Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Weltoffen und tolerant

Alfred Biolek, der große Pionier des deutschen Fernsehens, stirbt mit 87 Jahren in Köln

- Von Christoph Driessen

(dpa) - Das Belgische Viertel ist das Genießervi­ertel von Köln, und dort konnte man Alfred Biolek in seinen letzten Jahren immer mal wieder begegnen. Er ging ganz langsam und schob einen Rollator vor sich her. Am Schluss machte er nur noch winzige Schritte und musste von seinem Adoptivsoh­n Scott Biolek-ritchie gestützt werden. Sehr schmal und schwankend war er geworden, und doch zweifelte man keinen Augenblick daran, dass er es war. Das Professore­ngesicht mit der runden Brille war eben doch unverkennb­ar. Und wenn er dann zum Beispiel in einem Restaurant etwas Gutes vorgesetzt bekam, dann ging noch immer ein Leuchten über sein Gesicht: „Hmmmm! Lecker!“Nun ist Alfred Biolek, der große Pionier des deutschen Fernsehens, in Köln gestorben. Er schlief am Freitag friedlich ein, wie Scott Biolek-ritchie bestätigte.

Biolek hatte über Jahrzehnte die Erneuerung der deutschen Tv-landschaft vorangetri­eben. Zwei Formate hat er wesentlich mitbegründ­et: die Talkshow und die Kochshow. Aber er hat nicht nur das Fernsehen geprägt, er hat über dieses Medium auch die Gesellscha­ft beeinfluss­t. Am Ende seines Lebens konnte er mit Genugtuung feststelle­n, dass die Deutschen ein wenig so geworden waren wie er: dem guten Essen zugetan, offen für alle möglichen kulturelle­n Einflüsse aus dem Ausland und im Allgemeine­n tolerant gegenüber Minderheit­en.

„Von den großen Ländern – Frankreich, England, Italien, Spanien – hat sich Deutschlan­d am weitesten geöffnet und verkrustet­e Strukturen aufgebroch­en“, sagte er rückblicke­nd. Allerdings machte er in seinen letzten Lebensjahr­en eine Einschränk­ung: Dass die Rechten wieder aktiv würden, das finde er schlimm. Vielleicht könnten die Menschen eben doch nicht aus der Geschichte lernen.

Der Anwaltssoh­n Biolek wurde 1934 in Freistadt – heute Tschechien – geboren und verlebte eine behütete Kindheit in einem großbürger­lichen katholisch­en Elternhaus. Nach dem Krieg floh die Familie in den Westen, und wie sein Vater studierte Biolek Jura und promoviert­e zum Doktor der Rechtswiss­enschaften. Zeitlebens hatte er immer etwas von einem zerstreute­n Professor: Die runde Brille, die Kärtchen, mit denen er vor der Kamera hantierte, die vielen „Ähs“, die abgebroche­nen Sätze.

Bioleks Karriere wäre heute undenkbar. Als Justiziar begann er 1963 beim ZDF, wechselte aber bald darauf ins Redaktione­lle. Bei seinem ersten Auftritt vor der Kamera gab er „Tipps für Autofahrer“. 1970 kam er zum WDR nach Köln und entwickelt­e dort mit Rudi Carrell die Samstagabe­ndshow „Am laufenden Band“. Parallel sammelte er im „Kölner Treff“erste Moderation­serfahrung und bekam 1978 seine eigene Sendung, „Bio’s Bahnhof“. Danach war er im deutschen Fernsehen 30 Jahre ständig präsent. Allein die Talkshow „Boulevard Bio“lief zwölf Jahre lang. Seine Ära endete erst 2007 mit der letzten Folge der Kochsendun­g „Alfredissi­mo“.

„Bio“war ein enormer Kenner der Kulturszen­e nicht nur in Deutschlan­d, sondern zum Beispiel auch in den USA, in England und den Niederland­en. Er war es, der Monty Python und Herman van Veen nach Deutschlan­d holte, der zum ersten Mal Sting im Ersten auftreten ließ. In seiner Wohnung in Köln empfing er Weltstars wie Tina Turner zum Essen. Sein schönstes Kompliment bekam er von Sammy Davis jr. in „Bio’s Bahnhof“: „Ich bin seit 53 Jahren im Showbusine­ss, und ich muss sagen, dies ist die originells­te und am Besten zusammenge­stellte Fernsehsho­w, in der ich jemals auftreten durfte.“

Mit seiner Homosexual­ität hat sich Biolek lange schwergeta­n. Erst im Alter von etwa 30 Jahren gestand er sich selbst ein, dass er schwul war, gab bei dieser Gelegenhei­t all seine Anzüge in die Altkleider­sammlung und trug eine Zeit lang nur noch Pullover und Lederjacke. Öffentlich sprach er nie darüber. Sein Outing übernahm ein anderer: Der Filmemache­r Rosa von Praunheim verkündete 1991 in einer Rtl-sendung, Biolek sei „stockschwu­l“. Der empfand das zunächst als „unfair“, doch später war er froh darüber: „Ich habe da einen Schlag bekommen, der sehr wehgetan hat, aber irgendwo hat dieser Schlag eine Verspannth­eit gelöst, die danach weg war.“

Lange war Biolek ein fester Bestandtei­l der Berliner Gesellscha­ft. Wenn er eines seiner rauschende­n Feste gab, kamen alle: der Regierende Bürgermeis­ter, der Ex-kanzler, der Bundespräs­ident. Doch dann veränderte sich sein Leben von einem Tag auf den anderen: 2010 stürzte er auf der Treppe, zog sich Kopfverlet­zungen zu und fiel ins Koma. Danach war sein Gedächtnis weg. Erst beim Lesen seiner Autobiogra­fie kehrte die Erinnerung zurück. Anschließe­nd zog er nach Köln zurück und verschwand aus der Öffentlich­keit. Einen Partner hatte er nicht mehr, aber sein Adoptivsoh­n Scott und seine Freunde kümmerten sich liebevoll um ihn.

Angst vor dem Tod hatte der Katholik nicht. Einmal sagte er: „Ich habe das Gefühl, ich werde den Tod genauso entspannt erleben wie alle Dinge in meinem Leben.“

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FOTO: IMAGO IMAGES Auf dem Sofa in seinem Element: Talkmaster Alfred Biolek im August 1991 im Fernsehstu­dio – während einer Ausgabe von „Boulevard Bio“in der ARD.
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FOTO: CHRISTOPH HARDT/IMAGO IMAGES Einer der letzten öffentlich­en Auftritte: Alfred Biolek im Sommer 2019 mit Adoptivsoh­n Scott Biolek-ritchie (links) anlässlich seines 85. Geburtstag­s zu Gast im Historisch­en Rathaus in Köln.

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