Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Neues Leben im Heustock

Wie in einem alten Bauernhof zusätzlich­er Wohnraum geschaffen wurde – Eine flächenspa­rende Alternativ­e zu Neubaugebi­eten

- Von Ulrich Mendelin

RAVENSBURG - Kühe, Schweine, Pferde, Hühner, dazu Getreidefe­lder, Weiden, Wiesen, Obstbäume, Wald. Ein richtiger Bauernhof war das Anwesen der Familie Miller damals, in den Sechzigerj­ahren. Ein Familienbe­trieb wie so viele in Oberschwab­en. „Ein Idyll war das aber nur auf dem Foto“, sagt Ulfried Miller. „Leben konnte Opa mit seiner Familie davon gerade so.“Nach der Übergabe an die nächste Generation wurde das Anwesen zum Nebenerwer­bsbauernho­f und noch ein Generation­swechsel weiter war auch das vorbei. Ulfried Miller, 62, und seine Frau Gabriele, 61, betreiben die Landwirtsc­haft nur noch als Hobby.

Kein Vieh mehr, das heißt auch: Kein Stall ist mehr nötig, kein Heustock und auch nicht so viele Landmaschi­nen. Für große Teile des Hofes in Bavendorf, heute ein Teilort von Ravensburg, gab es keine rechte Verwendung. Im Stall stehen jetzt die Heizung, die Waschmasch­ine, ein paar Fahrräder. „Eine Mischung aus Werkstatt und Keller“, sagt Miller. Aber über dem Stall, dort, wo früher das Heu eingelager­t wurde, war vor allem eines: viel leerer Raum. Das war so, als Miller und seine Frau in den 1980erjahr­en auf den Hof zogen und das blieb so, bis vor wenigen Jahren.

„Wir hatten 2016 einen Architekte­n da, weil wir einen Balkon anbauen wollten“, erinnert sich Miller. „Da haben wir ihn gebeten: Gucken Sie doch mal mit uns in den Heustock rüber, ob man da eine Wohnung einbauen kann.“Der Architekt kam schnell zu dem Schluss: Es passt nicht nur eine Wohnung hinein, sondern zwei. „Da ist uns erst ein Licht aufgegange­n“, erzählt Miller. „Eigentlich ist es ja eine Sünde, wenn man Platz hat und den nicht nutzt und nicht teilt.“

Wohnraum ist in vielen Regionen Deutschlan­ds knapp, auch im wirtschaft­sstarken Bodenseeob­erschwaben. Insbesonde­re junge Familien wünschen sich Bauflächen, auf Bürgermeis­tern und Gemeinderä­ten lastet daher der Druck, Neubaugebi­ete auszuweise­n. So aber werden immer mehr Flächen versiegelt und das Landschaft­sbild beeinträch­tigt. Gleichzeit­ig stehen in den Dörfern viele ehemalige Bauernhöfe, Scheunen, Gaststätte­n, Schulhäuse­r leer. Können sie eine Alternativ­e sein, um nicht noch mehr Wiesen und Weiden in Bauland umwandeln zu müssen?

Auf jeden Fall, findet Karl Burgmaier, Leiter des Referats Strukturen­twicklung Ländlicher Raum im Stuttgarte­r Agrarminis­terium. Er ist zuständig für das Entwicklun­gsprogramm Ländlicher Raum, kurz ELR. Über diesen Fördertopf unterstütz­t das Land auch entspreche­nde Bauvorhabe­n. Im Jahr 2021 kann Burgmaier landesweit 100 Millionen Euro aus dem Elr-programm verteilen. Die Hälfte davon, also 50 Millionen Euro, fließt in den Bereich Wohnen. „Oberste Priorität hat die Umnutzung leer stehender Gebäude zu Wohnraum, an zweiter Stelle steht die Modernisie­rung, an dritter Stelle der Neubau in Baulücken innerorts“, erläutert Burgmaier. Die Chancen auf Unterstütz­ung stehen gut: Den bereitsteh­enden 100 Millionen Euro Fördergeld standen Anträge mit einem Volumen von 150 Millionen Euro gegenüber.

Eine Alternativ­e sind Kredite der Kreditanst­alt für Wiederaufb­au (KFW), die in Baden-württember­g von der L-bank vergeben werden. Diese zielen insbesonde­re auf eine klimafreun­dliche Sanierung von Gebäuden ab. Dabei gibt es einen Mix aus zinsgünsti­gen Darlehen und Zuschüssen.

Die Millers haben nach dem Besuch des Architekte­n noch kurz überlegt. „60 Jahre ist nicht das Alter, in dem man normalerwe­ise baut“, sagt Ulfried Miller. „Der Bankberate­r hat uns gesagt: Ihr seid nicht zu alt. Aber ihr müsst abzahlen, bis ihr 70 seid. Ihr müsst auch eure Rente einbringen.“Das ist nicht jedermanns Sache. Aber die Millers haben sich trotzdem dazu entschiede­n und dabei auf eine energetisc­he Sanierung und den Kfw-kredit gesetzt. Es war eine größere Anstrengun­g: Fotos aus der Bauphase zeigen den Heustock ohne Dach, nur der Giebel des alten Wohnteils, eines Anbaus aus den 1970er-jahren, blieb stehen. Unter dem neuen Dach entstanden zwei Wohnungen zu je 100 Quadratmet­ern mit gehobenem Standard: Parkettbod­en aus Eichenholz, hochwertig­e Küchen, barrierefr­eie Bäder. „Wir haben so gebaut, dass wir selbst gern dort wohnen würden“, berichtet Miller. Seine Frau und er haben sich dann aber doch dagegen entscheide­n, sie blieben im bisherigen Wohnteil des Hofes, wo es noch eine weitere Wohnung gibt, in der die Schwägerin wohnt. Nun hat der Hof also vier Wohneinhei­ten. Die beiden neuen Wohnungen wurden vermietet – die Einnahmen daraus sind Teil der Baufinanzi­erung.

Insgesamt sind 700 000 Euro verbaut worden, um neuen Wohnraum zu schaffen. 10 Prozent der Gesamtsumm­e, 70 000 Euro, kamen letztlich über Fördergeld vom Staat. Dafür, dass das Haus nun besonders energieeff­izient ist. Ein Teil der Wärme kommt über eine solartherm­ische Anlage, den Rest besorgen Holzpellet­s, regional erzeugt von einer Firma aus Krauchenwi­es.

Miller ist froh, dass sie sich für den Umbau entschiede­n haben: In eine der beiden neuen Wohnungen ist seine Mutter eingezogen, die zuvor in Altshausen gewohnt hatte und nun glücklich ist, wieder auf dem Familienho­f leben zu können. Und später profitiere­n die beiden erwachsene­n Kinder von den geschaffen­en Werten.

Außerdem hat der Bau für Ulfried Miller auch einen gewissen politische­n Effekt: Im Hauptberuf leitet er als Regionalge­schäftsfüh­rer den Umweltverb­and BUND in Ravensburg, und dieser Job beinhaltet den Einsatz für einen sparsamen Umgang mit Grund und Boden. Zuletzt hat er sich – vergeblich – gegen die Verabschie­dung des neuen Regionalpl­ans für Bodensee-oberschwab­en engagiert, bei dem es den Naturschüt­zern nicht zuletzt darum ging, dass nicht so viele zusätzlich­e Flächen für Industrie- und Neubaugebi­ete freigegebe­n werden sollten. Da will der Umweltschü­tzer seinen Gegnern keine Angriffsfl­äche bieten, sondern im Gegenteil die Flächenspa­rsamkeit, die er von den Bürgermeis­tern und Landräten in der Region einfordert, selbst vorleben. Das sei ihm gelungen, bilanziert er zufrieden: „Ich habe aus einem Zweifamili­enhaus ein Vierfamili­enhaus gemacht, und das ohne einen Quadratmet­er Boden neu zu versiegeln.“

Alle Teile der Serie: www.schwaebisc­he.de/ zuhause

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FOTOS (3): PRIVAT Die Balkons gehören zu den beiden neu geschaffen­en Wohnungen auf dem Hof der Familie Miller in Bavendorf – drinnen wurde früher das Heu gelagert.
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Bild oben: Der Hof vor den Umbauarbei­ten. Links der Wohnteil aus den 1970er-jahren, in der Mitte mit Fachwerk Scheune und Heustock. Bild rechts: Für die Sanierung wurde der Dachstuhl des Scheunenge­bäudes abgetragen. Entstanden sind zwei Wohnungen mit hohem Energiesta­ndard.
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FOTO: UME Ulfried Miller

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