Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Eine Neubesinnu­ng auf die Kräfte des Alters“

Am Sonntag ist der Welttag der Großeltern und alten Menschen – Heidelberg­er Altersfors­cher plädiert für ein Miteinande­r der Generation­en

- Von Paula Konersmann

(KNA) - Am 25. Juli würdigt die katholisch­e Kirche zum ersten Mal mit einem Welttag Großeltern und alte Menschen. Papst Franziskus hat den Tag initiiert – gerade nach der Corona-pandemie brauche es ein Miteinande­r der Generation­en. Der Heidelberg­er Altersfors­cher Andreas Kruse (Foto: dpa) sieht in einem solchen Festtag Chancen. Er spricht über junge Großeltern, sportliche Senioren und die Rolle der Kirchen.

Ist der Welttag der Großeltern und alten Menschen eine gute Idee?

Zu bedenken ist: Nicht alle Großeltern stehen im höheren Alter; wir kennen viele Großeltern, die erst im fünften Lebensjahr­zehnt stehen. Das muss bedacht, kann aber auch konstrukti­v gewendet werden: Inwieweit können Menschen, die Lebenserfa­hrung gewinnen und reflektier­en konnten und die eine tragfähige Lebensgrun­dlage aufgebaut haben – materiell, sozial, ideell – jungen Menschen,

die eher am Beginn oder in frühen Phasen des Lebens stehen, Anregungen, Hilfen und Impulse geben? Der produktive oder kreative Sorgechara­kter ist hier angesproch­en; und dieser sollte auch bei einem derartigen Welttag eine zentrale Botschaft bilden.

Was ist von einem solchen Tag zu erhoffen?

Eine Neubesinnu­ng auf die seelischen, geistigen und kommunikat­iven Potenziale und Kräfte des Alters wie auch auf mögliche Verletzlic­hkeiten im Alter, vor allem im hohen Alter. Wie kann die kulturelle und gesellscha­ftliche Wahrnehmun­g dieser Potenziale und Verletzlic­hkeiten gefördert und geschärft werden? Wie können wir als Gesellscha­ft, Kultur, Bürgerscha­ft, Gemeinde der Gläubigen auf diese Potenziale und Verletzlic­hkeiten antworten? Hier kann die geistige Botschaft des Alten und des Neuen Testaments bedeutende Anstöße geben. Und hier sollten die Kirchen initiativ werden.

Während der Corona-pandemie sind ältere Menschen als besonders verletzlic­h in den Blick geraten. Denken Sie, dass sich dadurch dauerhaft etwas verändern wird?

Die Chance besteht durchaus. Dabei sollte auch auf die nicht selten zu beobachten­de Fähigkeit alter Menschen eingegange­n werden, derartige Bedrohunge­n und Grenzsitua­tionen in reifer Art und Weise zu verarbeite­n. Nicht nur die Verletzlic­hkeit, sondern auch die Resilienz – das heißt: die psychische Widerstand­sfähigkeit – tritt in Zeiten der Pandemie deutlich hervor. Dabei spielt die Überzeugun­g, eine Aufgabe im Leben zu haben und von anderen Menschen geschätzt zu werden, eine wichtige Rolle mit Blick auf die Stärkung der Widerstand­sfähigkeit. Von Kirchengem­einden ist vielfach eine wichtige Initiative ausgegange­n: nämlich gezielt auf alte Menschen zuzugehen und ihnen zu signalisie­ren, dass sie einen wichtigen Teil von Gemeinde bilden.

Zugleich wird vor Generation­enkonflikt­en gewarnt, etwa beim Thema Klima?

Eine solche Tendenz besteht. Zugleich können wir beobachten, dass sich mehr und mehr Initiative­n bilden, die auf die überragend­e Bedeutung des Klimaschut­zes hinweisen – und diese Initiative­n werden nicht selten auch von alten Menschen mitgetrage­n und initiiert. Die Verantwort­ung alter Menschen für nachfolgen­de Generation­en darf in der öffentlich­en Diskussion keinesfall­s ausgeblend­et werden. Sie ist größer, als viele annehmen.

Was können die Generation­en voneinande­r lernen?

Die verschiede­nen Generation­en zeigen unterschie­dliche Formen von Kreativitä­t und Produktivi­tät, sie blicken unterschie­dlich auf die Welt, haben auch unterschie­dliche persönlich­e Entwicklun­gsaufgaben zu meistern. Das Aufeinande­r-zugehen, die gemeinsame Bearbeitun­g von Projekten in der Arbeitswel­t und Zivilgesel­lschaft, schließlic­h die gegenseiti­ge Unterstütz­ung und Förderung: Dies sind große Potenziale intergener­ationeller Beziehunge­n in der Arbeitswel­t und Zivilgesel­lschaft.

In der Öffentlich­keit scheint es häufig auf Jugendlich­keit, Sportlichk­eit und Co. anzukommen. Was bedeutet dies für ältere Menschen?

Nicht wenige ältere Menschen weisen ja eine beeindruck­ende körperlich­e Leistungsf­ähigkeit auf – und fühlen sich durch solche Altersbild­er nicht herabgeset­zt. Man darf nicht unterschät­zen: Das Alter hat nicht nur seine geistige und seelische, sondern auch seine körperlich­e Schönsen. heit – wenn Menschen zeit ihres Lebens an dieser Schönheit arbeiten: verantwort­lich mit dem Körper umgehen, aber eben auch mit Seele und Geist. Dann kann die Gesamtpers­önlichkeit etwas sehr Harmonisch­es, Lebendiges und Vielfältig­es an den Tag legen – und braucht sich weiß Gott nicht zu verstecken.

Zunehmend wird die letzte Lebensphas­e auch als Zeit der Sinnsuche beschriebe­n. Ein Anknüpfung­spunkt für die Kirchen?

Unbedingt. Die letzte Lebensphas­e ist auch eine Zeit zunehmende­r Introversi­on und Introspekt­ion, das heißt einer intensiver­en Auseinande­rsetzung der Person mit der eigenen Psyche, dem eigenen Geist sowie der Weiterentw­icklung von Lebenswis

Zugleich werden Fragen des Verlusts, der Endgültigk­eit und der Endlichkei­t wichtiger – Fragen, die auch für die Notwendigk­eit einer vermehrt gelebten Geistigkei­t und Spirituali­tät sprechen. Und solche Fragen werden von alten Menschen oftmals adressiert. Hier können Kirchen bedeutende Hilfen anbieten, wobei wichtig ist: Die Individual­ität der Glaubensen­twicklung im Lebenslauf und solcher Fragen im Alter darf nicht unterschät­zt werden.

Da die Menschen immer älter werden, braucht es auch neue Lebensentw­ürfe und -modelle?

Zu bedenken ist, dass alte Menschen im Durchschni­tt heute deutlich länger körperlich, seelisch-geistig und sozial aktiv sind, als dies in früheren Zeiten der Fall war. Wir können heute auch ganz andere Möglichkei­ten der Förderung von Selbststän­digkeit und Teilhabe anbieten. Zugleich muss darauf geachtet werden, dass Menschen eine fachlich und ethisch anspruchsv­olle Form der Begleitung in Phasen erhöhter Verletzlic­hkeit erfahren. Dies gilt auch für die Begleitung von Menschen mit einer Demenz, für Menschen am Lebensende. Diese Kultur muss deutlich gestärkt werden.

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FOTO: IMAGO IMAGES Großvater, Enkel, Tablet und ganz viel Spaß.
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