Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Landrat und Uni-chef: „Die Situation ist ernst“

Heiner Scheffold und Professor Dr. Udo X. Kaisers sprechen über die Lage der Intensivst­ationen der Region

- Von Tobias Götz

- Die Lage auf den Intensivst­ationen im Alb-donau-kreis und dem Stadtkreis Ulm ist ernst. Sehr ernst sogar. Lediglich 17 Intensivbe­tten stehen Stand Montag noch zur Verfügung. Sowohl Landrat Heiner Scheffold als auch Professor Dr. Udo X. Kaisers, Leitender Ärztlicher Direktor und Vorstandsv­orsitzende­r der Uniklinik Ulm, sind besorgt. Denn die Patienten der Intensivst­ationen werden immer jünger.

Es sind die nackten Zahlen des Divi-intensivre­gisters, die an diesem Montag der ersten Maiwoche den Verantwort­lichen große Sorgen machen. Denn im Alb-donau-kreis sind in den Kliniken Ehingen und Blaubeuren alle 16 Intensivbe­tten belegt, fünf davon mit Covid-19-patienten. Beim Blick in den Stadtkreis Ulm schaut es ebenfalls besorgnise­rregend aus. Von 122 Intensivbe­tten sind 105 belegt, 38 davon mit Covid-19-patienten. „17 freie Betten sind marginal“, sagt Professor Dr. Udo X. Kaisers, der noch ganz andere Sorgen beim Blick auf die Zahlen hat: „Die Intensivst­ationen im Alb-donau-kreis und Stadtkreis Ulm sind sehr stark beanspruch­t. Die Situation ist weitaus dramatisch­er als noch während der ersten Welle, als wir hauptsächl­ich betagtere Menschen auf den Intensivst­ationen hatten.“

Professor Dr. Udo X. Kaisers schildert dabei exemplaris­ch einen Fall, der nicht nur ihm und seinen Intensivkr­äften verdeutlic­ht, wie ernst die Lage und vor allem wie heftig die britische Virusmutat­ion derzeit das Corona-geschehen bestimmt. Kaisers spricht von einem jungen, sportliche­n, gesunden 25-jährigen Mann, der morgens mit einem „schlechten Gefühl“zum Hausarzt gegangen ist und abends invasiv beatmet werden musste. „Es trifft nun jüngere Menschen zwischen

20 und 60 Jahren ohne wesentlich­e Nebenerkra­nkungen“, sagt Professor Kaisers.

Für Landrat Heiner Scheffold, der in sehr engem Kontakt mit Kaisers, der Uni und den Kliniken im Alb-donau-kreis steht, ist daher eines in der jetzigen Situation klar:

„Ich möchte keine Panik verbreiten. Aber bei der Bekämpfung der Pandemie sollten wir nicht nur auf die 7-Tage-inzidenzen schauen, sondern einen Blick auf die Lage der Intensivst­ationen werfen. Und hier schlagen die Intensivme­diziner seit Wochen Alarm.“Denn auch in den umliegende­n Landkreise­n sieht es nicht besser aus.

Für Scheffold liegt eines der aktuellen Probleme vor allem darin, dass seiner Ansicht nach die öffentlich­e Wahrnehmun­g im Vergleich zur ersten Welle vor rund einem Jahr eine „völlig andere geworden ist“. „Heute sind bundesweit 10 000 Infizierte und 100 Todesfälle pro Tag ja beinahe schon normal. Das ist schon heftig“, sagt der Landrat und verweist darauf, dass während der ersten Welle viele Menschen noch unter dem Eindruck der schlimmen Bilder aus dem italienisc­hen Bergamo gestanden haben. „Was wir jetzt bei uns hier haben, sind volle Intensivst­ationen und viele abgesagte elektive Operatione­n“, so Scheffold. Gerade bei den elektiven, sprich planbaren

Eingriffen, so Scheffold, entstünde derzeit ein falsches Bild in der Öffentlich­keit. „Es geht hier nicht nur um eine verschoben­e Knie-op. Derzeit

müssen beispielsw­eise auch lebenswich­tige Tumoropera­tionen verlegt werden. Diese Operatione­n sind zwar geplant, aber auch zwingend notwendig“, betont der Landrat, den noch eine weitere Sorge umtreibt. „Die Intensivst­ationen sind bei 80 Prozent Auslastung quasi voll belegt. Denn jederzeit können Unfälle und sonstige Notfälle hinzukomme­n. Das führt dazu, dass die Reaktionsm­öglichkeit­en begrenzt sind“, sagt Scheffold, der dann auch die Qualitätsf­rage der Intensivme­dizin anspricht und hier mit Professor Dr. Udo X. Kaisers einen ausgewiese­nen Experten hat, der die Lage deutlich macht:

„Eine Intensivpf­legekraft braucht eine fünfjährig­e Ausbildung und dann viel Berufserfa­hrung. Intensivkr­äfte sind der Goldstaub, ohne den nichts geht.“Daher ist es auch nicht so einfach, lediglich die Zahl der Intensivbe­tten oder Beatmungsg­eräte zu erhöhen. „Der berühmte Flaschenha­ls sind die Mitarbeite­r. Sie sind der Schlüssel beim Aufstocken der Kapazitäte­n. Und einfach eine Pflegekraf­t von der Normalstat­ion auf die Intensivst­ation zu versetzen, ist nicht möglich. Zudem würde diese Arbeitskra­ft dann auch auf der Normalstat­ion fehlen“, erläutert der Landrat.

Ein ganz anderes Problem indes ist laut Professor Dr. Udo X. Kaisers auch die Belastung und die neue Situation, mit der sich die Intensivkr­äfte in dieser dritten Welle, die laut vielen Experten ihren Höhepunkt in dieser Woche erreichen soll, befassen müssen. „Wir haben eine sehr hohe Sterblichk­eit der Intensivpa­tienten, die mit Covid-19 infiziert sind. Bis zu 50 Prozent der schwer erkrankten, beatmeten Patienten sterben. Wir haben mittlerwei­le viele jüngere Menschen auf der Intensivst­ation, die teilweise dort fünf Wochen lang um ihr Leben kämpfen“, sagt Kaisers und betont: „Und dann haben wir die Intensivkr­äfte, deren Arbeitseth­os es ist, den Menschen zu helfen. Jeder ist dabei seit mehr als einem Jahr bereit, die berühmte Extrameile zu gehen. Wenn aber trotz maximalem Einsatz die

Menschen sterben, ist das äußerst deprimiere­nd. Die Pflegekräf­te arbeiten bis zum Umfallen, aber das Empfinden einer gewissen Hilflosigk­eit bei schweren Fällen ist hochgradig deprimiere­nd“, betont Kaisers, der zumindest eine Nachricht im Gepäck hat, die perspektiv­isch Mut machen kann. „Wir müssen alles dafür tun, die Infektions­zahlen so stark wie möglich zu reduzieren. Was wir jetzt zumindest wahrnehmen, ist eine gewisse Seitwärtsb­ewegung bei den Intensivza­hlen. Die Tendenz geht Richtung Abnahme der Fälle“, so der Ulmer Uni-boss.

Für Landrat Heiner Scheffold ist die Zusammenar­beit mit dem Albdonau-klinikum und den Kliniken in Ulm „essentiell“. „Die regionale Kooperatio­n läuft ausgesproc­hen gut. Da gibt es weder Konkurrenz­denken noch persönlich­e Eitelkeite­n. Die Abstimmung zwischen den einzelnen Häusern ist sehr eng, wir haben auch kurze Drähte zum DRK und zum Pandemiebe­auftragten Andreas Rost“, so der Landrat, der sich, wie seine Mitarbeite­r, täglich mit Corona beschäftig­t.

Dabei habe er die Wahrnehmun­g, dass es eine „Welt da drinnen, die täglich gegen die Pandemie und ihre Folgen kämpft“und eine „Welt da draußen, die oft zu wenig an Corona denkt“gebe, was zunehmend schwierige­r werde. „Wir müssen schon aufpassen. Denn 40 Prozent der Intensivpa­tienten sind derzeit Covid-19-fälle. Das ist sehr viel. Deshalb müssen wir als Bevölkerun­g alles daran setzen, dass das Virus nicht von Mensch zu Mensch übertragen wird. Wir müssen uns an die Coronarege­ln halten. Ich habe die große Hoffnung, dass wir durch die Impfungen und die Testmöglic­hkeiten im Juni und Juli einen großen Schritt weiterkomm­en. Je mehr wir uns jetzt an die Regeln halten, desto früher werden wir lockern können.“

Das sieht auch Professor Dr. Udo X. Kaisers so, der betont: „Die Menschen haben es in der Hand, wie es in der Region Ulm, Alb-donau weitergeht. Ich kann es verstehen, dass der Mai Lust auf mehr Öffnung macht. Deswegen hoffe ich, dass wir mit dem jetzt höheren Impftempo bald, im Juni und Juli, das sprichwört­liche Licht am Ende des Tunnels sehen werden. Denn durch sinkende Fallzahlen sinkt auch die Wahrschein­lichkeit der Virusmutat­ionen.“

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FOTO: GRUBITZSCH/DPA Die Lage auf den Intensivst­ationen im Alb-donau-kreis und in Ulm ist sehr ernst.
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Professor Dr. Udo X. Kaisers
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Heiner Scheffold

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