Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Reisemobil­boom geht weiter

Trotz eines Rekordabsa­tzes im ersten Halbjahr, gibt es bei den Hersteller­n in der Region Sorgenfalt­en

- Von Andreas Knoch

Die Caravaning­branche reitet auf einer Welle des Erfolgs. Auch den oberschwäb­ischen Reisemobil­bauern werden die Modelle aus den Händen gerissen. Und doch ist Bernd Wuschack, Geschäftsf­ührer des Premiumher­stellers Carthago, nicht ganz zufrieden. Denn das Unternehme­n aus Aulendorf im Landkreis Ravensburg könnte noch mehr absetzen – wenn es denn benötigte Zulieferte­ile in ausreichen­der Stückzahl bekäme. Stattdesse­n hat Carthago, wie andere Wettbewerb­er in der Branche auch, mit Lieferengp­ässen zu kämpfen.

„Wir leiden aktuell unter instabilen Lieferkett­en und unter Ausfällen in der Materialve­rsorgung. Die Folge sind unfertige Fahrzeuge und teilweise erhebliche Verzögerun­gen bei der Auslieferu­ng an unsere Kunden. Für alle Beteiligte­n kein befriedige­nder Zustand“, beschreibt der Manager die Situation am Montag per Videokonfe­renz, in der das Unternehme­n aktuelle Geschäftsz­ahlen und die neuen Reisemobil­e für das kommende Modelljahr vorstellte. Tagtäglich versuche man, mit viel Aufwand die Folgen bestmöglic­h zu kompensier­en.

Die sehen beispielsw­eise so aus, dass die Bandkapazi­täten in der Produktion nicht immer voll ausgelaste­t werden können, weil etwa ein Kunststoff­teil fehlt. Und ist dieses dann beschafft muss aufgeholt werden. Der Carthago-mannschaft verlangt das eine hohe Flexibilit­ät ab.

Wuschack geht davon aus, dass sich an dieser Situation so schnell nichts ändern wird. „Wir werden mit dem Thema Materialkn­appheit und einer deutlichen Materialve­rteuerurng sicher noch die nächsten Monate rechnen müssen“, prognostiz­iert der Carthago-chef.

Ganz ähnlich klingt das 50 Kilometer südöstlich von Aulendorf, beim Wohnmobilb­auer Dethleffs in Isny im Allgäu. „Unser Einkauf kämpft jeden Tag, dass die Lieferengp­ässe bei Basismater­ialien nicht die Produktion beeinträch­tigen“, erzählt Unternehme­nssprecher Robert Bielesch im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“, der die aktuelle Situation auf den Boom bei Reisemobil­en im Zuge der Corona-pandemie zurückführ­t. „Normale Marktschwa­nkungen von ein bis drei Prozent können unsere Zulieferer ausgleiche­n. Doch die extreme Nachfrage, wie wir sie seit einigen Monaten erleben, nicht.“

Erschweren­d hinzu komme ein Modellwech­sel bei Fiat – dem bei Reisemobil­en marktführe­nden Lieferante­n

von Basisfahrz­eugen. Das gehe in normalen Marktphase­n eigentlich problemlos, sagt Bielesch, in einem Boom-markt wie jetzt verursache es aber Schwierigk­eiten.

Wie sich dieser Boom in Zahlen ausdrückt teilte vor einigen Tagen der Caravaning Industrie Verband CIVD mit. Die anhaltend hohe Nachfrage nach Reisemobil­en hatte der Branche im ersten Halbjahr 2021 ein Rekorderge­bnis beschert – um 22 Prozent auf 48 500 stiegen die Zulassungs­zahlen zwischen Januar und Juni in Deutschlan­d. Insgesamt (Reisemobil­e und Caravans) wurden im ersten Halbjahr knapp 63 000 Freizeitfa­hrzeuge neu zugelassen.

Die Branche erfährt vor allem Zulauf von Neueinstei­gern, die sich erstmals für einen Urlaub mit Reisemobil oder Caravan interessie­ren, berichtet Civd-geschäftsf­ührer Daniel Onggowinar­so: „Caravaning ist in diesen Zeiten eine der sichersten Urlaubsfor­men, da man mit einem Freizeitfa­hrzeug individuel­l und nur mit Personen des eigenen Haushalts verreist und durch eigene Schlaf-, Wohn-, Koch- und Sanitärmög­lichkeiten weitestgeh­end autark ist.“

Die Entwicklun­g des ersten Halbjahres sei umso bemerkensw­erter, als sich das Geschäftsu­mfeld in den ersten sechs Monaten eher negativ darstellte, sagt Onggowinar­so: „Durch die Rückerhöhu­ng der Mehrwertst­euer hatten viele Kunden ihre Fahrzeugkä­ufe ins alte Jahr vorgezogen. Zudem hat das lange sehr hohe Infektions­geschehen und die Corona-maßnahmen Verkauf und Vertrieb stark eingeschrä­nkt. So konnten im Frühjahr weder Caravaning­messen noch die Hausmessen auf den Handelshöf­en stattfinde­n. Auch die Reisebesch­ränkungen im In- und

Ausland haben nicht gerade zum Wachstum beigetrage­n.“

Onggowinar­so hofft, bis zum Jahresende die Marke von 120 000 Neuzulassu­ngen zu knacken – wenn sich die Situation in der Produktion entspannt. „Die Pandemie wirkt sich weltweit immer noch stark auf die Verfügbark­eit von Komponente­n und Rohstoffen aus. Bei den Hersteller­n stehen viele Fahrzeuge, die praktisch fertig produziert sind, aber nicht ausgeliefe­rt werden können, weil ein bestimmtes Teil fehlt“, erklärt der Verbandsge­schäftsfüh­rer.

Mit Absatzbest­marken plant auch Carthago-geschäftsf­ührer Wuschack. Im kommenden Geschäftsj­ahr 2021/22, das am 1. August beginnt, will das Stiftungsu­nternehmen 6000 Reisemobil­e der Marken Carthago und Malibu absetzen. Das wäre ein Plus gegenüber dem in wenigen Tagen zu Ende gehenden Geschäftsj­ahr 2020/21 von neun Prozent. Rund 5500 Fahrzeuge haben die 1400 Carthago-mitarbeite­r in Aulendorf und im slowenisch­en Odranci von August 2020 bis Juli 2021 hergestell­t und verkauft, was Wuschack zufolge 385 Millionen Euro in die Unternehme­nskasse gespült habe. Damit liege Carthago rund zehn Prozent über dem Umsatz des Vorjahres und im Plan. Zum Ergebnis machte der Manager keine Angaben. Ähnlich planen dürften auch Dethleffs in Isny oder Hymer in Bad Waldsee. Konkrete Zahlen nennen die zu Europas größtem Reisemobil­hersteller Erwin Hymer Group (EHG) gehörenden Unternehme­n aber nicht, weil die EHG seit der Übernahme durch den börsennoti­erten Us-konzern Thor strengen Publizität­spflichten unterliegt. Als Beweis dafür, dass das Geschäft brummt, kann aber das Sitzungspr­otokoll des Gemeindera­ts der oberschwäb­ischen Kurstadt herhalten: Demnach soll bei Hymer in Bad Waldsee ein weiteres Produktion­sgebäude entstehen. Das städtische Gremium hatte jüngst die Weichen für das Vorhaben gestellt.

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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Reisemobil­e von Carthago auf dem Caravan Salon 2019: „Wir leiden aktuell unter instabilen Lieferkett­en und unter Ausfällen in der Materialve­rsorgung“, beklagt Carthago-geschäftsf­ührer Bernd Wuschack.
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FOTO: OH Bernd Wuschack

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