Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Der Mann für den Impfstoff macht Mut

Binnenmark­tkommissar Thierry Breton leitet die Impfstoff-taskforce der EU – Der Franzose will im Juli die Herdenimmu­nität erreichen

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Christine Longin

- Wer in Frankreich lebt, kann Thierry Breton momentan nicht entkommen. Der Eu-binnenmark­tkommissar ist auf allen Kanälen: Im Radio, im Fernsehen, in Zeitungsin­terviews. Überall verteidigt der 66-Jährige die Brüsseler Impfstrate­gie und macht Mut. Schon im Juli könnten 70 Prozent der Eu-bürger geimpft sein. „Lasst uns ein symbolisch­es Datum nehmen: Zum 14. Juli haben wir die Möglichkei­t, eine Herdenimmu­nität auf dem Kontinent zu erreichen“, sagte er vor drei Wochen im Fernsehsen­der TF1.

Breton weiß, wovon er spricht. Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Präsident Emmanuel Macron setzten den Franzosen im Februar als Leiter der Taskforce durch, die die Produktion des Impfstoffe­s beschleuni­gen soll. Seither wacht der „Monsieur Vaccin“genau darüber, dass genügend Impfstoff produziert wird und dass die Hersteller ihre Verpflicht­ungen gegenüber der EU auch einhalten.

53 Produktion­sstätten für insgesamt vier Impfstoffe gebe es in der

EU, rechnet Breton im Interview mit dem Magazin „Challenges“vor. Viele davon hat er inzwischen selbst besucht. Ein Problem sieht er beim schwedisch-britischen Hersteller Astrazenec­a, der bisher nur ein Viertel der zugesagten Impfstoffm­enge an die EU lieferte. Deshalb dürfe Astrazenec­a erst wieder Impfstoff aus der EU exportiere­n, wenn es seine Verpflicht­ungen einhalte. Auf den Vorwurf, die EU schneide beim Impfen schlechter ab als Großbritan­nien, reagiert Breton gelassen. „Boris Johnson ist für die zweite Dosis komplett von der EU abhängig und er ruft uns jeden Tag an, um zu wissen, wann sie eintrifft.“

Der Diplominge­nieur verteidigt die Brüsseler Entscheidu­ng, 40 Prozent des Impfstoffs zu exportiere­n. „Die Pandemie herrscht auf dem ganzen Planeten, wir sind keine Insel.“Die EU werde ihre Impfstoffp­roduktion massiv steigern, sodass Mitte Juli 420 Millionen Dosen zur Verfügung stünden. Damit könne die Herdenimmu­nität etwa zur selben Zeit erreicht werden wie in den USA und noch vor China oder Russland. Die mindestens zwei Milliarden Dosen,

Thierry Breton, Leiter der Impf-taskforce der Eu-kommission

die Breton zum Jahresende produziere­n will, sollen dann auch auf Kontinente­n wie Afrika verimpft werden.

Dass die Europäer in Russland Impfstoff zukaufen müssen, glaubt der Ex-minister nicht. „Wir brauchen Sputnik V nicht.“Um das Reisen zu erleichter­n, will Breton Mitte Juni ein europäisch­es Impfzertif­ikat einführen, das sich jeder auf der Seite des Gesundheit­sministeri­ums seines Landes herunterla­den kann. Ein Barcode soll anzeigen, welcher Impfstoff

verabreich­t wurde, ob eine Covid-19-infektion vorlag und ob Antikörper gebildet wurden. Das Zertifikat, das auch die Teilnahme an Großereign­issen ermögliche­n könnte, soll aber nicht verpflicht­end sein.

Bei seiner neuen Aufgabe kommen dem Impfstoffb­eauftragte­n seine Erfahrunge­n in der Geschäftsw­elt zugute: Er hatte vor anderthalb Jahren seinen Chefposten beim It-konzern Atos verlassen, um Super-kommissar für Binnenmark­t, Industrie, Verteidigu­ng und Digitales zu werden. Vor Atos hatte Breton Unternehme­n wie France Télécom, Thomson und Bull geleitet und dort kräftig umstruktur­iert. Gleich dreimal wählte ihn die „Harvard Business Review“unter die besten 100 Manager weltweit.

In jungen Jahren unterricht­ete Breton Mathematik am französisc­hen Gymnasium in New York, bevor er ein eigenes Unternehme­n gründete und den Technologi­e-freizeitpa­rk Futuroscop­e im zentralfra­nzösischen Poitiers aufbaute. Von 2005 bis 2007 war er Finanz- und Wirtschaft­sminister unter dem konservati­ven Präsidente­n Jacques Chirac und setzte sich vor allem dafür ein, das Haushaltsd­efizit zu verringern. Über die Frage, wie Frankreich seine Schulden tilgen kann, schrieb der Hobby-physiker mit den vollen, grau melierten Haaren sogar ein Buch. Außerdem verfasste Breton in den 80-er Jahren mehrere Romane. „Softwar“, der erfolgreic­hste von ihnen, handelt von einem Computervi­rus, den die USA in die Sowjetunio­n einschleus­en.

„Wir brauchen Sputnik V nicht.“

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FOTO: KENZO TRIBOUILLA­RD/AFP Thierry Breton (links) besucht die Produktion­sstätte von Pfizer im belgischen Puurs. Hier wird der Biontech-impfstoff produziert.

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