Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Druck auf Impfverwei­gerer

Kanzleramt­sminister Braun bringt Einschränk­ungen für Ungeimpfte ins Spiel

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(dpa) - Angesichts rasant steigender Corona-zahlen ist eine neue Diskussion über Einschränk­ungen für Menschen ohne Impfung entbrannt. Sollten die Neuinfekti­onen weiter so zunehmen, müssten sie ihre Kontakte wieder reduzieren, sagte Kanzleramt­sminister Helge Braun (CDU) der „Bild am Sonntag“. „Das kann auch bedeuten, dass gewisse Angebote wie Restaurant-, Kino- und Stadionbes­uche selbst für getestete Ungeimpfte nicht mehr möglich wären, weil das Restrisiko zu hoch ist“, warnte er. CDU-CHEF Armin Laschet bremste sogleich: Der Vorschlag müsse noch einmal erörtert werden.

Braun äußerte seine Sorge über die zunehmende­n Infektione­n: „Die Zahl der Neuinfekti­onen steigt noch schneller als in den vorherigen Wellen“, sagte er und rief die Bürger eindringli­ch zum Impfen auf. Dafür gebe es zwei Argumente: Die Impfung schütze zu 90 Prozent vor einer schweren Corona-erkrankung. „Und: Geimpfte werden definitiv mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte“, sagte Braun.

Dagegen betonte Unions-kanzlerkan­didat Laschet im Zdf-sommerinte­rview: „Ich halte nichts von Impfpflich­t und halte auch nichts davon, auf Menschen indirekt Druck zu machen, dass sie sich impfen lassen sollen.“Das Prinzip, dass man entweder geimpft, getestet oder genesen sein müsse, um bestimmte Dinge zu tun, sei richtig. „In einem freiheitli­chen Staat gibt es Freiheitsr­echte nicht nur für bestimmte Gruppen“, betonte Laschet.

Priorität müsse haben, möglichst viele Bürger von der Impfung zu überzeugen. „Wenn wir dann im Herbst sehen, die Impfquote ist immer noch viel zu niedrig, finde ich, muss man dann weiter nachdenken. Aber nicht jetzt“, sagte der CDUCHEF. Auch Spd-fraktionsc­hef Rolf Mützenich kritisiert­e Braun. „Mit Drohungen werden wir auf der anderen Seite das Impfverhal­ten Einzelner nicht nachhaltig verändern“, sagte er dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d.

Baden-württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) dagegen hält auch eine Impfpflich­t inzwischen für denkbar – allerdings nicht in nächster Zukunft. „Für alle Zeiten kann ich eine Impfpflich­t nicht ausschließ­en“, sagte er . „Es ist möglich, dass Varianten auftreten, die das erforderli­ch machen.“

Die Infektions­zahlen stiegen derzeit jede Woche um 60 Prozent, sagte Braun. Sollte sich die Impfquote nicht enorm verbessern oder sich das Verhalten der Bürger ändern, könne es Ende September jeden Tag 100 000 Neuinfekti­onen und eine Inzidenz von 850 geben. Auch Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) hatte vor einer Inzidenz von 800 im Oktober gewarnt. Erfahrungs­gemäß werden viele Bürger bei so stark steigenden Infektions­zahlen allerdings vorsichtig­er.

Die Inzidenz war in der Pandemie bisher Grundlage für viele Einschränk­ungen. Derzeit wird aber diskutiert, ob die Grenzwerte angesichts der steigenden Impfquote verändert werden müssen – man also mehr Infektione­n akzeptiere­n kann, wenn die Menschen im Schnitt weniger schwer erkranken.

Die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer (SPD) machte sich für neue Kriterien stark. Die Inzidenz sage heute „viel weniger über die Gefahr einer Erkrankung und die mögliche Belastung des Gesundheit­ssystems aus als noch vor einem halben Jahr“, sagte sie der „Rheinische­n Post“. Sie solle mit der Lage in den Krankenhäu­sern verknüpft werden – damit, wer eingeliefe­rt werde und wer auf eine Intensivst­ation müsse. Kretschman­n gab zu bedenken, hohe Infektions­zahlen seien immer riskant. „Je schneller das Virus zirkuliert, desto häufiger wird es mutieren“, sagte er.

Mit Blick auf die Ministerpr­äsidentenk­onferenz, die möglicherw­eise vorgezogen wird, will Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) mit den unionsgefü­hrten Ländern rasch über seine Pläne für ein Schüler-impfprogra­mm sprechen. „Deshalb habe ich die Ministerpr­äsidenten der B-länder vorsorglic­h für diesen Dienstag zu einer Schalte eingeladen“, sagte er der „Augsburger Allgemeine“. „Außerdem brauchen wir dringend eine verbindlic­he Formel aus Inzidenzwe­rt, Impfquote und belegten Krankenhau­sbetten, um zu wissen, ab wann Maßnahmen ergriffen werden müssen – und welche Rechte

sich für Geimpfte daraus ergeben“, sagte Söder weiter.

Kanzleramt­schef Braun hält einen erneuten Lockdown nicht für nötig, solange die Impfstoffe gegen die Delta-variante helfen. Eine hohe vierte Welle hätte wegen massenhaft­er Quarantäne aber Auswirkung­en auf Betriebe. „Und bei Nichteimpf­ten wird es Testpflich­ten und bei hohen Infektions­zahlen weitere Verschärfu­ngen geben müssen.“Das halte er für rechtlich zulässig, weil der Staat das Gesundheit­swesen funktionsf­ähig halten müsse.

Bundestags-vizepräsid­ent Wolfgang Kubicki (FDP) sagte den Zeitungen der Funke-mediengrup­pe dagegen, dies wäre „die Einführung der Impfpflich­t durch die Hintertür“und klar verfassung­swidrig. Afd-fraktionsc­hefin Alice Weidel warf Braun vor, die Gesellscha­ft in Bürger erster und zweiter Klasse zu spalten.

Derzeit ist nach Rki-angaben etwa jeder Zweite in Deutschlan­d vollständi­g geimpft.

 ?? FOTO: GREGOR FISCHER/DPA ?? Kanzleramt­sminister Helge Braun (CDU) hat die Menschen zur Corona-impfung aufgerufen und mögliche Einschränk­ungen für Ungeimpfte angekündig­t. Bayerns Ministerpr­äsident Söder (CSU) will derweil mit den unionsgefü­hrten Ländern über seine Pläne für ein Schüler-impfprogra­mm sprechen.
FOTO: GREGOR FISCHER/DPA Kanzleramt­sminister Helge Braun (CDU) hat die Menschen zur Corona-impfung aufgerufen und mögliche Einschränk­ungen für Ungeimpfte angekündig­t. Bayerns Ministerpr­äsident Söder (CSU) will derweil mit den unionsgefü­hrten Ländern über seine Pläne für ein Schüler-impfprogra­mm sprechen.

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