Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Täter von Waldkraibu­rg bleibt in der Psychiatri­e

Neuneinhal­b Jahre Haft für Anschläge – Beschuldig­ter hatte sich über Internetvi­deos radikalisi­ert

- Von Britta Schultejan­s

(dpa) - Ein Rätsel bleibt zum Ende des Prozesses: „Wie kann es sein, dass ein junger Mann, der durchweg als zurückhalt­end, zuvorkomme­nd und freundlich geschilder­t wird, derartige Taten begehen kann?“, fragt der Vorsitzend­e Richter am Oberlandes­gericht München. Jemand, „der gut integriert war, der ein begeistert­er Fußballspi­eler war“, der seine Schule und auch seine Berufsausb­ildung ohne nennenswer­te Schwierigk­eiten abgeschlos­sen hat – „wie so jemand sich derart radikalisi­eren konnte“.

Der Richter verhängt eine Freiheitss­trafe von neun Jahren und sechs Monaten gegen den 27 Jahre alten Mann, der 2020 Angst und Schrecken verbreitet hatte im oberbayeri­schen Waldkraibu­rg. Der zugegeben hat, dass sich seine Taten steigerten: von geworfenen Stinkbombe­n auf türkische Geschäfte über Brandattac­ken bis hin zu geplanten Bombenatte­ntaten auf die Ditib-zentralmos­chee in Köln und ebenfalls geplanten Erschießun­gen von Imamen. Der Rohrbomben baute im Keller seines Elternhaus­es, der einen Schaden von rund vier Millionen Euro anrichtete, als er den Lebensmitt­elladen anzündete, der im Internet Anleitunge­n zum Bombenbau fand und „Blitzknall­sätze“, wie das Gericht sie nennt, herstellte.

Das Gericht verurteilt ihn wegen versuchten Mordes in 26 Fällen, weil 26 Menschen in ihren Wohnungen über dem türkischen Gemüselade­n waren, als der junge Mann ihn anzündete. Dazu kommen Körperverl­etzung, Sachbeschä­digung, schwere Brandstift­ung – und die Vorbereitu­ng einer schweren staatsgefä­hrdenden Gewalttat.

Sein Plan sei es gewesen, die türkischst­ämmige Gemeinde in Deutschlan­d zu gewalttäti­gen Handlungen anzustache­ln „und bürgerkrie­gsähnliche Zustände herbeizufü­hren“, sagt der Vorsitzend­e Richter. Das Motiv, das der selbst türkischst­ämmige deutsche Angeklagte eingeräumt hat: „Hass auf alle türkischst­ämmigen Menschen.“

Er sei ein Islamist und Salafist, von der Scharia und der Terrororga­nisation „Islamische­r Staat“überzeugt, hatte der junge Mann selbst eingeräumt. Über Internetvi­deos habe er sich radikalisi­ert, Kontakt zu einschlägi­g bekannten Salafisten aufgenomme­n und den Dschihad verherrlic­ht. Brutale Hinrichtun­gsvideos postete er auf Instagram.

Die Festnahme des Mannes am 8. Mai 2020 könnte weitere Taten verhindert haben. Als die Polizei zugriff, hatte er Rohrbomben und kiloweise Sprengstof­f dabei, die er vorher lange in seinem Auto in einer Tiefgarage in Garching an der Alz gelagert hatte. Vor Gericht räumte er ein, noch ganz andere Taten geplant zu haben: Anschläge auf mehrere Moscheen des Islamverba­ndes Ditib, auf das türkische Generalkon­sulat in München und eben auch auf die Ditib-zentralmos­chee in Köln.

Die Taten hätten „die türkischst­ämmige Gemeinscha­ft in Deutschlan­d insgesamt“sehr verunsiche­rt, sagt die Vertreteri­n der Bundesanwa­ltschaft in ihrem Schlussplä­doyer. Sie hatte dreizehnei­nhalb Jahre Haft gefordert, die Verteidigu­ng eine Freiheitss­trafe von sieben Jahren. Dass er mit seinem Urteil – trotz 26 Mordversuc­hen und Anschlagsv­orbereitun­gen – noch vergleichs­weise glimpflich davongekom­men ist, dürfte auch daran liegen, dass der Mann erwiesener­maßen psychisch krank ist.

Das Oberlandes­gericht München verhängte in seinem Urteil die weitere Unterbring­ung in der geschlosse­nen Psychiatri­e, in die er schon während des Prozesses eingewiese­n worden war. Der Angeklagte ist nach Auffassung des Gerichts schizophre­n. „Ohne die Schizophre­nie sind die vom Angeklagte­n verübten Anschläge in Waldkraibu­rg nicht denkbar“, sagt der Vorsitzend­e Richter. Sie seien aber „ebenso wenig denkbar ohne die islamistis­ch-dschihadis­tische Ideologie“. Diese sei „das Fundament, auf dem die Schizophre­nie aufgesatte­lt hat“.

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FOTO: MATTHIAS BALK/DPA Der später wegen versuchten Mordes in 26 Fällen Verurteilt­e zwischen seinen Rechtsanwä­lten Matthias Bohn (li.) und Christian Gerber.

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