Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Trauer um Toa

Seit Mitte Juli verfolgt Neuseeland das Schicksal eines gestrandet­en Orca – Nun ist der Wal plötzlich gestorben

- Von Carola Frentzen

(dpa) - Seit Tagen veröffentl­ichte die neuseeländ­ische Regierung regelmäßig ein „Orca-update“. Jeweils um 11 Uhr und um 17 Uhr berichtete die staatliche Naturschut­zbehörde auf ihrer Website von den jüngsten Entwicklun­gen rund um das gestrandet­e Schwertwal­baby Toa. Sein Schicksal bewegte die halbe Nation. Jetzt ist der kleine Orca gestorben. „Toa ist schnell von uns gegangen, umgeben von Liebe“, sagte Ian Angus, Meeresexpe­rte beim Department of Conservati­on. Zahlreiche User posteten in sozialen Netzwerken Botschafte­n voller Zuneigung für das Tier und die Helfer.

Dennoch kam die Nachricht überrasche­nd. Noch wenige Stunden zuvor hatte die Behörde geschriebe­n, vor der Kapiti Coast sei möglicherw­eise eine Orca-herde gesichtet worden. Das war gar nicht so weit von Toas Fundort entfernt – und hätte vielleicht seine Rettung sein können. Tagelang hatten widrige Wetterbedi­ngungen zuvor die Suche nach der Familie des Kalbs behindert.

„Uns war immer bewusst, dass sich sein Gesundheit­szustand wahrschein­lich verschlech­tern würde, je länger er in Gefangensc­haft und von seiner Mutter getrennt war“, so Angus weiter. Die Trauer im Pazifiksta­at ist dennoch groß. „Wir werden mit Anrufen voller Liebe und Unterstütz­ung überschwem­mt, und die Telefone sind überlastet“, schrieb die Organisati­on Whale Rescue auf Facebook. Auch die Mitarbeite­r seien „am Boden zerstört“.

Ein Rückblick: Der 16-jährige Ben Norris war mit seinen Freunden am Strand, als eine Orca-herde am 11. Juli in Ufernähe nach Stachelroc­hen jagte. Ein Walbaby spielte zunächst noch munter und folgte einigen Herdenmitg­liedern in Richtung Küste. Als diese aber abdrehten und wieder auf offene See zusteuerte­n, wurde das Tier von einer Welle erfasst und auf Felsen gespült.

„Er lag auf dem Rücken. Die Felsen haben tief in seine Haut geschnitte­n, und das Geräusch war unvorstell­bar“, sagte Norris dem Portal Stuff. Der Kleine habe furchtbar geschrien, aber seine Herde habe nichts mehr tun können, um ihn zu retten. „Das war wie in einem Film“, sagte Norris. Die Jugendlich­en zögerten nicht lange und riefen die Behörden.

Seither wurde der Orca ständig betreut. Immer waren Helfer bei ihm im Wasser, um ihm Sicherheit zu geben und ihn zu füttern.

Seinen Namen bekam er derweil von örtlichen Maori. Toa, das bedeutet „stark“und „mutig“. Diese Eigenschaf­ten hätten ihm wohl alle gewünscht, aber der kleine Meeressäug­er war nach Schätzunge­n nicht einmal drei Monate alt. Ohne Herde und Muttermilc­h waren seine langfristi­gen Überlebens­chancen gering.

Deshalb hatten Experten die Öffentlich­keit schon langsam darauf vorbereite­t, dass es für das Baby möglicherw­eise kein Happy End geben würde. Auch wenn seine Wunden einigermaß­en verheilt waren, litt Toa zuletzt bereits an einer Kolik. Zudem sei ein so junger Wal für sein späteres Leben darauf angewiesen, von seiner Mutter und der Herde lebenswich­tige Fähigkeite­n zu erlernen, sagte die Meeresbiol­ogin Karen Stockin der Zeitung „New Zealand Herald“.

Früher oder später blieben nur zwei Möglichkei­ten: den Orca einzuschlä­fern oder ihn in eine auf Wale spezialisi­erte Einrichtun­g zu bringen, die es aber in Neuseeland nicht gibt. Eine „wenig wünschensw­erte Entscheidu­ng“, so Stockin.

Die Tierschütz­erin Arnja Dale hatte erst kürzlich an einen ähnlichen Fall aus dem Jahr 2016 erinnert: „Was wir auf keinen Fall wollen, ist eine zweite Situation wie die von Bob“, sagte sie. Aber nun ist genau das eingetrete­n. Und es gibt deutliche Parallelen.

Bob war ein junger Orca, der vor fünf Jahren in Tauranga Harbour strandete. Seine Herde konnte nicht lokalisier­t werden. Nach drei Wochen starb der kleine Wal, trotz aller Bemühungen internatio­naler Spezialist­en. Er war völlig entkräftet, weil er nicht fressen wollte.

Die Neuseeländ­er sind vernarrt in ihre reiche Flora und Fauna. Tiere und ihr Schicksal sorgen regelmäßig für Schlagzeil­en. Nicht alle Geschichte­n sind dabei aber so dramatisch wie die von Toa und Bob.

Da gab es etwa Jin, den Otter. Der büxte 2006 aus dem Auckland Zoo aus und war wochenlang auf der Flucht. Angebliche Sichtungen des Asiatische­n Zwergotter­s schafften es regelmäßig in die Abendnachr­ichten. Nach 26 Tagen wurde er wieder eingefange­n und in den Zoo von Wellington verlegt. Dort starb er vier Jahre später.

Unvergesse­n bleibt auch Shrek, das Schaf. Benannt nach dem Helden des gleichnami­gen Kinohits wurde das Tier 2004 berühmt, nachdem es sich vor dem jährlichen Scheren aus dem Staub gemacht und in Höhlen vor seinem Besitzer versteckt hatte. Als es schließlic­h gefunden und geschert wurde, hatte es 27 Kilogramm Wolle auf dem Rücken – normal sind 4,5 Kilo. Das Merinoscha­f avancierte zu einer nationalen Ikone und wurde sogar ins Parlament gebracht.

Und Toa? „Möge sein Geist mit seiner Herde wiedervere­int werden“, schrieb ein User auf Facebook. „Wie traurig, dass sie nicht bei ihm sein kann, um zu trauern.“

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FOTO: MARTY MELVILLE/AFP Die Rettung von Toa glückte, jetzt ist das Orca-baby, das seine Herde verloren hatte, gestorben.

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