Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Wenn Kinder Kinderpornografie verbreiten
Immer mehr junge Menschen geraten in den Fokus der Justiz
- Immer mehr Jugendliche geraten wegen Kinderpornografie in den Fokus der Justiz. „Es ist ein Thema, das uns beschäftigt und beschäftigen muss“, sagt Badenwürttembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU). Was viele noch nicht wissen: Wer ein entsprechendes Bild aufs Smartphone geschickt bekommt, kann sich schon strafbar machen.
Im vergangenen Jahr hat die Polizei im Südwesten 1432 Mal gegen Tatverdächtige unter 21 Jahren ermittelt, weil sie kinderpornografische Inhalte verbreitet, erworben oder besessen haben sollen. So steht es im Sicherheitsbericht für 2020. „Das ist eine Steigerung um mehr als 100 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das ist Anlass, sich der Sache anzunehmen“, sagt Justizministerin Gentges. „Die Behörden berichten von einer deutlichen Zunahme an Straftaten vor allem über Chatgruppen.“Bei Tatverdächtigen bis 18 Jahre sprechen die Behörden von Jugendlichen, bis 21 Jahre von Heranwachsenden – auch letztere werden häufig noch nach Jugendrecht behandelt.
Die Zahl der Tatverdächtigen, die jünger als 18 Jahre sind, ist in diesem Bereich bundesweit von 1373 im Jahr 2018 auf 7643 im Jahr 2020 gestiegen. Bayern berichtet für das Jahr 2019 von 39 Verurteilungen von Jugendlichen und Heranwachsenden, weil sie kinderpornografische Inhalte verbreitet, erworben oder besessen haben. „Kinder und Jugendliche, die so etwas geschickt bekommen oder weiterleiten, sind sich oft nicht bewusst, was sie gerade tun“, sagt Gentges. „Das Phänomen als solches bedarf schon länger der Aufklärung, jetzt wird das nochmal wichtiger.“
Denn nach langem Ringen hat der Bund die Gesetze in diesem Bereich verschärft. Ein Aspekt davon: Bisher galt es als Vergehen, Kinderpornografie zu besitzen oder weiterzuleiten. „Durch das Ende Juni 2021 verkündete Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder hat sich das geändert“, erklärt Gentges. „Der Besitz, der Erwerb und die Verbreitung von Kinderpornografie wird jetzt als Verbrechen eingestuft.“Wer sich nun strafbar macht, bekommt als Erwachsener eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr. „Und auch bei Jugendlichen und Heranwachsenden ist die Möglichkeit, von einer Strafverfolgung abzusehen, sehr eingeschränkt“, so Gentges.
Im Jugendstrafrecht stehe eigentlich der Erziehungsgedanke und nicht etwa eine Strafe im Mittelpunkt, bei Verbrechenstatbeständen sei der Spielraum aber sehr viel kleiner. „Wir müssen noch mehr erklären, dass es sich nun um einen Verbrechenstatbestand handelt“, sagt Gentges. Die Ministerin rechnet mit einer weiteren Zunahme, nämlich mit 2000 Fällen, um die sich die Justiz werde kümmern müssen. Hierfür und wegen neuer Verschärfungen beim Umgang mit Hasskriminalität im Internet fordert Gentges 30 weitere Stellen für Staatsanwaltschaften und Gerichte im Südwesten. Auf diese Zahl komme das Personalberechnungssystem Pebbsy, das die Justiz nutzt.
Damit junge Menschen erst gar nicht strafbar werden, brauche es mehr Aufklärung und Prävention – etwa in den Schulen, sagt Gentges. Das betont auch Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne). „Die Zunahme von Fällen, in denen Schülerinnen und Schüler Straftaten über Chatgruppen begehen, ist bedenklich. Solche Fälle, in denen rassistische, antisemitische oder kinderpornografische Inhalte geteilt werden, müssen lückenlos aufgearbeitet werden“, sagt sie und betont: „Den Schülerinnen und Schülern ist oft nicht bewusst, dass sie eine Straftat begehen. Deswegen ist es eine wichtige Aufgabe, dass Schule aber auch Eltern aufklären.“
Schon heute sei die Prävention in der Schule ein wichtiges Thema, erklärt Schopper. Den Schülerinnen und Schülern einen kompetenten Umgang gerade auch mit sozialen Medien zu vermitteln, sei heute schon ein wesentlicher Aspekt im Schulleben. In den Bildungsplänen ist etwa die Leitperspektive Medienbildung verankert. Das bedeutet, dass dieses Thema in jedem Fach behandelt werden soll. Unter anderem im verpflichtenden Basiskurs Medienbildung in der fünften Klasse würden dann konkrete Inhalte besprochen – etwa eine respektvolle digitale Kommunikation und der richtige Umgang mit privaten Daten.
Dass Prävention wirken kann, macht das Kultusministerium am Programm „stark.stärker.wir“fest, das es seit zehn Jahren gibt. Eine Evaluation der Universität Klagenfurt kam in Bezug auf das Thema Mobbing zu dem Ergebnis, dass solche Vorkommnisse an den Schulen mit einem Präventionskonzept im Vergleich zu den Kontrollschulen deutlich zurückgegangen ist. Aktuell sei das zuständige Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) dabei, dieses Präventionskonzept zu überarbeiten und weiterzuentwickeln, erklärt Schopper. „Wir haben dieses Thema bei der Prävention in der Schule auf dem Schirm und werden auch unsere Präventionsangebote in dieser Hinsicht weiterentwickeln.“Das Kultusministerium verweist auf viele weitere Akteure, die in den Schulen für Aufklärung sorgten – etwa Schulsozialarbeiter, Schulpsychologen, Polizisten und inzwischen rund 2000 Präventionslehrkräfte, die diese Arbeit an ihrer Schule koordinierten.
Auch Julia Wahnschaffe, Landesvorsitzende des Kinderschutzbundes, warnt davor, alle Aufklärung bei den Lehrern abzuladen. „Natürlich ist es wichtig, dass die Schulen präventiv aufgestellt sind, aber wir dürfen die Lehrer mit dem Thema nicht alleinlassen.“Sie plädiert flächendeckend für sogenannte Schutzkonzepte gegen jegliche Form von Gewalt – auch gegen sexualisierte Gewalt. Die Diskussion um solche Konzepte in Vereinen, Heimen, Kitas, Schulen und sonstigen Orten, wo Kinder zusammenkommen, gebe es seit zehn Jahren. Manches sei erreicht, so Wahnschaffe – gerade in jenen Bereichen, für die das Sozialministerium zuständig sei. „Wir wollen jetzt auch mit dem Kultusministerium sprechen“, sagt Wahnschaffe. „Uns fehlt als Kinderschutzbund an allen Stellen die Verbindlichkeit.“
Wahnschaffe pocht darauf, auch die Eltern mehr ins Boot zu holen, wie sie sagt. Auch Kultusministerin Schopper appelliert: „Auch im Elternhaus muss das Bewusstsein, dass es sich bei solchen Äußerungen oder Taten um Unrecht handelt, geschärft werden.“Das sei aber gar nicht so einfach, wenn es auch bei vielen Eltern an Medienkompetenz mangele, sagt Michael Mittelstaedt, Vorsitzender des Landeselternbeirats. „Ich könnte Hunderte von Weiterleitungen nennen, die ich von Elternvertretern und Elternvertreterinnen in der Pandemiezeit bekommen habe, die rechtsradikal, sexistisch, antisemitisch etc. sind. Das interessiert offensichtlich kein Hündchen“, sagt er. Mittelstaedt plädiert für konsequentes Durchgreifen bei den Erwachsenen, die ihre Erfahrungen dann an ihre Kinder weitergeben. „Solange bei den Erwachsenen quasi alles erlaubt ist, wird es bei den Kids nicht besser.“