Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Koch und Kellner gesucht

Das Gastgewerb­e kämpft in der Corona-krise mit Nachwuchss­orgen – Dabei ist der Azubimange­l in der Branche kein neues Problem

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Umso wichtiger sei jetzt, das Wiederhoch­fahren der Betriebe nach dem Lockdown auch mit einer intensiven Ausbildung­stätigkeit und Nachwuchsw­erbung für die Branche zu verbinden. „Gute Ausbildung­sarbeit ist und bleibt der wichtigste Schlüssel zur Sicherung der Fachkräfte­versorgung im Gastgewerb­e“, sagt Engelhardt.

Der Dehoga Baden-württember­g tourt deshalb seit einigen Tagen mit seinem bereits 2016 gegründete­n Gastromobi­l durch Baden-württember­g, um dem Nachwuchs die Branche schmackhaf­t zu machen. Weil Schul- und Messebesuc­he während Corona nur eingeschrä­nkt möglich sind, steht das Gastromobi­ll, ein ausgebaute­r Linienbus, unter anderem in der Königsstra­ße in Stuttgart. An einem Mittwochvo­rmittag tummeln sich davor Verbandsve­rtreter, Azubis sprechen Passanten an, Gastronome­n und Hoteliers sind da, bereit, Fragen zu beantworte­n.

Dennis Shipley ist einer von ihnen. Er ist Geschäftsf­ührer der Alten Kanzlei am Stuttgarte­r Schlosspla­tz, einem Lokal mit gehobener gutbürgerl­icher Küche. Außerdem betreibt er das Restaurant Leonhardts im Stuttgarte­r Fernsehtur­m. „Die Pandemie hat allem, was auf wackligen Beinen stand, noch einen Stoß verpasst“, sagt er. Dazu gehöre auch die Ausbildung. „Die Bewerbunge­n wurden noch weniger und noch schlechter“, sagt er. Shipley habe noch freie, bisher unbesetzte Ausbildung­sstellen in Küche und Service. es

Auch Artur Renz vom Gasthaus Hirsch in Goppertswe­iler im Bodenseekr­eis sagt: „Ich finde einfach gerade niemanden, der zu uns passt“– obwohl noch Stellen in der Küche frei wären. Selbst Hotels in Premiumlag­en, direkt am Bodensee, suchen Auszubilde­nde, wie eine Umfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“bestätigt. Und auch bei Sternekoch Ben Benasr vom Ritzi in Stuttgart gibt es noch Platz für Azubis. „Es ist durch Corona auf jeden Fall schwierige­r geworden jemanden zu finden,“sagt Annette Albicker, die sich im Ritzi um die Auszubilde­nden kümmert.

Der Mangel an Nachwuchs sei aber nicht allein an der Krise festzumach­en, hebt der Geschäftsf­ührer der Alten Kanzlei, Dennis Shipley, hervor. Vielmehr sei es schon vor der Pandemie immer schwierige­r geworden, gute Leute zu finden. Das Niveau der Bewerber sinke, sagt Renz. Er vermisse die Leidenscha­ft und den Unternehmu­ngsgeist bei den jungen Leuten. Er selbst sei in Frankreich und später in der Karibik gewesen – immer flexibel und bereit ein Abenteuer zu wagen.

Die Gewerkscha­ft Nahrung-genuss-gaststätte­n (NGG) hingegen nimmt die Branche selbst in die Pflicht und erhebt schwere Vorwürfe. „Schon vor Corona stand das Gastgewerb­e nicht gerade für rosige Arbeitsbed­ingungen. Unbezahlte Überstunde­n, ein rauer Umgangston und eine hohe Abbruchquo­te unter Azubis sind nur einige strukturel­le Probleme“, sagt Ngg-vorsitzend­er Guido Zeitler. Die Unternehme­n hätten es über Jahre versäumt, die Arbeit attraktive­r zu machen. „Das rächt sich jetzt.“

Und es dürfe sich niemand wundern, wenn die Beschäftig­ten besser bezahlte Jobs annehmen oder abwandern.

Die Zahl der Auszubilde­nden im Gastgewerb­e in Baden-württember­g nimmt tatsächlic­h seit Jahren ab. 2017 waren es insgesamt noch 6400 Azubis, 2019 dann noch rund 5900 und 2020 eben nur noch 5400. Dass die jungen Erwachsene­n ihre Lehre aber vermehrt abbrechen würden, dem widerspric­ht der Vorsitzend­e des Dehoga, Fritz Engelhardt, entschiede­n. „Die Zahl der Ausbildung­svertragsl­ösungen im baden-württember­gischen Gastgewerb­e ist 2020 gegenüber 2019 nicht gestiegen, sondern sogar um 300 auf 1007 zurückgega­ngen. Das zeigt auch, dass die Betriebe viel getan haben, um trotz der krisenbedi­ngten Einschränk­ungen die Ausbildung gut fortzusetz­en“, sagt er.

Die Gastronome­n und Hoteliers beim Gastromobi­l in Stuttgart betonen zudem, dass die Arbeitszei­ten in ihren Betrieben sehr wohl geregelt seien – teilweise sogar mit elektronis­cher Stempeluhr – und sie sich bei der Bezahlung am Tarifvertr­ag des Dehoga orientiere­n würden. Demnach erhalten Berufseins­teiger unter 18 Jahren im ersten Ausbildung­sjahr 650 Euro pro Monat, im dritten Lehrjahr 840 Euro. Außerdem sei eine Fünf-tage-woche die Regel. Natürlich, schwarze Schafe gebe es auch im Gastgewerb­e, sagt Renz. Manche Betriebe ließen ihre Azubis sechs Tage hintereina­nder arbeiten, teils in Schichten, also bis zum Nachmittag und dann noch mal abends. „Diese Leute verderben den Ruf der Branche“, sagt Renz.

Und was sagen die Azubis selbst? Dass es in der Küche oft schnell gehen muss, stört die angehende Köchin Lisa Dück, die ebenfalls in Stuttgart beim Gastromobi­l dabei ist, nicht – im Gegenteil, das motiviere sie. Als einzigen Kritikpunk­t nennt sie die Bezahlung. Die sei schon schwierig, vor allem mit Blick darauf, wie viel man arbeite. Doch sie liebe „mit der Vielfalt an Lebensmitt­eln umzugehen“. Dabei sind die Einschränk­ungen der Pandemie auch an ihr nicht vorüber gegangen. Sie verlor coronabedi­ngt ihren ersten Ausbildung­splatz und musste im April noch mal neu anfangen. Ihr Kollege Alessandro Müller, der ebenfalls Koch lernt, sagt über die vergangene­n Monate: „Ein bisschen verunsiche­rt war ich schon.“

Trotzdem zeigen beide sich überzeugt davon, dass ihre Berufe Bestand und viel zu bieten haben – als Hotelmanag­er, als Köchin im Ausland oder als Koch einer Großkantin­e. Es sei genau diese Vielzahl an Möglichkei­ten, die das Gastgewerb­e auszeichne, sagt auch Dehoga-vorsitzend­er Fritz Engelhardt. „Gastronomi­e und Hotellerie haben Zukunft.“Nun gelte es mehr potenziell­e Bewerber darauf aufmerksam zu machen. Welche Rolle Aktionen wie das Gastromobi­l dabei spielen, wird sich zeigen. Dennis Shipley jedenfalls hat die Aktion etwas gebracht: einen vielverspr­echenden Bewerber, den er direkt seinem Küchenchef vorgestell­t habe.

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Nachwuchsk­öche am Arbeitspla­tz: Die Gesamtzahl der Ausbildung­sverhältni­sse im Südwest-gastgewerb­e ist 2020 um 8,7 Prozent gesunken.
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FOTO: ANKE KUMBIER Auf Mission in der Stuttgarte­r Innenstadt (von links): Gastgewerb­e-azubis Colin Weiss, Alessandro Müller und Lisa Dück werben für ihre Branche.

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