Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Streit um den Katastrophenschutz
Nach den Zerstörungen im Westen Deutschlands wird über Konsequenzen debattiert
- In diesem Punkt sind sich Regierung und Opposition einig: Nach der Hochwasserkatastrophe mit mindestens 179 Toten in Nordrhein-westfalen und Rheinlandpfalz kann die Politik nicht einfach so tun, als wäre alles gut gelaufen. Konsequenzen müssten nun gezogen werden, heißt es sowohl von CDU/ CSU, SPD, FDP und Grünen. Doch welche? Eine Antwort auf diese Frage ist umstritten, wie der Montag in Berlin zeigt. Die Sondersitzung des Innenausschusses dauerte lange, auch Helfer, die in der Hochwasserkatastrophe mitangepackt haben, wurden gehört. Doch der Unmut der Opposition über Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ist groß.
„Der Bund braucht mehr Kompetenzen beim Katastrophenschutz“, fordert die Fdp-innenexpertin Sandra Bubendorfer-licht aus Bayern. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) müsse zur Zentralstelle ausgebaut werden. „Es braucht endlich den Stellenwert, den es verdient“, sagt sie der „Schwäbischen Zeitung“. Den Liberalen gehe es nicht darum, „die Länder zu beschneiden und ihnen etwas vorzuschreiben“. Aber bei großen Lagen, die mehrere Landkreise oder sogar mehrere Länder beträfen, müsse die Koordinierung der Katastrophenhilfe besser werden.
Aber auch das ist knapp zwei Wochen nach den verheerenden Überschwemmungen im Westen Deutschlands klar: Nach der anfänglichen Zurückhaltung der Parteien angesichts der gewaltigen Verwüstungen wird die Katastrophe immer offensichtlicher auch zum Wahlkampfthema. Die Grünen stellten am Montag ihr eigenes Zehn-punkte-papier vor, mit dem sie den Bevölkerungsschutz und die Katastrophenhilfe „zukunftsfähig und krisenfest“gestalten wollen. „Nach dieser Katastrophe gibt es keine Ausrede mehr“, sagt Grünen-chefin Annalena Baerbock, die zusammen mit der Innenexpertin Irene Mihalic in die Bundespressekonferenz gekommen ist. Auch sie sprechen sich für eine „Zentralstellenfunktion“des BBK aus, um im Notfall schneller handlungsfähig zu sein. Im BBK liege viel Expertise, die bislang nicht in ausreichendem Maße genutzt werde, sagt Mihalic. Deshalb müsse, so Baerbock, das Grundgesetz entsprechend geändert werden.
Nach der bisherigen Rechtslage ist der Bund beim Katastrophenschutz weitgehend außen vor. In seiner Verantwortung liegt der Zivilschutz
im Verteidigungsfall, sprich, der Schutz der Bevölkerung, falls Deutschland von einem anderen Land angegriffen werden sollte. Die Bedeutung dieser Aufgabe hat nach dem Ende des Kalten Krieges deutlich abgenommen. Zugenommen haben allerdings Ereignisse wie Überschwemmungen und Waldbrände, bei denen der Bund sich nur dann einbringen kann, wenn die Länder, die für den Katastrophenschutz zuständig sind, ihn anfragen.
Die Länderchefs wollen von dieser Kompetenzverteilung nicht abweichen. So lässt sich vielleicht erklären, warum Seehofer, der selbst viele Jahre Ministerpräsident in Bayern war, nicht den Konflikt mit ihnen sucht, obwohl er zum Ende der Legislatur aus der Politik ausscheidet. „Ich finde es überraschend, wie vehement Seehofer hier eine moderate Übertragung an den Bund ablehnt“, sagte Ute Vogt, innenpolitische Sprecherin der Spd-fraktion im Bundestag. „Dass das BBK nur im Verteidigungsfall zuständig ist, ist noch sehr stark aus einer Kalter-krieg-ideologie heraus gedacht.“
Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Thorsten Frei zeigt hingegen Verständnis für Seehofers Entscheidung, das BBK zwar aufzuwerten, aber ihm keine zentrale Führungsrolle einzuräumen. Die Länder seien nicht bereit, sich in der Frage der Kompetenzzuordnungen, für die es eine Änderung des Grundgesetzes bräuchte, zu bewegen. „Wir müssen uns natürlich überlegen, wie viel Zeit wir in der jetzigen Situation darauf verwenden, daran etwas zu ändern“, sagt Frei. Deshalb sei der Ansatz richtig, das BBK zu einem nationalen Kompetenzzentrum auszubauen, das den eigentlich zuständigen Ländern und Kommunen dann die notwendige Expertise zur Verfügung stellen kann.
Allerdings sieht auch der Cdubundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Schwarzwald-baar und Oberes Kinzigtal Nachholbedarf beim Katastrophenschutz. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Warnungen,
die von den Behörden rausgegeben werden, die Menschen auch erreichen“, fordert er. Dafür brauche es die Warn-app, dafür brauche es aber auch analoge Systeme wie die Sirenen. Der Bund will den Aufbau und die Funktionsfähigkeit von Sirenen in Deutschland mit 90 Millionen Euro unterstützen.
Immerhin in diesem Punkt zeigte sich die Opposition am Montag zufrieden mit dem Innenminister: Künftig soll die Bevölkerung in Deutschland per SMS vor Gefahren gewarnt werden – „Cell Broadcast“nennt sich dieses Verfahren, das in anderen Ländern bereits angewandt wird. Es funktioniert so, dass alle Handybesitzer, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Funkzelle aufhalten, im Fall der Fälle eine Nachricht bekommen. Es seien zwar in den vergangenen Monaten nicht immer alle von dieser Idee begeistert gewesen, sagt Seehofer. Aber er habe entschieden, „dass wir es machen“. „Da gibt es überhaupt kein vernünftiges Argument dagegen.“