Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Alle Fäden in einer Hand
Martin Mosebach erzählt in seinem Roman „Krass“eine unglaubliche Geschichte anschaulich – und amüsant
Harmlos und verspielt kommt auf den ersten Blick das neue Buch von Martin Mosebach daher. Das Titelblatt zeigt auf rotem Grund ein schnäbelndes Finkenpärchen. „Krass“, der Titel des Romans, baut den größtmöglichen Gegensatz zum Bild auf. Es ist der sprechende Name der Hauptfigur. Ralph Krass ist vermutlich Waffenhändler, so genau erfährt man das nicht, jedenfalls kein ehrbarer Kaufmann. Sauber sind seine Geschäfte nicht, doch offenbar sehr lukrativ.
Krass lässt sich von seinem Adlatus, dem promovierten Kunsthistoriker Jüngel, das Geld im Koffer hinterhertragen. Zur Inszenierung seiner Großspurigkeit umgibt er sich mit einer mehr oder weniger illustren Entourage, die er aushält, in teure Restaurants und dito Hotels ausführt. Jüngel ist der Impresario dieses Zirkus:
Er muss die Menüs bestellen, Kunstwerke erklären, eine Immobilie auf Capri suchen und – wenn es Krass beliebt – ihm eine geheimnisvolle junge Frau zuführen, die Assistentin eines Zauberkünstlers.
Das alles ist reichlich unglaubwürdig, aber höchst elegant formuliert. Die Figuren sind so präzise beschrieben, dass man glaubt, einem solchen Exemplar Mensch schon einmal begegnet zu sein. Im Kopf entsteht ein Film, eine dieser charmanten amerikanischen Komödien aus den 1960er-jahren, als die Menschen noch schöne Kleider trugen und nicht in zerfetzten Jeans herumliefen.
Doch der Roman beginnt im Jahr 1988 in Neapel und endet im Jahr 2008 in Kairo. (Zeit)geschichte freilich spielt keine Rolle. Glasnost? Mauerfall? Wiedervereinigung? Fehlanzeige. Man darf davon ausgehen, dass dies Absicht ist. Mosebachs Opus ist ein bewusst manieristisches Konstrukt. Jeder der drei Teile dieser ausgeklügelten Komposition spielt im Titel mit musikalischen Satzbezeichnungen: Das „Allegro imbarazzante“(„Peinliches Allegro) kündigt die bizarren Selbstinszenierungen des Alleinherrschers Krass an; im „Andante pensieroso“(„Nachdenkliches Andante“) folgen wir einem grüblerischen Dr. Jüngel. Und der Titel Trauermarsch – „Marcia funebre“– spricht für sich selbst.
Jeder dieser Teile umfasst etwa gleich viel Seiten. Und bis auf den mittleren, in dem Dr. Jüngel das Publikum als Tagebuchschreiber an seiner Verwandlung vom Knecht zum Herrn teilhaben lässt, werden die Vorgänge und handelnden Personen von einem über allem schwebenden Autorengott gelenkt. Er lässt keinen Zweifel daran, dass er immer die Fäden in der Hand hat. Mit einem Lächeln nehmen wir ihm die unglaublichsten Zufälle dieser unglaublichen Geschichte ab.
Martin Mosebach: Krass. Roman, 525 Seiten. Rowohlt Verlag, 25 Euro.