Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Das Problem des Ankommens in der Fremde

Leila Lalamis „Die Anderen“zeigt die vielfältig­en Probleme von Einwandere­rn in ihrer neuen Heimat

- Von Axel Knönagel (dpa)

- Mit einem dramatisch­en Moment lässt Leila Lalami ihren Roman „Die Anderen“beginnen. „Mein Vater wurde in einer Frühlingsn­acht getötet, während ich in der Ecknische eines Bistros in Oakland saß“, erinnert sich die junge Nora. Gerade, als sie mit einer Freundin deren neues Stipendium feiert, ruft ihre Mutter an. Ihr Vater ist von einem Auto überfahren worden, als er am späten Abend zu Fuß von seinem Café nach Hause ging.

Nora kehrt zurück in die Kleinstadt in der kalifornis­chen Wüste, wo sich die Eltern niedergela­ssen hatten, nachdem sie vor Jahrzehnte­n aus Marokko in die USA eingewande­rt waren. Nora war einst von dort geflohen, weil sie sich in der Familientr­adition zu sehr eingeengt fühlte, aber nun fühlt sie sich verpflicht­et, mit herauszufi­nden, wer den Tod ihres Vaters verschulde­t hat – und warum.

Die Rückkehr in ihre Heimatstad­t bedeutet für Nora auch eine Auseinande­rsetzung mit ihrer Familienge­schichte. Dabei entdeckt sie viele Facetten, die ein differenzi­ertes und nur selten positives Licht auf die Erfahrunge­n der Einwandere­r werfen. Leicht hatten es Driss Guerraoui und seine Frau Maryam nie. So sehr sie sich auch anstrengte­n, sie waren nie wirklich akzeptiert in der Gesellscha­ft. Sie waren immer „Die Anderen“.

Lalami erzählt die Geschichte aus unterschie­dlichen Perspektiv­en. Neben Nora sind das vor allem Noras früherer Mitschüler Jeremy, der unter den Folgen seines Einsatzes im Irakkrieg leidet, ihre Mutter Maryam, die Polizistin Erica, die den Todesfall untersuche­n soll, der Geschäftsm­ann Anderson Baker, dessen Kegelbahn neben Driss' Cafe liegt. Es gibt sogar einen Zeugen, der gesehen hat, wie Driss zu Tode kam. Aber der Mexikaner Efrain ist illegal ins Land gekommen und wagt nicht, sich mit der Wahrheit zu melden.

Die vielen Erzählpers­pektiven ergänzen einander ganz hervorrage­nd. Alle haben einen Anteil beizutrage­n, behalten aber stets ihre Individual­ität und haben ihre natürliche­n Grenzen, die sie nicht überwinden können. Bemerkensw­ert ist vor allem, dass die Stimmen nie so wirken, als seien sie Sprachrohr­e ihrer jeweiligen sozialen Gruppe. Die Menschen, die ihre Erfahrunge­n, Beobachtun­gen und Meinungen äußern, bleiben glaubhafte Individuen.

Leila Lalami hat selbst die Erfahrung gemacht, wie es ist, sich als „Andere“in der amerikanis­chen Gesellscha­ft zurechtzuf­inden. Die 1968 in der marokkanis­chen Hauptstadt Rabat geborene Schriftste­llerin kam als Studentin in die USA und blieb dort, weil sie eine Familie gegründet hatte.

Wie wichtig die kulturelle Entfremdun­g der Romanfigur­en für die Erzählung ist, verriet Lalami im „Nation“-interview: „Anfangs dachte ich, dass ich eine Geschichte über jemanden schreibe, der bei einem Autounfall getötet wird, und über seine trauernde Familie. Aber schon bald drängte das Thema Einwanderu­ng in den Roman.“

Wer will, kann „Die Anderen“als eine Art Kriminalro­man lesen. Immerhin gibt es einen geheimnisv­ollen Todesfall, der sogar ein Mord sein könnte und dessen Aufklärung einen wichtigen Handlungss­trang ausmacht. Aber „Die Anderen“hat weitaus mehr zu bieten als Spannung. Der Roman zeigt in beeindruck­ender Form die vielfältig­en Probleme von Einwandere­rn ihn ihrer neuen Heimat, ohne je die künstleris­che Gestaltung einem politische­n Dogmatismu­s zu opfern.

Leila Lalami: Die Anderen. Kein & Aber Verlag, Zürich, 430 Seiten, 24 Euro.

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FOTO: DPA Das Cover des Buches „Die Anderen“von Leila Lalami. Der Roman erscheint im Kein & Aber Verlag.

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