Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Interview „Unsere Bürokratie steht uns zum Teil im Weg“
Interview mit Staatssekretärin Petra Olschowski über Corona-hilfen für Kunstschaffende und ihre Tücken
RAVENSBURG - Petra Olschowski (Grüne) wird als Staatssekretärin im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-württemberg seit einem Jahr mit dem Problem konfrontiert, wie Künstlerinnen und Künstler durch die Zeit der Pandemie kommen. Katja Waizenegger hat sich mit ihr über aktuelle Hilfsprogramme, falsch ausgefüllte Anträge und ihre Verantwortung für Steuergelder unterhalten – und warum sie trotz Verständnis für die schwierige Lage der Kunstschaffenden keine Planungssicherheit bieten kann.
Welche Hilfsprogramme gibt es aktuell?
Von Seiten des Landes Baden-württemberg gibt es zwei Programme, die wir aktuell aufgelegt haben. Das eine ist die Fortsetzung von „Kunst trotz Abstand“, das Kultureinrichtungen und Ensembles unterstützt, die für den Sommer und den Herbst planen. Unser neues Programm ist ein Stipendium für Künstler und Künstlerinnen der unterschiedlichen Sparten, für das 15 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Die Höhe des Stipendiums beträgt 3500 Euro und nach drei Wochen sind schon 915 Bewerbungen eingegangen. Dieses Stipendium für junge, aber auch für erfahrene Künstler geht rein von der künstlerischen Arbeit aus, nicht von finanziellen Einbußen, die belegt werden müssten. Außerdem gibt es noch unseren Nothilfefonds für Kunst- und Kultureinrichtungen. Dieser hat ein Gesamtvolumen von 32,5 Millionen Euro.
Sind die Kassen nun geplündert und es folgen die dürren Jahre?
Das ist schwer zu sagen. Es laufen ja derzeit die Koalitionsverhandlungen zu den Vorhaben der nächsten Jahre. Und schon jetzt ist klar, dass es finanziell enger wird. Man muss natürlich bedenken, dass das Land auch durch die geleisteten Nothilfen in eine angespannte Haushaltssituation gekommen ist. Wir gehen aber davon aus, dass der Kulturbetrieb ab Herbst wirtschaftlich wieder in ein besseres Fahrwasser kommt.
Viele Künstler verzweifeln an den ihrer Meinung nach komplizierten Anträgen für finanzielle Hilfen. Wurden hier inzwischen Verbesserungen vorgenommen?
Die Hilfe, die wir ganz zu Beginn ausbezahlt haben wie der fiktive Unternehmerlohn, war die unbürokratischste Hilfe. Als der Bund dann die Abwicklung übernommen hat, ist es deutlich komplizierter geworden. Es gab aber auf der anderen Seite auch unglaublichen Nachprüfungsbedarf.
Also war es die Schuld der Künstler?
Das kann man so nicht sagen. Es ist einfach ein großer Aufwand für beide Seiten, weil ja sehr viele Anträge gestellt werden aus sehr unterschiedlichen Situationen heraus. Zugleich sagen uns all die, die mit den Abrechnungen zu tun haben, dass viele Fehler passieren. Zum Beispiel sind sehr viele Iban-nummern falsch angegeben worden. Dann muss in jedem Einzelfall überprüft werden, was ärgerlich und aufwendig ist. Es ist sicherlich auch manchmal zu Entscheidungen gekommen, die von den Antragstellern als ungerecht empfunden wurden. Es ist leider fast unmöglich, auf jede einzelne Berufsbiografie, jedes Schicksal einzugehen. Wir haben deshalb im letzten Jahr eine Beratungsstelle eingerichtet, bei der Mitarbeiter die Antragssteller durch den Förderdschungel leiten. Hätten wir im März 2020 gewusst, was auf uns zukommt, hätten wir strategisch vielleicht manches anders gemacht.
Was lässt sich daraus lernen?
Wir alle haben gelernt, dass unsere Bürokratie uns zum Teil im Weg steht. Aber es sind eben auch komplexe Verfahren. Und wir dürfen bei aller Kritik nicht vergessen, dass es Steuergelder sind, die ausbezahlt werden. Das heißt auch, dass es einen Nachweis über die Rechtmäßigkeit braucht.
Der Kulturbereich ist ja der am härtesten betroffene Bereich. Viele Künstler können seit einem Jahr nicht auftreten, manche bezeichnen das als Berufsverbot. Und viele verstehen nicht, warum die Hygienekonzepte, die entwickelt wurden, nicht anerkannt werden. Die Besucher sitzen mit Abstand und Maske im Konzertsaal, reden nicht miteinander, während sich Menschen im Supermarkt drängeln.
Es steckt ja ein System hinter den Regelungen, bei denen bestimmte Teile des gesellschaftlichen Lebens miteinander verknüpft werden. An den Einzelhandel sind die Museen gekoppelt: Wenn der Einzelhandel aufmachen darf, dürfen das auch die Museen. Wenn die Gastronomie öffnen darf, beginnt der Veranstaltungsbetrieb wieder. Es gibt also mittlerweile eine Linie. Tatsächlich ist das Risiko einer Ansteckung geringer, wenn Menschen in einem Veranstaltungsraum sitzen und nur zuhören. Das Problem ist: Wie kommen sie da hin? Was passiert im engen Foyer, an der Garderobe? Wenn Menschen sich auf den Weg machen, anstatt zu Hause zu bleiben, kommt es automatisch zu mehr Kontakten. Und Zusammenkünfte in Innenräumen sind nach Stand der Wissenschaft das, was am gefährlichsten ist. Könnte man sich ins Theater beamen, wäre das vielleicht anders – aber so weit sind wir noch nicht.
Was die Kunstschaffenden immer wieder vehement fordern, ist Planungssicherheit. Warum fällt es der Politik so schwer, diese zu schaffen?
Planungssicherheit ist das Wort, das ich im letzten Jahr am häufigsten gehört habe. Aber ich kann nur sagen: Wir haben auch keine. Wir machen uns Gedanken über Öffnungsstrategien, planen Pilotprojekte, arbeiten alles aus – und einen Tag später entwickeln sich die Inzidenzen anders als erhofft und wir packen alles wieder in die Schublade. Es klingt banal, aber man muss es immer wieder deutlich machen: Es gibt keine Entscheidung, die nicht mit der Entwicklung der Pandemie zusammenhängt. Und die können wir nicht beeinflussen. Zum Beispiel die Mutanten. Hätten wir die nicht, hätten wir seit März ganz andere Zahlen und könnten vieles längst wieder öffnen. Eine Pandemie, ausgelöst durch ein Virus, lässt genau eines nicht zu: Planungssicherheit.
Experten betonen, dass wir wohl lernen müssen, mit dem Virus zu leben. Es gibt die Luca-app, geplant ist ein wie auch immer geartetes Dokument, zum Beispiel ein Qr-code, das eine Imfpung, ein negatives Testergebnis oder einen Antikörpernachweis dokumentiert und damit den Zutritt zu einer Veranstaltung ermöglicht. Wie weit sind hier die Überlegungen?
Ob wir das bis zum Sommer elektronisch realisieren können, kann ich im Moment nicht sagen. Aber wir setzen auf dieses Dreierbündnis Luca-app, Impfnachweis und Test, damit wir möglichst im Juni wieder Veranstaltungen zulassen können. Aber ganz ehrlich, ich kann es nicht sagen. Wer weiß schon, welche Mutante noch kommt, ob die Impfstoffe dagegen wirken. Dennoch: Wir haben mit „Kunst trotz Abstand“ein Programm ausgeschrieben. Das hätten wir nicht getan, wenn wir nicht daran glauben würden, dass im Sommer wieder Veranstaltungen zumindest im Freien möglich sein werden.
Was lässt sich für die nächste Pandemie lernen?
Wir haben in der Krise gesehen, dass wir für freischaffende Künstlerinnen und Künstler insgesamt ein besseres System der Absicherung brauchen. Es gibt schon einiges, etwa die Künstlersozialkasse. Aber es muss noch mehr getan werden, zum Beispiel in Bezug auf angemessene Honorare und verbindliche Mindeststandards für die Vergütung von öffentlich geförderten Produktionen. Zudem müssen wir immer, auch in guten Zeiten, auf den Stellenwert von Kunst und Kultur aufmerksam machen. Wenn alles gut läuft, sind alle glücklich und vergessen oft, was für ein Kraftakt für alle Beteiligten nötig ist, um Kunst und Kultur auf hohem Niveau zu bieten.
Und wann erreichen wir das Licht am Ende des Tunnels?
Die Kultur ist von den Betriebsverboten am härtesten betroffen. Ich verstehe absolut die Verzweiflung der Künstlerinnen und Künstler. Ich bin mir aber sicher, dass die Impfungen greifen und wir dadurch im Sommer eine andere Situation haben werden. Und ich glaube fest daran, dass das Publikum zurückkommen wird – darüber machen sich ja manche Sorgen. Doch es gibt keine Anzeichen dafür, dass das Publikum wegbleiben könnte. Wir haben in der kurzen Zeit, in der die Museen geöffnet hatten, ein riesiges Interesse an den Ausstellungen erlebt. Das Bedürfnis nach Kultur ist den Menschen nicht abhanden gekommen. Deshalb möchte ich den Künstlerinnen und Künstlern sagen, dass das, was sie tun, für uns als Gesellschaft jetzt noch wichtiger ist als zuvor. Diese Krise ist für uns alle eine existenzielle Erfahrung. Und um die zu verarbeiten, brauchen wir Kunst und Kultur.