Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Baustelle extrem
Seit mehreren Jahren wird das Deutsche Museum in München saniert – 28 000 Exponate müssen mühsam ab- und aufgebaut werden – Bald könnten Besucher die ersten Bereiche wieder besichtigen
- Flügelteile des Windrads sind schon da, in luftiger Höhe hängen sie in dem abgedunkelten Raum, der groß ist wie eine Halle. Auch der berühmte erste Dieselmotor wird demnächst angeliefert. Noch liegt er verpackt im Depot auf dem Land. „Der sieht aus wie ein Christo-kunstwerk“, sagt Gerrit Faust, der Sprecher des Deutschen Museums. Bald, so Faust, findet dieser erste Dieselmotor von 1897 seinen Platz im neuen Museum – 20 PS Leistung, 4,5 Tonnen schwer, eine revolutionäre Antriebstechnik, die bis heute genutzt wird. Die Mitarbeiter werden dann auch dieses Exponat reinrollen – ganz langsam, ganz vorsichtig.
Auf der Münchner Museumsinsel, umspült von der türkisfarbenen Isar, wird ein Bauprojekt von Weltgröße gestemmt: Das Deutsche Museum erhält eine Generalsanierung. Klingt erst einmal nicht spektakulär. Ist es aber, wenn man sich mit dem Inneren des weltweit größten Technikmuseums befasst – und mit dem Äußeren des vor 96 Jahren eröffneten und nun ziemlich maroden Jahrhundertbaus.
Das von dem Architekten Gabriel von Seidl geplante und dem Ingenieur Oskar von Miller bestückte Haus steht unter Denkmalschutz. „Man muss es von innen heraus sanieren, das ist die Herausforderung“, sagt Sprecher Faust. Neben den wegen Corona ständig wechselnden Öffnungen und Schließungen befasst er sich seit Jahren vor allem mit dem Projekt.
Das Deutsche Museum kann man nicht für Jahre dichtmachen. Deshalb erfolgt die Sanierung in zwei Schritten: Von 2015 bis jetzt ist die südwestliche Hälfte dran, während die andere weiterhin geöffnet ist. Ende dieses Jahres soll, so die Planung, getauscht werden. Die sanierte Hälfte wird dann eröffnet, während die Bau- und Technikspezialisten
die andere in Angriff nehmen. Gerrit Faust meint mit Blick auf problemlosere Neubauten von Kunsthäusern: „Wir stellen hier nicht einfach ein Gebäude hin und hängen Bilder an die Wand.“
Innen wird gehämmert, gebohrt, geschraubt. Die Bautrupps und die Techniker laufen mit Schutzhelmen, Warnwesten und Stahlkappenschuhen umher. Treppenhäuser wurden abgebrochen und versetzt. Teilweise müssen die Böden verstärkt werden, denn einige Exponate wiegen bis zu sechs Tonnen. Überall zeigt sich auf dieser Baustelle der besonderen Art allmählich das künftige Aussehen: In der Raumfahrtausstellung findet sich die Replik des Mondautos und das Mondmodell. Der große Raketenmotor ist noch verpackt, am Modell der Internationalen Raumstation ISS wird gewerkelt.
Das Deutsche Museum, das sich den „Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik“verschrieben hat, ist bekannt und berühmt in der ganzen Welt. Viele waren schon im Bergwerk, ganz unten, das einen lebhaften Eindruck von der Enge und Stickigkeit, von den großen Maschinen zur Kohleförderung und der Dunkelheit unter Tage vermittelt. Das Bergwerk ist geöffnet.
Den maroden baulichen Zustand des alten Hauses vor der Sanierung beschreibt Sprecher Faust: „Führte die Isar Hochwasser, stand man im Bergwerk im Nassen.“Der Baustellenkoordinator Dieter Lang berichtet, dass meterdicke Pfeiler, die das Gebäude getragen haben, „wie Blätterteig waren“. Betonstützen im Untergeschoss, so sagt es Hausarchitektin Uta Dietze, „standen da quasi nur noch aus Gewohnheit“. Und Sprecher Faust meint, dass die Fluchtwege zu lang gewesen seien, es zu wenig Toiletten gab und die Besucher manchmal aufgrund mangelnder Orientierungshilfen „nicht wussten, wo sie sind“.
Die Sanierung ist diffizil, ein Projekt in dieser Art hat es in Europa noch nicht gegeben. Man muss zuvor wissen, welches Exponat wohin kommt. Man muss Gasund Starkstromanschlüsse einplanen, jede Steckdose hat genau einen richtigen Platz. Das Haus erhält eine Belüftung und im Musiksaal auch eine Klimaanlage – bisher wurde lediglich über die Fenster gelüftet, da kamen oftmals zu viele Insekten ins Gebäude.
Ein Großteil der 28 000 Exponate wurde aus dem Gebäude geräumt und ist in einem Depot in Oberbayern verstaut. Einige lassen sich aber aufgrund ihrer Größe nicht entfernen – etwa das Cockpit der Boeing 707 aus dem Jahr 1959, die aufgrund ihrer Geschwindigkeit und Größe ein Vorreiter für den kommerziellen Flugverkehr war. Die „Nase“, wie die Mitarbeiter sie nennen, wurde im Raum weggerollt. Der Boden erhält eine Spezialverstärkung, dann kommt das Cockpit wieder auf seinen Platz.
Anders ist es mit dem Flugzeug Junkers 52 aus dem Jahr 1942. Die bekannte „Tante Ju“wurde zerlegt und steht demnächst wieder zusammengebaut da. Das Auseinanderbauen ist nicht unproblematisch, gibt es doch von vielen Exponaten keine Baupläne. Die Techniker müssen genau hinschauen, welches Teil von wo stammt, damit man es wieder zusammenbekommt. Restaurator Reinharde Mücke von der Luftfahrtsammlung meint: „Jedes Auseinandermontieren, jeder Transport ist ein kleiner Tod. Kleine Beschädigungen lassen sich nicht vermeiden.“
Das Projekt ist schon mächtig ins Stolpern geraten. Das ursprünglich beauftragte Architektenbüro war überfordert und ging in Konkurs. Die Kosten sind in die Höhe geschnellt: Ursprünglich waren
445 Millionen Euro geplant, jetzt ist man bei 745 Millionen, die zur Hälfte vom Bund und vom Freistaat Bayern getragen werden. Angepeilter Eröffnungstermin für das komplett sanierte Museum mit 66 000 Quadratmetern Fläche war der
7. Mai 2025 – das wäre genau am 100. Geburtstag gewesen. Doch auch daraus wird nichts, nun soll die Fertigstellung bis 2028 geschehen. Wolfgang Heckl, der Generaldirektor des Museums, hält das nicht für sonderlich tragisch. „Es gibt keinen Zwang, zu einem bestimmten Termin fertig zu werden“, sagt er. Man habe ja immer ein geöffnetes Museum.
Ein solches Haus hat seine Fans. Gerrit Faust berichtet von einem Dauergast, der schon seit seiner Kindheit regelmäßig kommt. Bei einer Rekonstruktion kam man zu dem Ergebnis, dass er das Museum sicherlich schon mehr als 500-mal besucht hat. Ist er jeweils durchschnittlich vier Stunden geblieben, würde man auf fast drei Monate Lebenszeit kommen, die er auf der Museumsinsel verbracht hat. Dennoch entdeckt er in dem Haus immer wieder neue Sachen.
Bei der Wiedereröffnung am
8. März 2021 nach dem Lockdown vom Jahresbeginn stand der Augsburger Bernd Daubner schon um acht Uhr vor der Tür, auch wenn erst um neun geöffnet wurde. Der Museumsfan sprach von „Entzugserscheinungen“, die er hatte, und meint: „Ich kenne nichts Vergleichbares auf der Welt.“Die Treue zum Deutschen Museum reicht manchmal auch über viele Jahrzehnte: Museumsmitarbeiterin Angelika Hofstetter kennt ein Mitglied, dessen Eltern sowie Großeltern auch schon Mitglieder waren. In der Kartei finden sich Unterstützer selbst aus Japan und Neuseeland.
Draußen vor dem Haus steht ein Betonmischer, gerade werden die Fundamente für den neuen Eingangsbereich gegossen. Bauarbeiter bringen mit Schubkarren jede Menge Schutt weg. Drinnen ist ein Techniker dabei, das Modell des Simplontunnels einzubauen. Es zeigt den Querschnitt des 20-Kilometer-tunnels zwischen der Schweiz und Italien, 1906 eröffnet, ein Meisterwerk der Ingenieurskunst, noch heute in Betrieb.
Der Musiksaal hat eine neue Stuckdecke erhalten und als einziger Raum auch eine Klimaanlage. Gerade wird eine neue historische Orgel aufgebaut. Als letztes Exponat wird wohl das Foucault’sche Pendel in das sanierte Haus einziehen: An einem 60 Meter langen Seil befindet sich eine 30 Kilogramm schwere Stahlkugel. Es ist sicher eines der magischsten Exponate. Mitte des 19. Jahrhunderts konnte der Physiker Léon Foucault damit anschaulich zeigen, dass es die Erdrotation gibt.
Würden nicht die Corona-einschränkungen gelten, wäre es jetzt Zeit für ein Bier auf der neuen Dachterrasse mit dem fantastischen Rundum-münchen-blick. Die Gastronomie hat schon einen Namen: „Frau im Mond“. Die Museumsmitarbeiter witzeln darüber, dass sie im ausgestellten historischen Braukessel selbst Bier brauen könnten. Marke „Eulenbräu – das erste Bier, das schlau macht“.