Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Streit um den Katastroph­enschutz

Nach den Zerstörung­en im Westen Deutschlan­ds wird über Konsequenz­en debattiert

- Von Claudia Kling

- In diesem Punkt sind sich Regierung und Opposition einig: Nach der Hochwasser­katastroph­e mit mindestens 179 Toten in Nordrhein-westfalen und Rheinlandp­falz kann die Politik nicht einfach so tun, als wäre alles gut gelaufen. Konsequenz­en müssten nun gezogen werden, heißt es sowohl von CDU/ CSU, SPD, FDP und Grünen. Doch welche? Eine Antwort auf diese Frage ist umstritten, wie der Montag in Berlin zeigt. Die Sondersitz­ung des Innenaussc­husses dauerte lange, auch Helfer, die in der Hochwasser­katastroph­e mitangepac­kt haben, wurden gehört. Doch der Unmut der Opposition über Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) ist groß.

„Der Bund braucht mehr Kompetenze­n beim Katastroph­enschutz“, fordert die Fdp-innenexper­tin Sandra Bubendorfe­r-licht aus Bayern. Das Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe (BBK) müsse zur Zentralste­lle ausgebaut werden. „Es braucht endlich den Stellenwer­t, den es verdient“, sagt sie der „Schwäbisch­en Zeitung“. Den Liberalen gehe es nicht darum, „die Länder zu beschneide­n und ihnen etwas vorzuschre­iben“. Aber bei großen Lagen, die mehrere Landkreise oder sogar mehrere Länder beträfen, müsse die Koordinier­ung der Katastroph­enhilfe besser werden.

Aber auch das ist knapp zwei Wochen nach den verheerend­en Überschwem­mungen im Westen Deutschlan­ds klar: Nach der anfänglich­en Zurückhalt­ung der Parteien angesichts der gewaltigen Verwüstung­en wird die Katastroph­e immer offensicht­licher auch zum Wahlkampft­hema. Die Grünen stellten am Montag ihr eigenes Zehn-punkte-papier vor, mit dem sie den Bevölkerun­gsschutz und die Katastroph­enhilfe „zukunftsfä­hig und krisenfest“gestalten wollen. „Nach dieser Katastroph­e gibt es keine Ausrede mehr“, sagt Grünen-chefin Annalena Baerbock, die zusammen mit der Innenexper­tin Irene Mihalic in die Bundespres­sekonferen­z gekommen ist. Auch sie sprechen sich für eine „Zentralste­llenfunkti­on“des BBK aus, um im Notfall schneller handlungsf­ähig zu sein. Im BBK liege viel Expertise, die bislang nicht in ausreichen­dem Maße genutzt werde, sagt Mihalic. Deshalb müsse, so Baerbock, das Grundgeset­z entspreche­nd geändert werden.

Nach der bisherigen Rechtslage ist der Bund beim Katastroph­enschutz weitgehend außen vor. In seiner Verantwort­ung liegt der Zivilschut­z

im Verteidigu­ngsfall, sprich, der Schutz der Bevölkerun­g, falls Deutschlan­d von einem anderen Land angegriffe­n werden sollte. Die Bedeutung dieser Aufgabe hat nach dem Ende des Kalten Krieges deutlich abgenommen. Zugenommen haben allerdings Ereignisse wie Überschwem­mungen und Waldbrände, bei denen der Bund sich nur dann einbringen kann, wenn die Länder, die für den Katastroph­enschutz zuständig sind, ihn anfragen.

Die Länderchef­s wollen von dieser Kompetenzv­erteilung nicht abweichen. So lässt sich vielleicht erklären, warum Seehofer, der selbst viele Jahre Ministerpr­äsident in Bayern war, nicht den Konflikt mit ihnen sucht, obwohl er zum Ende der Legislatur aus der Politik ausscheide­t. „Ich finde es überrasche­nd, wie vehement Seehofer hier eine moderate Übertragun­g an den Bund ablehnt“, sagte Ute Vogt, innenpolit­ische Sprecherin der Spd-fraktion im Bundestag. „Dass das BBK nur im Verteidigu­ngsfall zuständig ist, ist noch sehr stark aus einer Kalter-krieg-ideologie heraus gedacht.“

Der stellvertr­etende Unionsfrak­tionsvorsi­tzende Thorsten Frei zeigt hingegen Verständni­s für Seehofers Entscheidu­ng, das BBK zwar aufzuwerte­n, aber ihm keine zentrale Führungsro­lle einzuräume­n. Die Länder seien nicht bereit, sich in der Frage der Kompetenzz­uordnungen, für die es eine Änderung des Grundgeset­zes bräuchte, zu bewegen. „Wir müssen uns natürlich überlegen, wie viel Zeit wir in der jetzigen Situation darauf verwenden, daran etwas zu ändern“, sagt Frei. Deshalb sei der Ansatz richtig, das BBK zu einem nationalen Kompetenzz­entrum auszubauen, das den eigentlich zuständige­n Ländern und Kommunen dann die notwendige Expertise zur Verfügung stellen kann.

Allerdings sieht auch der Cdubundest­agsabgeord­nete für den Wahlkreis Schwarzwal­d-baar und Oberes Kinzigtal Nachholbed­arf beim Katastroph­enschutz. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Warnungen,

die von den Behörden rausgegebe­n werden, die Menschen auch erreichen“, fordert er. Dafür brauche es die Warn-app, dafür brauche es aber auch analoge Systeme wie die Sirenen. Der Bund will den Aufbau und die Funktionsf­ähigkeit von Sirenen in Deutschlan­d mit 90 Millionen Euro unterstütz­en.

Immerhin in diesem Punkt zeigte sich die Opposition am Montag zufrieden mit dem Innenminis­ter: Künftig soll die Bevölkerun­g in Deutschlan­d per SMS vor Gefahren gewarnt werden – „Cell Broadcast“nennt sich dieses Verfahren, das in anderen Ländern bereits angewandt wird. Es funktionie­rt so, dass alle Handybesit­zer, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Funkzelle aufhalten, im Fall der Fälle eine Nachricht bekommen. Es seien zwar in den vergangene­n Monaten nicht immer alle von dieser Idee begeistert gewesen, sagt Seehofer. Aber er habe entschiede­n, „dass wir es machen“. „Da gibt es überhaupt kein vernünftig­es Argument dagegen.“

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA 90 Millionen Euro investiert der Bund in den Aufbau und die Funktionsf­ähigkeit von Sirenen.

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