Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Wer profitiert von welcher Partei?
Steuerpläne belasten Arm und Reich unterschiedlich – Vom Ansatz der FDP würden laut Experten auch untere Einkommen profitieren
- Einen „Kassensturz“nach der Bundestagswahl kündigt die Union mit ihrem Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU) an. Der erscheint auch nötig. Nach anderthalb Jahren Corona-krise stehen die öffentlichen Haushalte schlechter da als vorher. Trotzdem möchten die Parteien ihren Wählerinnen und Wählern etwas Positives für die Zeit nach der Bundestagswahl versprechen. Ist wirklich „alles drin“, wie die Grünen ankündigen? Hier ein Check der Steuer- und Finanzpolitik in den Wahlprogrammen.
Was schlägt die Union vor?
CDU und CSU „wollen so schnell wie möglich ohne neue Schulden auskommen“, aber auch keine Steuern erhöhen. Die sollen stattdessen sinken – etwa für Unternehmen, ebenso für Privathaushalte mit kleinen, mittleren und hohen Einkommen. Der restliche Solidaritätsbeitrag für Wohlhabende fällt weg. Familien sollen unter anderem profitieren, indem der Grundfreibetrag für Kinder steigt, wodurch die Steuerlast abnimmt.
Das wollen die Grünen?
Sie plädieren dafür, Zukunftsinvestitionen aus zusätzlichen Schulden zu finanzieren, die Schuldenbremse zu lockern. Umweltschädliches Verhalten soll teurer werden. Kleine und mittlere Einkommen wollen die Grünen entlasten, indem der Grundfreibetrag steigt. Leute mit höheren Verdiensten von 100 000 Euro pro Kopf an und Jahr sollen dagegen mehr Abgaben leisten.
Was steht hierzu im Programm der SPD?
Die Sozialdemokraten wollen die Schuldenbremse beibehalten. Sie propagieren, die Steuern für Privathaushalte mit kleinen und mittleren Einkommen zu senken, während „die oberen fünf Prozent“und Leute mit sehr hohen Verdiensten ab 250 000 Euro pro Kopf und Jahr höhere Abgaben entrichten. Außerdem fordert die SPD eine Vermögenssteuer und höhere Erbschaftssteuer auf große Betriebsvermögen.
Welche Ideen hat die FDP?
Kredite, die die Schuldenbremse übersteigen, lehnt die FDP ab. Kleine und mittlere Einkommen sollen entlastet werden, indem der Spitzensteuersatz erst ab 90 000 Euro Verdienst pro Jahr greift, die Steuersätze für mittlere Einkommen sinken und automatische Steuererhöhungen infolge der Inflation unterbleiben („Tarif auf Rädern“). Der bisherige Soli für hohe Gehälter fällt weg.
Und die Linke?
Sie hält die Schuldenbremse für „verheerend“. Die Abgaben für kleine und mittlere Einkommen sollen sinken, indem zum Beispiel der Grundfreibetrag auf 14 400 Euro pro
Kopf wächst. Personen mit höheren Gehältern ab etwa 80 000 Euro pro Jahr müssen mehr zahlen. Die Linken fordern eine Vermögenssteuer, eine zusätzliche Vermögensabgabe zur Finanzierung der Corona-folgen, außerdem mehr Abgaben auf Erbschaften und Firmengewinne.
Wer würde profitieren?
Die Ökonomen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) haben kürzlich die Effekte der Programme für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen durchgerechnet, wobei sie neben Steuern auch Vorschläge zu Sozialabgaben und Mindestlohn berücksichtigten. Ergebnis: Bei Union und FDP haben alle Vorteile, Haushalte ab etwa 100 000 Euro Jahreseinkommen profitieren prozentual und absolut allerdings deutlich stärker als kleine und mittlere Einkommen. Steuerexperte Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erklärt das etwa so: „Die komplette Abschaffung des Rest-soli begünstigt Bruttoeinkommen über 75 000 Euro jährlich, die obersten fünf Prozent der Bevölkerung mit den hohen Einkommen.“Wobei das Bild gemischt ist: „Der sogenannte Tarif auf Rädern der FDP wäre vor allem gut für untere und mittlere Einkommen, weil er den steilen Anstieg der Steuerbelastung bei Durchschnittseinkommen mildert.“Bei Grünen, SPD und Linken sieht es anders aus. Würden deren Programme realisiert, zahlten Leute mit kleinen und mittleren Verdiensten weniger Steuern. Ab einer Grenze von etwa 150 000 Euro jährlich stiege dagegen die Belastung zum Teil sehr deutlich.
Was kostet das?
Die Vorschläge von Union und FDP sind laut ZEW teuer für den Staat. Bei CDU/CSU betrügen die Kosten etwa 32 Milliarden Euro jährlich, bei der FDP 88 Milliarden Euro. Bei den anderen könnten die staatlichen Haushalte dagegen Mehreinnahmen verbuchen: SPD plus 14 Milliarden, Grüne plus 18 Milliarden, Linke plus 90 Milliarden pro Jahr.
Wie ist die Finanzlage?
Wegen der Corona-krise haben Länder und Bund 2020 und 2021 die Schuldenbremse im Grundgesetz nicht eingehalten. Hunderte Milliarden zusätzlicher Kredite wurden aufgenommen. Auch 2022 werden die Haushalte wohl nicht ausgeglichen. Ob es 2023 klappt, ist fraglich. Außerdem stehen massive Mehrausgaben an, um die öffentliche Infrastruktur zu modernisieren. Beispielsweise Klimaanpassung und Klimapolitik sind teuer. Vor diesem Hintergrund braucht der Staat eher mehr Mittel als weniger. Eine Finanzpolitik, die die Löcher vergrößert, erscheint schwierig.
Was spricht dafür, Wohlhabende zu begünstigen?
Grundsätzlich geht man davon aus, dass Leute mit hohen Einkommen und Vermögen diese beispielsweise in Unternehmen und Immobilien investieren. Damit schaffen sie zusätzlichen Wohlstand und Arbeitsplätze. Dieser Effekt fällt desto höher aus, je stärker der materielle Anreiz wirkt. Weniger Steuern bedeuten nach dieser Annahme mehr Anreiz.
Warum sollten Normalverdiener und Ärmere mehr bekommen?
In dieser Betrachtung geht es häufig um den sozialen Ausgleich. Alle Schichten müssen mindestens ein bisschen profitieren, und der Abstand zwischen Arm und Reich darf nicht zu groß werden, damit die Gesellschaft stabil bleibt. Ökonomisch wird argumentiert, Normalverdiener trügen einen größeren Teil ihrer Verdienste direkt in die Geschäfte, was die Nachfrage und die Unternehmen unterstütze.
Was spricht für die Entlastung von Firmen?
Einerseits das Arbeitsplatz-argument: Wenn die Unternehmen weniger Steuern entrichten, können sie mehr investieren, was Jobs schafft. Andererseits die internationale Konkurrenz: Die Union will die Gewinnsteuer in Deutschland senken, weil Großbritannien und andere Staaten das schon getan hätten. Hiesige Unternehmen dürften nicht benachteiligt werden.