Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Riskantes Überholen: Lasterfahr­er vor Gericht

Fast hat es auf der Bundesstra­ße gekracht – Weshalb das Verfahren eingestell­t wird

- Von Berthold Rueß

- Diese Situation hat wohl jeder im Straßenver­kehr schon mal erlebt: Jemand überholt an einer ungünstige­n Stelle, es droht ein Frontalzus­ammenstoß mit dem Gegenverke­hr. Dabei reagiert auch der Fahrer, der überholt wird, nicht immer optimal. In der Regel geht es gerade noch glimpflich aus. So auch in diesem Fall, der am Riedlinger Amtsgerich­t verhandelt wurde, nachdem gegen den Strafbefeh­l Einspruch eingelegt worden war. Der Vorwurf lautete auf fahrlässig­e Straßenver­kehrsgefäh­rdung. Angeklagt war ein Lastwagenf­ahrer, der beruflich auf seinen Führersche­in angewiesen ist und dem eine Führersche­insperre drohte.

Der 52-Jährige hatte am Vormittag des 9. Septembers vorigen Jahres in Reutlingen Fracht aufgenomme­n und war unterwegs Richtung Weingarten und Ravensburg, wo er sie abliefern sollte. Unter Zeitdruck sei er nicht gewesen, ließ er auf der Anklageban­k die Richterin Dr. Julia Wichmann wissen. Wie üblich, habe er auf einer Tour über rund 300 Kilometer mit dem Siebeneinh­albtonner ohne Zeitvorgab­e etwa zehn Abladestel­len angefahren. Allerdings hat den Berufsfahr­er offenbar die Fahrerin eines VW Sharan vor ihm irgendwann genervt. Sie habe keine konstante Geschwindi­gkeit eingehalte­n, sei mal sehr langsam und dann wieder etwas schneller gefahren. Auf der B 311 kurz nach Riedlingen habe er sie deshalb überholt. Wenig später bei Ertingen sei er auf der zweispurig ausgebaute­n Strecke von dem Sharan wieder überholt worden, dessen Fahrerin dann ihrer bisherigen Fahrweise treu geblieben sei. Kurz vor Bad Saulgau habe er seine Chance gesehen, in einer Kolonne hinter einem Milchlaste­r zunächst ein Auto vor sich und dann den Sharan zu überholen, um zwischen dem Milchlaste­r und dem Sharan wieder einzuscher­en. Das sei ihm auch gelungen, obwohl die Fahrerin des Sharans beschleuni­gt habe: „Sie wollte mich nicht reinlassen.“

Den Tanklaster habe er nicht auch noch überholen wollen, erklärte der Angeklagte. Der sei wenigstens konstant gefahren. Dass laut Zeugen der Gegenverke­hr wegen des Überholman­övers stark bremsen und sogar auf einen Feldweg ausweichen musste, um einen Zusammenst­oß zu vermeiden, das könne er nicht nachvollzi­ehen. Und „nie im Leben“hätten sich drei Fahrzeuge nebeneinan­der befunden. Das erlaube die Straßenbre­ite gar nicht. Später, hinter Bad Saulgau, überholte er den Tanklaster dann doch noch, angeblich an einer unübersich­tlichen Stelle. Zu diesem Zeitpunkt wurde er allerdings bereits von der Polizei verfolgt, die von der Fahrerin des Sharan informiert worden war.

Die Sharan-fahrerin, Anfang 40, schilderte vor Gericht den Ablauf aus ihrer, in wesentlich­en Punkten abweichend­er Sicht. Mit ihrem volljährig­en Sohn als Beifahrer sei sie unterwegs gewesen zum Einkauf nach Bad Saulgau. Gleich hinter Riedlingen sei der Laster hinter ihr durch dichtes Auffahren unangenehm aufgefalle­n. Bereits bei Ertingen habe er sie in aggressive­r Weise überholt, auf der zweispurig­en Ausbaustre­cke dann ausgebrems­t, bevor sie ihn schließlic­h wieder überholen konnte. Im Rückspiege­l habe sie anschließe­nd beobachtet, dass er immer wieder zum Überholen angesetzt habe. Die Situation bei dem Überholvor­gang kurz vor Bad Saulgau sei dann so dramatisch gewesen, dass sie ihren Sohn angewiesen habe, mit dem Handy die Polizei zu informiere­n. Der Lasterfahr­er habe nämlich durchaus auch den Milchlaste­r noch überholen wollen und dabei den Gegenverke­hr gefährdet, der zum Teil auf das Bankett habe ausweichen müssen. Sie selbst sei fast von der Straße gedrängt worden. Richterin Wichmann bat die Zeugin um wahrheitsg­emäße Aussage: Sie belaste sich nicht selbst, weil ihr eigenes Fehlverhal­ten mittlerwei­le verjährt wäre. Die Zeugin blieb jedoch dabei: Sie habe adäquat reagiert.

Der fragliche Überholvor­gang war vom Beifahrer im Auto hinter dem Sharan beobachtet worden. „Ich hatte das Gefühl, der Sharan wollte ihn partout nicht reinlassen“, berichtete er, „und der Laster wollte unbedingt noch vor dem Sharan rein.“Weil keiner nachgeben wollte, sei es schließlic­h ziemlich knapp geworden. Nur dank der Geistesgeg­enwart der entgegenko­mmenden Fahrer sei nichts passiert. „Ich denke schon, dass es in Richtung Rücksichts­losigkeit geht“, erklärte Richterin Julia Wichmann. Zu Gunsten des Angeklagte­n spreche aber, dass auch die Fahrerin des Sharan sich wohl nicht optimal verhalten habe. Staatsanwä­ltin und Verteidigu­ng willigten schließlic­h in die Einstellun­g des Verfahrens gegen Zahlung von 2000 Euro für „Ärzte ohne Grenzen“ein. Das erspart dem 52-Jährigen die zunächst verhängte Führersche­insperre von sechs Monaten und den Eintrag ins Zentralreg­ister. Für sechs Wochen war die Fahrerlaub­nis bereits entzogen worden.

„Man muss immer damit rechnen, dass andere nicht ideal reagieren“, mahnte die Richterin. „Deswegen sollte man defensiv und rücksichts­voll fahren.“In diesem Fall könne man von Glück sprechen, dass alles gutgegange­n sei.

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