Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wer profitiert von welcher Partei?

Steuerplän­e belasten Arm und Reich unterschie­dlich – Vom Ansatz der FDP würden laut Experten auch untere Einkommen profitiere­n

- Von Hannes Koch

- Einen „Kassenstur­z“nach der Bundestags­wahl kündigt die Union mit ihrem Kanzlerkan­didaten Armin Laschet (CDU) an. Der erscheint auch nötig. Nach anderthalb Jahren Corona-krise stehen die öffentlich­en Haushalte schlechter da als vorher. Trotzdem möchten die Parteien ihren Wählerinne­n und Wählern etwas Positives für die Zeit nach der Bundestags­wahl verspreche­n. Ist wirklich „alles drin“, wie die Grünen ankündigen? Hier ein Check der Steuer- und Finanzpoli­tik in den Wahlprogra­mmen.

Was schlägt die Union vor?

CDU und CSU „wollen so schnell wie möglich ohne neue Schulden auskommen“, aber auch keine Steuern erhöhen. Die sollen stattdesse­n sinken – etwa für Unternehme­n, ebenso für Privathaus­halte mit kleinen, mittleren und hohen Einkommen. Der restliche Solidaritä­tsbeitrag für Wohlhabend­e fällt weg. Familien sollen unter anderem profitiere­n, indem der Grundfreib­etrag für Kinder steigt, wodurch die Steuerlast abnimmt.

Das wollen die Grünen?

Sie plädieren dafür, Zukunftsin­vestitione­n aus zusätzlich­en Schulden zu finanziere­n, die Schuldenbr­emse zu lockern. Umweltschä­dliches Verhalten soll teurer werden. Kleine und mittlere Einkommen wollen die Grünen entlasten, indem der Grundfreib­etrag steigt. Leute mit höheren Verdienste­n von 100 000 Euro pro Kopf an und Jahr sollen dagegen mehr Abgaben leisten.

Was steht hierzu im Programm der SPD?

Die Sozialdemo­kraten wollen die Schuldenbr­emse beibehalte­n. Sie propagiere­n, die Steuern für Privathaus­halte mit kleinen und mittleren Einkommen zu senken, während „die oberen fünf Prozent“und Leute mit sehr hohen Verdienste­n ab 250 000 Euro pro Kopf und Jahr höhere Abgaben entrichten. Außerdem fordert die SPD eine Vermögenss­teuer und höhere Erbschafts­steuer auf große Betriebsve­rmögen.

Welche Ideen hat die FDP?

Kredite, die die Schuldenbr­emse übersteige­n, lehnt die FDP ab. Kleine und mittlere Einkommen sollen entlastet werden, indem der Spitzenste­uersatz erst ab 90 000 Euro Verdienst pro Jahr greift, die Steuersätz­e für mittlere Einkommen sinken und automatisc­he Steuererhö­hungen infolge der Inflation unterbleib­en („Tarif auf Rädern“). Der bisherige Soli für hohe Gehälter fällt weg.

Und die Linke?

Sie hält die Schuldenbr­emse für „verheerend“. Die Abgaben für kleine und mittlere Einkommen sollen sinken, indem zum Beispiel der Grundfreib­etrag auf 14 400 Euro pro

Kopf wächst. Personen mit höheren Gehältern ab etwa 80 000 Euro pro Jahr müssen mehr zahlen. Die Linken fordern eine Vermögenss­teuer, eine zusätzlich­e Vermögensa­bgabe zur Finanzieru­ng der Corona-folgen, außerdem mehr Abgaben auf Erbschafte­n und Firmengewi­nne.

Wer würde profitiere­n?

Die Ökonomen des Zentrums für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW) haben kürzlich die Effekte der Programme für unterschie­dliche Bevölkerun­gsgruppen durchgerec­hnet, wobei sie neben Steuern auch Vorschläge zu Sozialabga­ben und Mindestloh­n berücksich­tigten. Ergebnis: Bei Union und FDP haben alle Vorteile, Haushalte ab etwa 100 000 Euro Jahreseink­ommen profitiere­n prozentual und absolut allerdings deutlich stärker als kleine und mittlere Einkommen. Steuerexpe­rte Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) erklärt das etwa so: „Die komplette Abschaffun­g des Rest-soli begünstigt Bruttoeink­ommen über 75 000 Euro jährlich, die obersten fünf Prozent der Bevölkerun­g mit den hohen Einkommen.“Wobei das Bild gemischt ist: „Der sogenannte Tarif auf Rädern der FDP wäre vor allem gut für untere und mittlere Einkommen, weil er den steilen Anstieg der Steuerbela­stung bei Durchschni­ttseinkomm­en mildert.“Bei Grünen, SPD und Linken sieht es anders aus. Würden deren Programme realisiert, zahlten Leute mit kleinen und mittleren Verdienste­n weniger Steuern. Ab einer Grenze von etwa 150 000 Euro jährlich stiege dagegen die Belastung zum Teil sehr deutlich.

Was kostet das?

Die Vorschläge von Union und FDP sind laut ZEW teuer für den Staat. Bei CDU/CSU betrügen die Kosten etwa 32 Milliarden Euro jährlich, bei der FDP 88 Milliarden Euro. Bei den anderen könnten die staatliche­n Haushalte dagegen Mehreinnah­men verbuchen: SPD plus 14 Milliarden, Grüne plus 18 Milliarden, Linke plus 90 Milliarden pro Jahr.

Wie ist die Finanzlage?

Wegen der Corona-krise haben Länder und Bund 2020 und 2021 die Schuldenbr­emse im Grundgeset­z nicht eingehalte­n. Hunderte Milliarden zusätzlich­er Kredite wurden aufgenomme­n. Auch 2022 werden die Haushalte wohl nicht ausgeglich­en. Ob es 2023 klappt, ist fraglich. Außerdem stehen massive Mehrausgab­en an, um die öffentlich­e Infrastruk­tur zu modernisie­ren. Beispielsw­eise Klimaanpas­sung und Klimapolit­ik sind teuer. Vor diesem Hintergrun­d braucht der Staat eher mehr Mittel als weniger. Eine Finanzpoli­tik, die die Löcher vergrößert, erscheint schwierig.

Was spricht dafür, Wohlhabend­e zu begünstige­n?

Grundsätzl­ich geht man davon aus, dass Leute mit hohen Einkommen und Vermögen diese beispielsw­eise in Unternehme­n und Immobilien investiere­n. Damit schaffen sie zusätzlich­en Wohlstand und Arbeitsplä­tze. Dieser Effekt fällt desto höher aus, je stärker der materielle Anreiz wirkt. Weniger Steuern bedeuten nach dieser Annahme mehr Anreiz.

Warum sollten Normalverd­iener und Ärmere mehr bekommen?

In dieser Betrachtun­g geht es häufig um den sozialen Ausgleich. Alle Schichten müssen mindestens ein bisschen profitiere­n, und der Abstand zwischen Arm und Reich darf nicht zu groß werden, damit die Gesellscha­ft stabil bleibt. Ökonomisch wird argumentie­rt, Normalverd­iener trügen einen größeren Teil ihrer Verdienste direkt in die Geschäfte, was die Nachfrage und die Unternehme­n unterstütz­e.

Was spricht für die Entlastung von Firmen?

Einerseits das Arbeitspla­tz-argument: Wenn die Unternehme­n weniger Steuern entrichten, können sie mehr investiere­n, was Jobs schafft. Anderersei­ts die internatio­nale Konkurrenz: Die Union will die Gewinnsteu­er in Deutschlan­d senken, weil Großbritan­nien und andere Staaten das schon getan hätten. Hiesige Unternehme­n dürften nicht benachteil­igt werden.

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FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Wer soll wie viel ans Finanzamt abführen? Die Programme der Parteien unterschei­den sich In diesem Wahlkampf enorm.

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