Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Reisemobilboom geht weiter
Trotz eines Rekordabsatzes im ersten Halbjahr, gibt es bei den Herstellern in der Region Sorgenfalten
Die Caravaningbranche reitet auf einer Welle des Erfolgs. Auch den oberschwäbischen Reisemobilbauern werden die Modelle aus den Händen gerissen. Und doch ist Bernd Wuschack, Geschäftsführer des Premiumherstellers Carthago, nicht ganz zufrieden. Denn das Unternehmen aus Aulendorf im Landkreis Ravensburg könnte noch mehr absetzen – wenn es denn benötigte Zulieferteile in ausreichender Stückzahl bekäme. Stattdessen hat Carthago, wie andere Wettbewerber in der Branche auch, mit Lieferengpässen zu kämpfen.
„Wir leiden aktuell unter instabilen Lieferketten und unter Ausfällen in der Materialversorgung. Die Folge sind unfertige Fahrzeuge und teilweise erhebliche Verzögerungen bei der Auslieferung an unsere Kunden. Für alle Beteiligten kein befriedigender Zustand“, beschreibt der Manager die Situation am Montag per Videokonferenz, in der das Unternehmen aktuelle Geschäftszahlen und die neuen Reisemobile für das kommende Modelljahr vorstellte. Tagtäglich versuche man, mit viel Aufwand die Folgen bestmöglich zu kompensieren.
Die sehen beispielsweise so aus, dass die Bandkapazitäten in der Produktion nicht immer voll ausgelastet werden können, weil etwa ein Kunststoffteil fehlt. Und ist dieses dann beschafft muss aufgeholt werden. Der Carthago-mannschaft verlangt das eine hohe Flexibilität ab.
Wuschack geht davon aus, dass sich an dieser Situation so schnell nichts ändern wird. „Wir werden mit dem Thema Materialknappheit und einer deutlichen Materialverteuerurng sicher noch die nächsten Monate rechnen müssen“, prognostiziert der Carthago-chef.
Ganz ähnlich klingt das 50 Kilometer südöstlich von Aulendorf, beim Wohnmobilbauer Dethleffs in Isny im Allgäu. „Unser Einkauf kämpft jeden Tag, dass die Lieferengpässe bei Basismaterialien nicht die Produktion beeinträchtigen“, erzählt Unternehmenssprecher Robert Bielesch im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, der die aktuelle Situation auf den Boom bei Reisemobilen im Zuge der Corona-pandemie zurückführt. „Normale Marktschwankungen von ein bis drei Prozent können unsere Zulieferer ausgleichen. Doch die extreme Nachfrage, wie wir sie seit einigen Monaten erleben, nicht.“
Erschwerend hinzu komme ein Modellwechsel bei Fiat – dem bei Reisemobilen marktführenden Lieferanten
von Basisfahrzeugen. Das gehe in normalen Marktphasen eigentlich problemlos, sagt Bielesch, in einem Boom-markt wie jetzt verursache es aber Schwierigkeiten.
Wie sich dieser Boom in Zahlen ausdrückt teilte vor einigen Tagen der Caravaning Industrie Verband CIVD mit. Die anhaltend hohe Nachfrage nach Reisemobilen hatte der Branche im ersten Halbjahr 2021 ein Rekordergebnis beschert – um 22 Prozent auf 48 500 stiegen die Zulassungszahlen zwischen Januar und Juni in Deutschland. Insgesamt (Reisemobile und Caravans) wurden im ersten Halbjahr knapp 63 000 Freizeitfahrzeuge neu zugelassen.
Die Branche erfährt vor allem Zulauf von Neueinsteigern, die sich erstmals für einen Urlaub mit Reisemobil oder Caravan interessieren, berichtet Civd-geschäftsführer Daniel Onggowinarso: „Caravaning ist in diesen Zeiten eine der sichersten Urlaubsformen, da man mit einem Freizeitfahrzeug individuell und nur mit Personen des eigenen Haushalts verreist und durch eigene Schlaf-, Wohn-, Koch- und Sanitärmöglichkeiten weitestgehend autark ist.“
Die Entwicklung des ersten Halbjahres sei umso bemerkenswerter, als sich das Geschäftsumfeld in den ersten sechs Monaten eher negativ darstellte, sagt Onggowinarso: „Durch die Rückerhöhung der Mehrwertsteuer hatten viele Kunden ihre Fahrzeugkäufe ins alte Jahr vorgezogen. Zudem hat das lange sehr hohe Infektionsgeschehen und die Corona-maßnahmen Verkauf und Vertrieb stark eingeschränkt. So konnten im Frühjahr weder Caravaningmessen noch die Hausmessen auf den Handelshöfen stattfinden. Auch die Reisebeschränkungen im In- und
Ausland haben nicht gerade zum Wachstum beigetragen.“
Onggowinarso hofft, bis zum Jahresende die Marke von 120 000 Neuzulassungen zu knacken – wenn sich die Situation in der Produktion entspannt. „Die Pandemie wirkt sich weltweit immer noch stark auf die Verfügbarkeit von Komponenten und Rohstoffen aus. Bei den Herstellern stehen viele Fahrzeuge, die praktisch fertig produziert sind, aber nicht ausgeliefert werden können, weil ein bestimmtes Teil fehlt“, erklärt der Verbandsgeschäftsführer.
Mit Absatzbestmarken plant auch Carthago-geschäftsführer Wuschack. Im kommenden Geschäftsjahr 2021/22, das am 1. August beginnt, will das Stiftungsunternehmen 6000 Reisemobile der Marken Carthago und Malibu absetzen. Das wäre ein Plus gegenüber dem in wenigen Tagen zu Ende gehenden Geschäftsjahr 2020/21 von neun Prozent. Rund 5500 Fahrzeuge haben die 1400 Carthago-mitarbeiter in Aulendorf und im slowenischen Odranci von August 2020 bis Juli 2021 hergestellt und verkauft, was Wuschack zufolge 385 Millionen Euro in die Unternehmenskasse gespült habe. Damit liege Carthago rund zehn Prozent über dem Umsatz des Vorjahres und im Plan. Zum Ergebnis machte der Manager keine Angaben. Ähnlich planen dürften auch Dethleffs in Isny oder Hymer in Bad Waldsee. Konkrete Zahlen nennen die zu Europas größtem Reisemobilhersteller Erwin Hymer Group (EHG) gehörenden Unternehmen aber nicht, weil die EHG seit der Übernahme durch den börsennotierten Us-konzern Thor strengen Publizitätspflichten unterliegt. Als Beweis dafür, dass das Geschäft brummt, kann aber das Sitzungsprotokoll des Gemeinderats der oberschwäbischen Kurstadt herhalten: Demnach soll bei Hymer in Bad Waldsee ein weiteres Produktionsgebäude entstehen. Das städtische Gremium hatte jüngst die Weichen für das Vorhaben gestellt.