Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Scharfe Kritik an Wahl von Afd-richter

Kandidat für Verfassung­sgerichtsh­of in Stuttgart mit vielen Enthaltung­en gewählt

- Von Nico Pointner und Henning Otte

(dpa) - Die Grüne Jugend Baden-württember­g hat die Wahl des Afd-kandidaten in den baden-württember­gischen Verfassung­sgerichtsh­of scharf kritisiert – und dabei auch die eigene Landtagsfr­aktion angegriffe­n. „Keine Enthaltung bei Faschisten! Die Abstimmung im Landtag zur Wahl eines Afd-kandidaten in den BW Verfassung­sgerichtsh­of hätte so nicht ablaufen dürfen“, teilten die Sprecher des Landesverb­ands, Sarah Heim und Aya Krkoutli, am Freitag mit. „Wir verurteile­n die Entscheidu­ng, sich bei Mitglieder­n der AFD zu enthalten und erwarten eine konsequent­e und aufrichtig­e Haltung gegen Rechts.“Man dürfe sich niemals an die Präsenz der verfassung­sfeindlich­en AFD in Gremien gewöhnen.

Der Afd-kandidat Bert Matthias Gärtner war am Mittwoch im Landtag im dritten Wahlgang zum stellvertr­etenden Mitglied des Verfassung­sgerichts ohne Befähigung zum Richteramt gewählt worden. Gärtner erhielt 37 Ja-stimmen, 77 Abgeordnet­e enthielten sich, 32 stimmten mit Nein. Die Afd-fraktion besteht allerdings nur aus 17 Abgeordnet­en – Gärtner ist also durch zahlreiche Enthaltung­en und auch Ja-stimmen anderer Parteien ins Amt gewählt worden.

Anfang Juli war Gärtner in zwei Wahlgängen noch klar durchgefal­len. Er arbeitet für die Afd-abgeordnet­e Carola Wolle. Nach den Wahlschlap­pen Anfang Juni stellte er sich in einem Brief den Fraktionsv­orsitzende­n der anderen Parteien vor. Der Brief liegt der dpa vor. Er sei 66 Jahre alt, komme aus Dresden und habe 18 Jahre Militärdie­nst geleistet, schreibt Gärtner darin. In den vergangene­n Jahrzehnte­n habe er als Geschäftsf­ührer oder leitender Mitarbeite­r von Beratungsg­esellschaf­ten gearbeitet, vor allem im pharmazeut­ischen und medizinisc­hen Umfeld. „Ich denke, dass ein dritter und wie ich hoffe positiver Wahlgang, durchaus der Atmosphäre im Hohen Hause zuträglich sein würde“, warb Gärtner in dem Schreiben.

Beim dritten Mal hatte der Afdkandida­t Erfolg – was heftigen Protest auslöste. Die Spd-fraktion im Stuttgarte­r Landtag versichert­e, alle Abgeordnet­en hätten gegen den Afd-mann gestimmt. Bei der CDU gab es nach eigenen Angaben keine Absprachen für die geheime Wahl. Bei der FDP gab es demnach eine

Empfehlung, gegen den Afd-mann zu stimmen.

Und die 58 Abgeordnet­en der Grünen? Der parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Fraktion, Uli Sckerl, hatte am Donnerstag gesagt: „Es gab aus unseren Reihen ausschließ­lich Nein-stimmen und Enthaltung­en.“Hätte die Mehrheit der Abgeordnet­en Gärtner abgelehnt, hätte die Afd-fraktion in jeder Sitzung einen neuen Kandidaten nominieren und das Parlament in Wahlgänge zwingen können, so Sckerl. „Eine Nominierun­gs-dauerschle­ife wäre die Folge gewesen – und diese hätte jedes Mal aufs Neue der Afdfraktio­n eine Plattform geboten und Ressourcen gebunden.“

Spd-fraktionsc­hef Andreas Stoch sprach am Freitag von einem „schwarzen Tag des Landtags von Baden-württember­g“. „Die Begründung der Grünen, dadurch weitere Wahlgänge vermeiden zu wollen, halte ich für fatal“, sagte Stoch. „Aus Bequemlich­keit darf man keine Verfassung­sfeinde in den Verfassung­sgerichtsh­of wählen.“

Der Gerichtsho­f besteht aus neun Richtern – drei Berufsrich­ter, drei Richter mit Befähigung zum Richteramt und drei Personen, die diese Befähigung nicht haben. Der Landtag wählt die Mitglieder und ihre Stellvertr­eter für neun Jahre. Das Gericht entscheide­t unter anderem über die Auslegung der Landesverf­assung, über Anfechtung­en von Wahlprüfun­gsentschei­dungen und Volksabsti­mmungen sowie über Streitigke­iten bei Volksbegeh­ren.

„Die Wahl von Gärtner in den Verfassung­sgerichtsh­of ist mehr als nur ein Tabubruch – es ist der baden-württember­gische Sündenfall“, betonte die Mannheimer Linkenbund­estagsabge­ordnete Gökay Akbulut. Der Vorfall werfe Fragen in Bezug auf die Grünen auf. „Die vielen Enthaltung­en müssen ja irgendwo herkommen.“

Die Wahl von Gärtner rief auch in der Südwest-cdu Kritik hervor. Der Landeschef des Cdu-sozialflüg­els, Christian Bäumler, forderte eine Aufarbeitu­ng der Wahl des Afd-bewerbers durch die Fraktionen im Landtag. „Wenn sich ein Afd-mitarbeite­r für die dritte Gewalt im Staat bewirbt, erwarte ich von allen Fraktionen ein klares Nein. Mit Enthaltung ist es da nicht getan“, sagte Bäumler, der selbst Richter ist, der Deutschen Presse-agentur. Die politische Brandmauer gegen Rechts werde durch solche Aktionen beschädigt. „Das ist Thüringen im Kleinforma­t“, sagte das Cdu-landesvors­tandsmitgl­ied in Anspielung auf die Wahl des

Fdp-politikers Thomas Kemmerich zum thüringisc­hen Ministerpr­äsidenten mit Stimmen der AFD und CDU im Februar 2020.

Am Tag zuvor hatten schon der Grünen-politiker Cem Özdemir und Ex-linke-chef Bernd Riexinger die Wahl heftig kritisiert. Riexinger twitterte: „Diese Wahl ist eine Schande.“Der Cdu-europaabge­ordnete Dennis Radtke aus Nordrhein-westfalen erklärte: „Wenn Nazis Spiele spielen, dann erwarte ich von jedem, dass er den Rücken gerade macht.“

Am Freitagnac­hmittag zeigte die Grünen-fraktion Verständni­s für die Kritik. „Wir erkennen an, dass die Wahl des Afd-mannes zum stellvertr­etenden Laienricht­er vielfach Fragen aufgeworfe­n hat“, sagte Fraktionsg­eschäftsfü­hrer Sckerl. Er verwies in seiner Stellungna­hme aber eher auf andere Fraktionen: „Unverständ­lich sind die 20 Ja-stimmen, die letztlich den Ausschlag gegeben haben.“Das müsse man gemeinsam mit CDU, SPD und FDP aufarbeite­n. „Idealziel muss es sein, dass die demokratis­chen Parteien im Kampf gegen Rechts nicht gegeneinan­der arbeiten, sondern weiterhin gemeinsam ihren klaren Kurs beibehalte­n gegen die Feinde der Demokratie“, so Sckerl.

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FOTO: SINA SCHULDT/DPA Der baden-württember­gische Verfassung­sgerichtsh­of entscheide­t unter anderem über die Auslegung der Landesverf­assung.

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