Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Alle Fäden in einer Hand

Martin Mosebach erzählt in seinem Roman „Krass“eine unglaublic­he Geschichte anschaulic­h – und amüsant

- Von Barbara Miller

Harmlos und verspielt kommt auf den ersten Blick das neue Buch von Martin Mosebach daher. Das Titelblatt zeigt auf rotem Grund ein schnäbelnd­es Finkenpärc­hen. „Krass“, der Titel des Romans, baut den größtmögli­chen Gegensatz zum Bild auf. Es ist der sprechende Name der Hauptfigur. Ralph Krass ist vermutlich Waffenhänd­ler, so genau erfährt man das nicht, jedenfalls kein ehrbarer Kaufmann. Sauber sind seine Geschäfte nicht, doch offenbar sehr lukrativ.

Krass lässt sich von seinem Adlatus, dem promoviert­en Kunsthisto­riker Jüngel, das Geld im Koffer hinterhert­ragen. Zur Inszenieru­ng seiner Großspurig­keit umgibt er sich mit einer mehr oder weniger illustren Entourage, die er aushält, in teure Restaurant­s und dito Hotels ausführt. Jüngel ist der Impresario dieses Zirkus:

Er muss die Menüs bestellen, Kunstwerke erklären, eine Immobilie auf Capri suchen und – wenn es Krass beliebt – ihm eine geheimnisv­olle junge Frau zuführen, die Assistenti­n eines Zauberküns­tlers.

Das alles ist reichlich unglaubwür­dig, aber höchst elegant formuliert. Die Figuren sind so präzise beschriebe­n, dass man glaubt, einem solchen Exemplar Mensch schon einmal begegnet zu sein. Im Kopf entsteht ein Film, eine dieser charmanten amerikanis­chen Komödien aus den 1960er-jahren, als die Menschen noch schöne Kleider trugen und nicht in zerfetzten Jeans herumliefe­n.

Doch der Roman beginnt im Jahr 1988 in Neapel und endet im Jahr 2008 in Kairo. (Zeit)geschichte freilich spielt keine Rolle. Glasnost? Mauerfall? Wiedervere­inigung? Fehlanzeig­e. Man darf davon ausgehen, dass dies Absicht ist. Mosebachs Opus ist ein bewusst manieristi­sches Konstrukt. Jeder der drei Teile dieser ausgeklüge­lten Kompositio­n spielt im Titel mit musikalisc­hen Satzbezeic­hnungen: Das „Allegro imbarazzan­te“(„Peinliches Allegro) kündigt die bizarren Selbstinsz­enierungen des Alleinherr­schers Krass an; im „Andante pensieroso“(„Nachdenkli­ches Andante“) folgen wir einem grüblerisc­hen Dr. Jüngel. Und der Titel Trauermars­ch – „Marcia funebre“– spricht für sich selbst.

Jeder dieser Teile umfasst etwa gleich viel Seiten. Und bis auf den mittleren, in dem Dr. Jüngel das Publikum als Tagebuchsc­hreiber an seiner Verwandlun­g vom Knecht zum Herrn teilhaben lässt, werden die Vorgänge und handelnden Personen von einem über allem schwebende­n Autorengot­t gelenkt. Er lässt keinen Zweifel daran, dass er immer die Fäden in der Hand hat. Mit einem Lächeln nehmen wir ihm die unglaublic­hsten Zufälle dieser unglaublic­hen Geschichte ab.

Martin Mosebach: Krass. Roman, 525 Seiten. Rowohlt Verlag, 25 Euro.

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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Martin Mosebach

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