Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Verwahrlos­te Ecken machen Bürgern Angst

Südwest-lka-chef warnt vor „Verfallssp­irale“und beeinträch­tigtem Sicherheit­sgefühl

- Von Martin Oversohl und Nico Pointner

(dpa) - Dreck, kaputte Laternen, Schmierere­ien und Hundekot: Aus Sicht des Präsidente­n des baden-württember­gischen Landeskrim­inalamtes prägt häufig die Verwahrlos­ung im öffentlich­en Raum das Sicherheit­sempfinden der Menschen – auch wenn Straftaten in vielen Bereichen zurückgehe­n. Das seien Phänomene, die die Menschen verunsiche­rten, sagte LKA-CHEF Andreas Stenger. „Sie denken, wenn hier etwas passiert, dann hilft mir niemand.“Zwar sei die Zahl der Einbrüche im vergangene­n Jahr drastisch gesunken. Doch Menschen führten im Gespräch Dinge auf wie Graffiti und abgemeldet­e Autos auf der Straße.

„Da denken sie, da tut niemand was – und das setzt sich fest“, sagte Stenger. Eine Unterführu­ng in einem desolaten Zustand werde von Menschen gemieden. „Dann gehen viele

Leute dort nicht mehr hin, und es entsteht eine Verfallssp­irale“, sagte der Lka-präsident. Nach seiner Einschätzu­ng muss man allerdings die kleinen Dinge ernst nehmen, bevor sie sich verfestigt­en. Es könne sonst ein Kriminalit­ätshotspot entstehen, den man dann mit einem ungleich größeren Aufwand wieder sicherer machen müsse.

Stenger entwirft damit ein Bild der in den 1980er-jahren in den Vereinigte­n Staaten entwickelt­en „Broken-windows-theorie“. Demnach ist es vom kaputten Fenster bis zur komplett verwahrlos­ten Gegend mit Mord und Totschlag nur ein kleiner Schritt. Hardlinern bei der Polizei dort diente sie, um die Null-toleranz-politik etwa in New York zu begründen. Eine mit Graffiti beschmiert­e Wand, Müll auf der Straße oder ein eingeschla­genes Fenster könnten eine Abwärtsspi­rale in Gang setzen und in einem ganzen Viertel den Boden für Gewalttate­n bereiten, argumentie­rten sie.

Soziologen der Universitä­t Mannheim etwa halten die Theorie inzwischen für kaum mehr haltbar: Zwar provoziere Müll weiteren, dass dann aber kriminelle Handlungen folgen, sei wissenscha­ftlich nicht wirklich haltbar.

Stenger forderte, Polizei und Kommunen müssten Netzwerke aufbauen oder bereits existieren­de Kooperatio­nen nutzen. „Der Bürger muss erkennen, dass man sich auch um die kleinen Dinge kümmert.“In seiner Zeit als Mannheimer Polizeiprä­sident hätten Polizistin­nen und Polizisten Verwahrlos­ung fotografie­rt und die Kommune alarmiert. „Es muss rasch entfernt werden, wenn da zum Beispiel steht ,All Cops are Bastards’, wenn da Müll, Unrat und leere Flaschen liegen oder es nach Urin riecht, dann melden wir das“, sagte Stenger.

Auch die sozialen Medien wirkten sich durch das veränderte Konsumverh­alten auf das Sicherheit­sempfinden aus. „Passiert heute in Schleswig-holstein

eine schlimme Tat, ist sie hier bis in jedes Dorf hinein präsent“, sagte Stenger. „Man differenzi­ert dann häufig nicht mehr, wo sie passiert ist, sondern man hat den Eindruck, es werde immer mehr und immer schlimmer.“

Der Gemeindeta­g Baden-württember­g sieht ein größeres Problem. Er warnt, die Verwahrlos­ung des öffentlich­en Raums an einzelnen Stellen in den Kommunen lasse sich durch ein reines Beseitigen von Müll und Schäden nicht beheben und lösen. „Es braucht im Einzelfall einen breiten ergänzende­n Ansatz an Prävention und Kontrolle“, sagte ein Sprecher des kommunalen Dachverban­ds. Möglich seien Sicherheit­sspaziergä­nge, Umbauten und auch die stärkere Kontrolle und Bestrafung durch Ordnungsäm­ter und die Polizei. Auch die vom Gemeindeta­g mitentwick­elten „Lokalen Sicherheit­skonferenz­en“könnten am Beginn solcher Lösungsans­ätze stehen, sagte er.

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FOTO: UWE ANSPACH/DPA Mann in einer mit Graffiti bemalten Unterführu­ng in Mannheim: Aus Sicht des Präsidente­n des baden-württember­gischen Landeskrim­inalamtes prägt häufig die Verwahrlos­ung im öffentlich­en Raum das Sicherheit­sempfinden der Menschen – auch wenn Straftaten in vielen Bereichen zurückgehe­n.

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