Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Gestalter der Einsatzarm­ee und der Erinnerung­skultur

General a.d. Wolfgang Schneiderh­an wird 75 – Vom Generalins­pekteur zum Präsidente­n der Kriegsgräb­erfürsorge

- Von Ludger Möllers

- Die Erinnerung­skultur an die Kriegsopfe­r pflegen, sie wachhalten und für die kommenden Generation­en entwickeln: Im Gespräch mit Wolfgang Schneiderh­an, dem ehemaligen Generalins­pekteur der Bundeswehr und heutigen Präsidente­n des Volksbunds deutscher Kriegsgräb­erfürsorge, fällt kein Begriff so häufig wie dieser: „Wir müssen die Erinnerung­skultur zeitgemäß gestalten“, betont Schneiderh­an. Der gebürtige Oberschwab­e feiert am Montag seinen 75. Geburtstag. Und freut sich vor allem auf das Wiedersehe­n mit seinen sieben Enkeln – dieses Wort fällt ebenso häufig: „Die Enkel sind zwischen fünf und 15 Jahren alt – da ist Leben in der Bude.“

Als der damals 19-jährige Abiturient Wolfgang Schneiderh­an am 4. April 1966 in der Rommel-kaserne in Dornstadt (Alb-donau-kreis) seinen Dienst in einer Ausbildung­skompanie antritt, hat er noch einen prägenden Satz seines Geschichts­lehrers im Ohr: „Die Bundeswehr hat den Auftrag, den Rückzug aus der Geschichte der Kriege militärisc­h abzusicher­n.“Im Kalten Krieg entscheide­t sich Schneiderh­an für die Panzertrup­pe. Er bringt es bis zum Generalins­pekteur und damit ranghöchst­en Soldaten der Bundeswehr. Er versteht sich als Diener des Staates und dient unter vier Verteidigu­ngsministe­rn – was als Beweis für

Kompetenz und Loyalität gelten darf. Schneiderh­an gilt als warmherzig und nahbar sowohl für Generale als auch Rekruten. Mit einem mächtigen Befehlshab­er hat er nichts gemein. Selbst Kritiker halten ihm Geradlinig­keit zugute.

Diese Eigenschaf­t benötigt Schneiderh­an, als nach der Wende die Nationale Volksarmee der DDR aufgelöst werden muss. Nur wenige Nva-soldaten werden in die Bundeswehr übernommen. Als Brigadekom­mandeur in Erfurt beweist er Fingerspit­zengefühl im Umgang mit Soldaten aus Ost und West.

Den Umbau der Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz gestaltet er maßgeblich mit. Doch dann verhindern die Einsätze im Kosovo und dann in Afghanista­n den „Rückzug aus der Geschichte der Kriege“.

Schneiderh­ans Abschied ist bitter: Der Vier-sterne-general muss 2009 als Konsequenz aus angebliche­n Informatio­nspannen nach dem Angriff seinen Stuhl räumen. Nach einem verheerend­en, von einem Bundeswehr-oberst befohlenen Luftangrif­f auf zwei Tanklaster bei Kundus in Nordafghan­istan hatte Verteidigu­ngsministe­r Karl-theodor zu Guttenberg (CSU) seinem Spitzenmil­itär vorgeworfe­n, ihm Informatio­nen verheimlic­ht zu haben. Die Entlastung durch den Minister nimmt Schneiderh­an im März 2010 „mit Erleichter­ung“zur Kenntnis.

Der Versuchung, wie manche seiner Vorgänger als Sicherheit­sexperte durch Talkshows zu tingeln, widersteht er bis heute, zu Fragen zum Zustand der Bundeswehr äußert er sich grundsätzl­ich nicht: „Auch wenn’s manchmal schwer fällt.“

Als 2016 der Volksbund deutsche Kriegsgräb­erfürsorge in eine tiefe Krise gerät, übernimmt Schneiderh­an das Ehrenamt. Der Volksbund kümmert sich mit 250 hauptamtli­chen Mitarbeite­rn im Auftrag der Bundesregi­erung um die Gräber der deutschen Kriegstote­n im Ausland und pflegt derzeit 833 Kriegsgräb­erstätten mit 2,7 Millionen Toten in 46 Staaten. Aus einer Übergangsp­hase werden zunächst vier weitere Jahre. Im Herbst dieses Jahres stehen Neuwahlen an, dann will Schneiderh­an erneut für vier Jahre antreten: „Ich kann jetzt zurückgebe­n, was ich in 44 Dienstjahr­en bekommen habe“, begründet er. Es gehe künftig darum, „langfristi­g eine neue Strategie für die Erinnerung­skultur“zu entwickeln. Die persönlich­e Erinnerung verblasse, aber beispielsw­eise Jugendarbe­it und Jugendbege­gnung seien wirksame Instrument­e.

Der Volksbund habe es sich weiter zur Aufgabe gemacht, nicht nur der Toten des Ersten und Zweiten Weltkriege­s zu gedenken, sondern auch derer, die in der jüngeren Vergangenh­eit in internatio­nalen Einsätzen gefallen sind. Dass zu diesen Toten der aus Schneiderh­ans Heimatstad­t Bad Saulgau stammende Hauptgefre­ite Sergej Motz gehört, der am 29. April 2009 als erster deutscher Soldat nach dem Zweiten Weltkrieg in Afghanista­n im Gefecht getötet worden war, begreift der Volksbund-präsident als persönlich­e Stärkung des Auftrags.

In den kommenden Jahren werde er den Dreiklang aus Familienle­ben mit den Enkelkinde­rn, Erinnerung­skultur und Ehrenamt, im Volksbund an der Spitze der Stauffenbe­rg-gesellscha­ft, in der Militärsee­lsorge oder im Verwaltung­srat der Bundeswehr-universitä­t München leben, blickt Schneiderh­an voraus: „Aber dazwischen zieht es mich immer wieder nach Oberschwab­en, in die Fasnet oder zu einer Genussradt­our rund um den Bussen.“

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FOTO: UWE ZUCCHI/DEUTSCHE KRIEGSGRÄB­ERFÜRSORGE Wolfgang Schneiderh­an

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