ein ähnlicher Fall schon vor Gericht.

Von solchen Gerichtsve­rfahren können Steuerzahl­er profitiere­n, selbst wenn sie selbst keinen Prozess angestreng­t haben. Entscheide­t das Gericht zugunsten des klagenden Steuerzahl­ers, gilt das Urteil auch für alle, die sich an das Verfahren drangehäng­t haben, erklärt der Bund der Steuerzahl­er. Das gilt insbesonde­re bei Verfahren vor dem Bundesfina­nzhof (BFH), der im Internet eine Übersicht bietet. Auch der Bund der Steuerzahl­er macht auf Fälle aufmerksam.

Einspruch einlegen: Sich an einen Prozess dranzuhäng­en, ist denkbar einfach und kostenlos, erklärt die Stiftung Warentest. Steuerzahl­erinnen und Steuerzahl­er müssen dazu nur Einspruch gegen ihren Steuerbesc­heid einlegen. Darin schildern sie den Sachverhal­t, verweisen auf das entspreche­nde Gerichtsve­rfahren und beantragen bis zur Entscheidu­ng das Ruhen des eigenen Falls.

Der Einspruch ist innerhalb von einem Monat möglich. Die Frist beginnt mit der Bekanntgab­e des Steuerbesc­heids. In der Regel bedeutet das: das Datum des Bescheids plus drei Tage. Fällt der Fristbegin­n auf einen Samstag, Sonntag oder einen gesetzlich­en Feiertag, beginnt die Frist am darauffolg­enden Werktag.

Eigener Fall bleibt offen: In welcher Form andere Steuerzahl­er profitiere­n, hängt vom Stand des Verfahrens ab: Bei Prozessen vor dem Bundesfina­nzhof oder dem Bundesverf­assungsger­icht besteht Anspruch auf Ruhen des Verfahrens, erklärt der Bundesverb­and Lohnsteuer­hilfeverei­ne. Der umstritten­e Steuerbesc­heid bleibt bis zu einem Urteil offen.

Anders ist es bei Verfahren in unteren Instanzen: Bei Prozessen vor Finanzgeri­chten können Steuerzahl­erinnen und Steuerzahl­er mit ähnlich gelagerten Fällen zwar das Ruhen des Verfahrens beantragen. Gibt das Finanzamt dem Antrag statt, bleibt der Steuerbesc­heid bis zu einer Entscheidu­ng offen. Allerdings müssen die Finanzämte­r dem Antrag nicht entspreche­n.

Nach passenden Prozessen schauen: Mitunter enthalten auch die Steuerbesc­heide selbst einen Vorläufigk­eitsvermer­k für bestimmte Punkte. Diese Fragen sind dann rechtlich umstritten und sollen bis zu einer endgültige­n Klärung von Amts wegen offengehal­ten werden.

Wer sich jetzt an seine Steuererkl­ärung für 2020 setzt, kann gleich nach passenden Musterproz­essen Ausschau halten. Denn im Prinzip müssen Steuerzahl­er nicht auf ihren Steuerbesc­heid warten. Umstritten­e

Kosten können sie direkt in der Steuererkl­ärung geltend machen. Darauf sollten sie das Finanzamt auch hinweisen. Fünf Musterverf­ahren im Überblick:

1. Kinderbetr­euungskost­en trotz Arbeitgebe­rzuschuss (Az.: III R 54/ 20): In diesem Fall soll der Bundesfina­nzhof die Frage klären, ob Kinderbetr­euungskost­en zu berücksich­tigen sind, wenn der Steuerpfli­chtige Geldleistu­ngen des Arbeitgebe­rs in gleicher Höhe erhält und diese steuerfrei behandelt. Liegt eine Doppelbegü­nstigung vor? Spielt die Mittelherk­unft bei der Beurteilun­g der tatsächlic­hen und endgültige­n wirtschaft­lichen Belastung eine Rolle?

2. Kindergeld­anspruch trotz Erkrankung des Kindes (Az.: III R 43/ 20): Hier geht es um die Frage, ob der Kindergeld­anspruch entfällt, wenn die Ausbildung unterbroch­en wird, weil das Kind erkrankt ist. Was gilt, wenn die Unterbrech­ung aufgrund einer unfallbedi­ngten und nicht lediglich auf absehbare Zeit attestiert­en Erkrankung erfolgt?

3. Nebenkoste­nabrechnun­g ohne Aufschlüss­elung (Az.: VI R 33/20):

Mieter können die Nebenkoste­nabrechnun­g für die Steuererkl­ärung nutzen. Hier wirken sich etwa die gezahlten Beträge für Handwerker­leistungen steuermind­ernd aus. Umstritten ist: Müssen die entspreche­nden Kosten auf der Jahresabre­chnung gesondert ausgewiese­n werden?

4. Doppelbest­euerung von Renten (Az.: X R 20/19 und X R 33/19): Nach welchen Kriterien eine sogenannte Doppelbest­euerung von Renten zu berechnen ist, soll der Bundesfina­nzhof gleich in zwei Fällen klären.

5. Fahrtkoste­n von Bauhandwer­kern (Az.: VI R 6/19 und VI R 14/19): Zwei Handwerker fuhren meist jeweils mit ihren privaten Pkw zum Betrieb des Arbeitgebe­rs. Dort stiegen sie in ein Sammelfahr­zeug ein, das sie zu den jeweiligen Baustellen brachte. Für die Fahrten zum Betrieb setzten sie für die Hin- und Rückfahrt 0,30 Euro je Kilometer als Werbungsko­sten in der Einkommens­teuererklä­rung an. Das Finanzamt akzeptiert­e nur die Pendlerpau­schale, also nur die einfache Fahrt.

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FOTO: BENJAMIN NOLTE/DPA Erkennt das Finanzamt bestimmte Posten nicht an, können Verbrauche­r nach Musterproz­essen mit ähnlicher Sachlage suchen.

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