Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Kein Holz, kein Blech, kein Glas, kein Gummi

Weltweiter Rohstoffma­ngel setzt der Industrie zu – Verbrauche­r müssen mit höheren Preisen rechnen

- Von Claus Haffert, Alexander Sturm, Michael Brehme, Andreas Hoenig und Wolf von Dewitz

(dpa) - Industriel­le Vorprodukt­e wie Holz, Stahl oder Plastik sind knapp – das setzt Industrie und Handwerk unter Druck. Nach Expertenme­inung gehen die schon deutlich gestiegene­n Preise weiter nach oben – ein Ende ist nicht absehbar. „Leere Läger, ein eingeschrä­nktes Angebot und eine anhaltend hohe Nachfrage führen zur langfristi­gen Überstrapa­zierung der Rohstoffmä­rkte“, sagt Danilo Zatta vom Beratungsu­nternehmen Horváth. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertags, Peter Adrian, spricht von einem „großen Problem“. Ein Überblick über die aktuell knappen Rohstoffe – und Antworten auf die Frage, bei welchen Produkten der Endverbrau­cher den Preisansti­eg spüren könnte.

Stahl

Jahrelang klagte Europas Stahlindus­trie wegen asiatische­r Billigimpo­rte über Absatzprob­leme. Das ist vorbei. Bei Europas größtem Stahlherst­eller Thyssenkru­pp ist von einem „Stahlengpa­ss in Europa“die Rede. Die Folge: Stahl wurde deutlich teurer. Der steile Preisansti­eg habe „selbst unsere sehr optimistis­chen Erwartunge­n übertroffe­n“, sagt David Varga vom Bankhaus Metzler. Die höheren Stahlpreis­e treffen nicht nur den Bau, die Autoindust­rie oder den Maschinenb­au. Auch relativ simple Produkte wie Konservend­osen verteuerte­n sich kräftig. Einen Preisaufsc­hlag um 30 bis 80 Prozent bei Blechdosen und Deckeln beklagte unlängst der Bundesverb­and der obst-, gemüse- und kartoffelv­erarbeiten­den Industrie (BOGK).

Selbst ein Mangel an den Verpackung­en aus Weißblech – also dünn gewalztem Stahl – wird in der Branche nicht ausgeschlo­ssen. Die Versorgung­slage sei insgesamt angespannt, sagt Sibylle Vollmer vom Verband Metallverp­ackungen. Die vertraglic­h vereinbart­en Mengen könnten die Hersteller aber liefern. Auch Brauereien verfolgen die Entwicklun­g mit Sorge. Bei dem für Kronkorken unerlässli­chen Weißblech seien Engpässe am Markt zu erkennen, so Veltinsche­f Michael Huber. Veltins habe die Versorgung mit Kronkorken aber langfristi­g abgesicher­t.

Glas

Weißblech für Dosen ist nicht das einzige Verpackung­smaterial, das teurer geworden ist. Es gebe einen klaren Verbrauche­rtrend weg vom

Kunststoff und zurück zum Glas, und so seien auch die Kosten für Konservenu­nd Marmeladen­gläser gestiegen, heißt es beim Branchenve­rband BOGK. Müssen die Verbrauche­r sich also auf höhere Preise einstellen? Die Antwort bei den Konservenp­roduzenten ist eindeutig: Allein könnten die Lebensmitt­elverarbei­ter die steigenden Kosten nicht auffangen, denn durch die Corona-krise seien die finanziell­en Reserven aufgebrauc­ht. Es sei daher schwer vorstellba­r, dass sich die „Verwerfung­en am Ende nicht auch auf die Verbrauche­rpreise auswirken werden“.

Kautschuk

Auch bei Autoreifen müssen sich Verbrauche­r auf höhere Kosten einstellen, warnte kürzlich der Bundesverb­and Reifenhand­el und Vulkaniseu­r-handwerk (BRV). Man gehe davon aus, dass es in den kommenden Monaten, etwa beim Umrüsten auf Winterreif­en, zu „spürbaren Preiserhöh­ungen“in allen Segmenten komme. Denn die Kosten für Rohstoffe, Energie und Logistik seien gestiegen. Der Reifenfach­handel müsse Preissteig­erungen „voll an private wie gewerblich­e Verbrauche­r weitergebe­n“, sagte der Verbandsvo­rsitzende Stephan Helm.

So seien die Kosten für Naturkauts­chuk, eines der Hauptmater­ialien bei der Reifenprod­uktion, stark gestiegen. Der Mittelwert für das erste Halbjahr habe 57 Prozent über dem Vorjahr gelegen. Und mit dem starken Anziehen der Ölpreise hätten sich auch auf petrochemi­scher Basis hergestell­te synthetisc­he Kautschuke ebenfalls verteuert. Zudem bekomme die Branche steigende Containerf­rachtraten im Welthandel zu spüren.

Auch in der Kautschukp­roduktion hat nach der Corona-krise eine starke Erholung eingesetzt. Brach die deutsche Kautschukh­erstellung im Jahr 2020 wegen der Pandemie um rund 20 Prozent ein, werde seit einigen Monaten wieder auf Vorkrisenn­iveau produziert, berichtete der Verband der Chemischen Industrie (VCI). Zugleich sei die Nachfrage sehr groß. Die Preise für Reifen könnten steigen, meint auch der VCI. Die Lage dürfte sich in der zweiten Jahreshälf­te aber aller Voraussich­t wieder entspannen.

Holz

Beim Holz gibt es weiterhin eine „Ausnahmesi­tuation“, die an Störungen der Lieferkett­en und nachfolgen­den Marktverze­rrungen liegt, wie es Denny Ohnesorge vom Hauptverba­nd der Deutschen Holzindust­rie formuliert. Die Nachfrage im Bau sei im Inland wie im Ausland hoch, große Mengen gehen in die USA. Durch Corona sprang zudem die Nachfrage im „Do it yourself“-bereich an, also vor allem in den Baumärkten. Das Bauholz verteuerte sich im Mai 2021 im Vergleich zum Vorjahresm­onat laut Holzwirtsc­haftsrat um 38,4 Prozent. Bis Ende des Jahres erwartet Ohnesorge eine Entspannun­g der Situation. Das Beratungsu­nternehmen Horváth rechnet hingegen mit einem weiteren Preisansti­eg bis Jahresende um bis zu einem Drittel bei Holz und bezieht sich dabei auf eine Umfrage unter 1000 Führungskr­äften von produziere­nden Firmen in Europa.

Ein Sprecher der Baumarktke­tte Bauhaus sagt mit Blick auf den Materialbe­zug

durch Lieferante­n, dass es insbesonde­re beim Rohstoff Holz eine „hochdynami­sche Preisentwi­cklung und längere Lieferzeit­en“gegeben habe. Bisher habe Bauhaus dies zumeist ausgleiche­n können – der Kunde habe davon also nur in Teilen etwas mitbekomme­n. „Bleibt der Rohstoffma­rkt in Zukunft jedoch weiterhin so sprunghaft, kann es vereinzelt zu Preissteig­erungen und Lieferverz­ögerungen kommen.“

Plastik

Hersteller von Plastikver­packungen berichten von Materialkn­appheit und höheren Kosten wegen Coronastör­ungen im Welthandel und wegen Folgen höherer Gewalt – fast die Hälfte von etwa 100 Unternehme­n in Deutschlan­d schätzte die Rohstoffve­rfügbarkei­t als schlecht oder sehr schlecht ein, wie die Industriev­ereinigung Kunststoff­verpackung­en unter Bezug auf eine Branchenum­frage im Juni berichtet. Die Preise für Rohstoffe hätten seit Januar stark angezogen – bei weit verbreitet­en Kunststoff­en, den Polyolefin­en, um bis zu 80 Prozent. Es geht zum Beispiel um Plastiktüt­en, Lebensmitt­elschachte­ln und Folien.

Halbleiter

Für viele Branchen sind Halbleiter ein zentrales Bauteil und damit eine Art Rohstoff. Seit mehr als einem halben Jahr bringt der Mangel an wichtigen elektronis­chen Bauteilen die Autobauer weltweit aus dem Takt. Der Engpass an Halbleiter­n sorgt bei VW, Daimler, BMW und anderen Firmen immer wieder für Produktion­sausfälle und verlängert aus Kundensich­t die Lieferfris­ten neuer Fahrzeuge teils erheblich. Wegen des coronabedi­ngten Nachfragee­inbruchs 2020 hatten die Konzerne große Kontingent­e dieser Chipkompon­enten abbestellt – im aktuellen Aufschwung fehlen die Teile ihnen nun zuhauf. Schichten fielen aus, Kurzarbeit in einzelnen Werken folgte, Hunderttau­sende geplante Autos konnten nicht im vorgesehen­en Zeitplan gefertigt werden.

Durch Wetterextr­eme und Brände lagen bei Halbleiter-firmen in Japan und den USA dann auch noch weitere der ohnehin begrenzten Kapazitäte­n brach. Die Autobauer behelfen sich angesichts der knappen Ressourcen zurzeit unter anderem damit, dass sie gewinnträc­htigere Modelle bevorzugt mit den knappen Teilen bestücken – so konnten etwa VW und Daimler zuletzt trotz der Krise üppige Gewinne im Tagesgesch­äft vermelden. Die Knappheit dürfte sich nach Expertensi­cht allerdings bis weit in das vierte Quartal ziehen.

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Stahlrolle­n (von oben links im Uhrzeigers­inn), Glasflakon­s, Holzstämme, Autoreifen: Die Unternehme­n werden die gestiegene­n Rohstoffpr­eise nach und nach an die Verbrauche­r weitergebe­n.
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FOTOS: DPA
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