Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
430 Kilometer für die Weißbier-party
Die Bayern können in Mainz die Meisterschaft klarmachen – Neben Freude gibt es auch Ärger
- In diesen unsteten Zeiten ist ein Flachs mit einer Prise Ironie ein guter Begleiter, wenn er denn wohldosiert eingesetzt wird. Und so schaute Bayern Münchens Cheftrainer Hansi Flick am Freitagmittag während der Videopressekonferenz zu Pressesprecher Dieter Nickles herüber und meinte süffisant zur Nachfrage, ob – und falls ja – wie die Mannschaft den Gewinn der Meisterschaft am Samstag feiern könnte: „Haben wir das P1 gebucht, Dieter?“Die Indiskothek, in der früher Bayerns legendäre Titelpartys mit Feierbiestern wie Basler, Elber & Co. stattfanden, kann keine Anlaufstelle sein. Man bleibt unter sich in Corona-zeiten.
„Wir hoffen, dass wir vor 22 Uhr zu Hause sind. Es ist Spontanität gefragt und die haben die Spieler“, ergänzte Flick und fügte hinzu: „Einer hat gesagt, es wäre gut, wenn wir mit dem Bus zurückfahren würden.“Von der „Opel Arena“in Mainz sind es bis zur Säbener Straße in München etwas mehr als 430 Kilometer. Genug Zeit für eine Bier- oder Champagnerparty in der Mannschaftsbus-blase. Nachtanken an Autobahnraststätten nicht ausgeschlossen.
Was vorher noch zu tun ist? Ach ja, das Spiel beim FSV Mainz (15.30 Uhr, Sky) gewinnen, wobei der von seiner Bänderdehnung im Knie genesene Torjäger Robert Lewandowski sein Comeback nach vier Wochen Pause gleich in der Startelf feiern könnte. Fünf Treffer fehlen dem Welttorjäger noch, um den Rekord von Gerd Müller (40 Tore in der Saison 1971/72) zu egalisieren. „Er hat das große Ziel, den Rekord zu knacken. Er ist in einer guten Verfassung, das hat er im Training gezeigt. Wir werden ihn natürlich unterstützen, aber im Fokus steht erst einmal die Meisterschaft“, so Flick, „die wollen wir so schnell wie möglich einfahren.“
Nur bei einem Sieg wäre bereits am Samstag der 31. Meistertitel der Vereinsgeschichte, davon 30 seit Gründung der Bundesliga, eingetütet und damit die Operation „alle Neune“vollendet. Der letzte Meister vor Bayern? 2012, Borussia Dortmund unter Jürgen Klopp. Für Hansi Flick ist es die zweite Schale in seinem zweiten und letzten Jahr bei Bayern, der siebte Titel insgesamt seit er im November 2019 als Assistent des entlassenen Niko Kovac zum Cheftrainer befördert wurde. Zum Saisonende trennen sich die Wege des Rekordmeisters und des Rekordtrainers, der nach der EM wohl Nachfolger von Bundestrainer Joachim Löw wird. Nach dem 3:2 in Wolfsburg am letzten Samstag überrumpelte Flick die Vereinsbosse, indem er seine interne
Bitte um Auflösung seines bis 2023 dotierten Vertrages in einem Tv-interview öffentlich machte. Nach Differenzen um Personal und Transfers war der Machtkampf mit Sportvorstand Hasan Salihamidzic eskaliert, ein Miteinander nicht mehr möglich. Die brüskierten Chefs maßregelten Flick umgehend für das Vorpreschen.
„Es sind Grenzen überschritten, das ist ein No-go!“
Am Freitag zog Flick eine Art Vorab-bilanz seiner (für viele zu kurzen) Ära: „Es können wenige in der Historie von Bayern sagen, dass sie sieben Titel in zwei Jahren geholt haben. Und da hat Brazzo auch einen ganz enormen Anteil daran.“Sportvorstand Salihamidzic und seine Familie hatten nach dem Zoff mit Flick üble Anfeindungen und Beleidigungen im Internet ertragen müssen. Auf der Seite „change.org“starteten Gegner des 44-Jährigen eine Petition mit dem Titel „Pro Hansi Flick, Brazzo raus!“, bei der schon über 70 000 Menschen unterschrieben haben. Beim Thema der Anfeindungen wurde Flick deutlich: „Bei allen Dingen, die Hasan und ich in den letzten Wochen hatten, ist das eine Sache, die ich absolut
Hansi Flick verurteilt die Angriffe auf Hasan Salihamidzic missbillige und das geht überhaupt nicht. Es sind Grenzen überschritten, das ist ein No-go! Bei uns ist es nie ins Persönliche gegangen. Mir ging es immer um den Weg, den man gemeinsam macht. Wir haben einen anderen Ansatz, denken über Dinge anders. Aber das hat nichts damit zu tun, dass wir uns persönlich nicht schätzen. Ich habe seine Frau kennengelernt und er hat eine tolle Familie.“
Versöhnliche Töne am Ende eines Zoff- und Trophäenjahres, über das Flick sagte: „Ich bin froh, wenn die Saison vorbei ist und wir alle ein bisschen durchschnaufen können.“Und über die Zukunft sprechen. Schon nächste Woche, da die Bayern aufgrund der Pokalhalbfinals (schon ausgeschieden) am kommenden Wochenende nun eine 14-tägige Spielpause haben werden? Wie angekündigt, will Flick erst mit den Bayernbossen wegen der Vertragsauflösung reden. Danach mit dem DFB?