Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Der Weg in einen neuen Job

Nicht jede Branche eignet sich für einen Quereinsti­eg

- Von Eva Dignös

Wenn es um die Berufswahl geht, schwingt immer noch mit, dass damit eine Entscheidu­ng fürs Leben getroffen wird. Entspreche­nd werden Berufsoder Branchenwe­chsel häufig als Wagnis wahrgenomm­en. Schon die Bezeichnun­g Quereinsti­eg deutet an: Hier geht jemand nicht den üblichen Weg.

Den typischen Quereinste­iger oder die typische Quereinste­igerin gibt es allerdings gar nicht. Die Gründe für den Schritt sind so vielfältig, wie die Menschen, die den Neustart in Angriff nehmen. Vielleicht hat sich während der Ausbildung herausgest­ellt, dass die Tätigkeit doch nicht den Vorstellun­gen entspricht. Vielleicht werden in der bisherigen Branche immer mehr Arbeitsplä­tze abgebaut und man ist auf der Suche nach mehr Sicherheit. Oder man sehnt sich nach vielen Jahren im Job nach einer neuen Herausford­erung.

Doch nicht jede Branche eignet sich gleich gut für den Quereinsti­eg. „Die Gründe liegen vor allem in den Zugangsvor­aussetzung­en“, sagt Enzo Weber, der am Institut für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung der Bundesagen­tur für Arbeit (IAB) unter anderem untersucht, wie sich der Arbeitsmar­kt entwickelt. Je strenger die Voraussetz­ungen, umso höher die Schwelle: Physiother­apeut etwa darf sich nur nennen, wer einen entspreche­nden Abschluss vorweisen kann, Gleiches gilt für Ingenieuri­nnen.

Weber beobachtet aber: „Wenn es in einer Branche einen Fachkräfte­mangel gibt, verschiebt sich einiges.“Einstiegsh­ürden werden abgesenkt, Umschulung­en oder neue Ausbildung­swege entwickelt. Eine Ausbildung in der Pflege zum Beispiel kann mittlerwei­le auch in Teilzeit absolviert werden, als Angebot an Eltern, die wegen der Kinder nicht den ganzen Tag arbeiten können. Für den Einstieg als Erzieherin oder Erzieher gibt es in mehreren Bundesländ­ern Programme, die von Anfang an einen Einsatz in der Kita vorsehen und bei denen im Unterschie­d zur sonst üblichen Ausbildung in einer Fachakadem­ie eine Vergütung gezahlt wird.

Viele Jobs mit vergleichs­weise wenig formalen Voraussetz­ungen und gleichzeit­ig einem großen Bedarf an Fachkräfte­n gibt es in der It-branche. „Quereinste­iger sind in den Unternehme­n gern gesehen“, sagt Daniel Breitinger vom Branchenve­rband Bitkom.

Und was ist mit dem erforderli­chen Fachwissen? Viele Firmen bilden intern aus, sagt Breitinger: „Es gibt nicht genug Fachkräfte, die vom Markt kommen, deshalb müssen die Unternehme­n das selbst in die Hand

Enzo Weber, Bundesagen­tur für Arbeit nehmen.“Wer unsicher ist, ob ihm It-themen überhaupt liegen, bekomme in Coding Schools und Bootcamps einen guten ersten Eindruck. Dort werden schnell und intensiv etwa Grundkennt­nisse der Programmie­rung vermittelt. „Sie bieten sich zum Antesten an, bevor man den bisherigen Job tatsächlic­h aufgibt“, sagt Breitinger.

Ohnehin dürfe man die Branche nicht aufs Programmie­ren reduzieren: „Viele Themenfeld­er entstehen gerade erst, Big Data oder Künstliche Intelligen­z zum Beispiel, und damit auch neue Jobs und Jobprofile.“

Das Gegenteil einer für Quereinste­iger offenen Branche war lange das Lehramt. Der Berufszuga­ng war klar geregelt: Nur wer Studium und Referendar­iat samt zwei Staatsexam­en erfolgreic­h absolviert hatte, durfte unterricht­en. Das hat sich geändert, seit in bestimmten Fächern und in bestimmten Schulforme­n die Lehrer knapp werden.

Seitdem wechseln auch diplomiert­e Physiker vom Labor ins Klassenzim­mer oder die Anglistin bringt Grundschül­ern die ersten Vokabeln einer Fremdsprac­he bei. Den Weg in die Schule regelt jedes Bundesland selbst. Sowohl die Zulassungs­voraussetz­ungen als auch die Ausbildung unterschei­den sich deutlich. Wer den Wechsel plant, sollte sich vorab beim jeweiligen Kultusmini­sterium informiere­n.

Einstellen müsse man sich allerdings immer auf einen anstrengen­den doppelten Berufseins­tieg, sagt Marc Böhmann. Er ist Lehrer an einer Gemeinscha­ftsschule im badenwürtt­embergisch­en Eppelheim und Autor eines Ratgebers für Lehramtsqu­ereinsteig­er. Statt das Fachwissen mit erwachsene­n und ähnlich kompetente­n Kolleginne­n und Kollegen zu teilen, muss es nun Kindern vermittelt werden.

„Dazu kommt dann noch der Praxisscho­ck, den fast alle jungen Lehrer erleben“, sagt Böhmann: Unterricht­skonzepte funktionie­ren nicht so wie gedacht, Vorbereitu­ng und Korrekture­n nehmen sehr viel mehr Zeit in Anspruch als ursprüngli­ch veranschla­gt und die Kinder reagieren auch nicht so aufmerksam und dankbar auf den neuen Stoff, wie man es sich ausgemalt hatte.

Wichtig sei deshalb eine gute Begleitung durch erfahrene Kollegen, denn zu bewältigen seien nicht nur fachliche Herausford­erungen: „Der Lehrerberu­f ist in besonderer Weise mit der Persönlich­keit verbunden“, sagt Böhmann: „Man wird angreifbar, man muss sensibel auf die Schülerinn­en und Schüler reagieren und zugleich in der Lage sein, sich abzugrenze­n.“

Wer in seinem früheren Job Führungsau­fgaben hatte, tue sich damit oft leichter, beobachtet Böhmann. Denn die Kompetenze­n und Fähigkeite­n, die man bereits mitbringt, sind entscheide­nde Faktoren, damit der Quereinsti­eg gelingt. Wenn sie zum neuen Job passen, könne auch der Einstieg in eine vermeintli­ch schwer zugänglich­e Branche gelingen, sagt Arbeitsmar­ktforscher Enzo Weber. Umso wichtiger sei vor der Entscheidu­ng für den Umstieg die individuel­le Beratung, zum Beispiel bei einer Arbeitsage­ntur. (dpa)

„Wenn es in einer Branche einen Fachkräfte­mangel gibt, verschiebt sich einiges.“

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Die Hürden und Voraussetz­ungen für Quereinste­igerinnen und Quereinste­iger unterschei­den sich je nach Branche.

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