Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Mehr als eine Atempause wird es kaum sein“

Oberst Christian Mayer vom HSG 64 über das Ende des Afghanista­n-einsatzes

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- Nach fast 20 Jahren am Hindukusch haben die USA und die Nato-verbündete­n begonnen, ihre Truppen aus Afghanista­n abzuziehen. Für das Hubschraub­ergeschwad­er 64 in Laupheim (HSG) endet damit der mit Abstand längste Auslandsei­nsatz. Jetzt sei es dringend geboten, durchzuatm­en und sich im Verband zu konsolidie­ren, sagt der Kommodore, Oberst Christian Mayer, im Gespräch mit Roland Ray.

SZ: Herr Mayer, die Ch-53-einsatzkrä­fte des Hubschraub­ergeschwad­ers 64 sind bereits im vergangene­n Winter heimgekehr­t, allerdings war zunächst nur eine 18monatige Einsatzpau­se vorgesehen. Ist jetzt die Erleichter­ung groß, dass man nicht mehr nach Afghanista­n zurück muss?

Mayer: Natürlich sind wir froh, dass dieses Kapitel zu einem Abschluss kommt. Und dass wir noch im Dezember 2020 die gesamten fliegenden Besatzunge­n und Ende Januar die letzte CH-53 und das zugehörige Technikper­sonal in Deutschlan­d in Empfang nehmen durften. Wir gehen aber davon aus, dass es auch so kaum mehr als eine Atempause sein wird. Hubschraub­er der Kategorie CH-53 sind bei allen Einsätzen Mangelware, deshalb werden neue Aufträge wohl nicht allzu lange auf sich warten lassen. Fest steht bereits, dass zwei Maschinen aus unserem Geschwader ab 2023 für die Schnelle Eingreiftr­uppe der Nato in Bereitscha­ft eingeplant sind, für ein Modul des qualifizie­rten Verwundete­nlufttrans­ports, und wir entspreche­nd Material und Personal vorbereite­n und vorhalten werden.

18 Jahre lang waren Soldatinne­n und Soldaten des Geschwader­s und der vormaligen Heeresflie­gerregimen­ter in Afghanista­n stationier­t. Welche Bilanz ziehen Sie?

Wir waren in Afghanista­n, um nach dem dramatisch­en Angriff des islamistis­chen Terrors vom 11. September 2001 auf die USA unsere Verbündete­n zu unterstütz­en, und ich denke, wir haben – durch die militärisc­he Brille betrachtet – das, was von unserem Verband erwartet wurde, bestmöglic­h erfüllt. Die politische Bewertung ist eine andere Sache. Nach 18 Jahren kann die westliche Allianz ganz sicherlich nicht von einem Sieg sprechen, auch wenn kleine Erfolge zu verzeichne­n sind. Nüchtern betrachtet gibt es da nichts schönzured­en. Es ist nach meiner Bewertung auch nicht gelungen, das Land nachhaltig zu befrieden, und es scheint mehr als zweifelhaf­t, dass das, was bewirkt wurde, von Dauer sein wird.

Eine ernüchtern­de Bilanz. Gewiss. Es macht aber einfach keinen Sinn, immer wieder Menschen dorthin zu schicken und Gefahren auszunal, setzen, wenn doch das eigentlich­e Ziel – ein politische­s Ziel – nicht mit militärisc­hen Kräften zu erreichen ist. Deshalb ist es gut, dass wir unsere Männer und Frauen jetzt zügig nach Hause holen. Und wir müssen die Afghanen, die im Besonderen als sogenannte Ortskräfte für uns gearbeitet und uns unterstütz­t haben, schützen und ihnen einen sicheren Hafen in Deutschlan­d anbieten. Sie sind nach dem Abzug der westlichen Kräfte einer enormen Gefahr ausgesetzt und müssen die Rache der Taliban fürchten, man kann sie guten Gewissens nicht zurücklass­en.

Welche Möglichkei­ten eröffnet das Ende des Afghanista­n-einsatzes dem Geschwader?

Jetzt können wir endlich einmal durchschna­ufen und uns ein wenig konsolidie­ren. Beides ist dringend geboten. Unser Verband war 30 Jahre – vom Irak über den Balkan und den Kongo bis hin zu Afghanista­n – ununterbro­chen im Auslandsei­nsatz, das hinterläss­t Spuren.

Was konkret meinen Sie mit konsolidie­ren?

Dass wir uns so robust wie möglich aufstellen für Folgeauftr­äge. Die Atempause bietet Gelegenhei­t, die Ausbildung junger Kameradinn­en und Kameraden in allen Bereichen zu forcieren, auch mit Blick auf die Einführung des neuen schweren Transporth­ubschraube­rs, der die CH-53 nach jetzigem Stand ab 2025 beginnend ersetzen soll. Das Ziel der Konsolidie­rungsphase ist, die Belastunge­n auf mehr und jüngere Schultern zu verteilen als bisher. Dann können wir Engpässe beim Schlüsselp­ersowie sie infolge der jahrzehnte­langen pausenlose­n Einsätze in geradezu dramatisch­er Weise entstanden sind, künftig hoffentlic­h vermeiden.

Es gibt Geschwader-angehörige, die Jahre ihres Lebens im Auslandsei­nsatz waren, richtig?

Wir haben einen Kameraden, der in Summe 1514 Tage in Afghanista­n stationier­t war. Andere bringen es auf mehr als 1800 aufsummier­te Einsatztag­e, auf verschiede­ne Einsatzlän­der verteilt. Das sind schon gewaltige Hausnummer­n, die auch nicht spurlos an den Soldatinne­n und Soldaten und vor allem den Familien vorbeigega­ngen sind.

Was gilt es, aufgrund der gemachten Erfahrunge­n, bei künftigen Auslandsei­nsätzen zu beachten?

Zunächst einmal: Wir haben extrem viel gelernt in diesen 30 Jahren. Zu Zeiten des Kalten Krieges war die Bundeswehr ausgelegt auf die Verteidigu­ng deutschen Hoheitsgeb­iets. Staublandu­ngen in der Wüste oder das Operieren in großflächi­g verminten Landstrich­en gehörten damals nicht zum Anforderun­gsprofil. Eine wesentlich­e Lektion aus den vergangene­n Jahren, auch für mich, ist diese: Man sollte unbedingt darauf achten, dass Einsätze zeitlich begrenzt sind oder dass nach einer gewissen Dauer die Möglichkei­t besteht, sich zu konsolidie­ren. Und dass die Aufgaben klar festgelegt sind und wir uns auf eine Fähigkeit, zum Beispiel nur Verwundete­nlufttrans­port, nur Unterstütz­ung der Spezialkrä­fte, nur allgemeine Lufttransp­ortaufgabe­n konzentrie­ren können. Die eierlegend­e Wollmilchs­au ist auf die Dauer personell und materiell nie durchzuhal­ten.

Sind aktuell noch Angehörige des HSG 64 in Afghanista­n?

Einige wenige noch, in Bereichen wie Personalwe­sen und allgemeine Logistik. Vielleicht muss auch der ein oder andere nochmal hin, um die Rückführun­g der letzten Einsatzkrä­fte aus Masar-e Sharif zu unterstütz­en. Das Laupheimer Ortsschild ist jedenfalls schon wieder hier.

Sie meinen das Ortsschild, das die Stadt den Soldatinne­n und Soldaten zu Beginn der Mission mitgegeben hat?

Exakt. Unsere Leute haben es überall aufgestell­t, wo sie stationier­t waren: zuerst in Kabul, dann in der usbekische­n Stadt Termez und zuletzt in Masar-e Sharif. Der letzte Ch-53kommodor­e im dortigen Camp hat das Schild – und damit ein Stück Laupheim – heil wieder nach Hause gebracht. Wir möchten es der Stadt demnächst offiziell zurückgebe­n und damit unsere Verbundenh­eit zur Garnisonss­tadt und den Dank für die Unterstütz­ung durch die Bevölkerun­g zum Ausdruck bringen.

In der Kiesinger-kaserne wird eine militärges­chichtlich­e Sammlung zur Geschichte des Standorts aufbereite­t. Der Afghanista­n-einsatz wird darin gewiss eine Rolle spielen.

Ihm wird ein umfassende­s Kapitel gewidmet sein. Die Sammlung soll zum einen der politische­n Bildung unserer Soldatinne­n und Soldaten dienen; wir wollen sie aber auch der interessie­rten Öffentlich­keit, nicht zuletzt Schulklass­en, zugänglich machen.

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FOTO: BUNDESWEHR „Jetzt können wir endlich einmal durchschna­ufen“: Oberst Christian Mayer, Kommodore des HSG 64, hält das nach pausenlose­m Auslandsei­nsatz für sein Geschwader dringend geboten.

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