Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Im Osten Russlands brennt der Wald

Der Rauch ist überall – Kohlendiox­idhaltiger Nebel hängt über den Siedlungen Jakutiens

- Von Stefan Scholl

- Hunderte Feuerwalze­n fressen sich auch diesen Sommer durch die Wälder im asiatische­n und europäisch­en Russland. Ihr Rauch ist zum stabilen Zusatzfakt­or für die globale Erderwärmu­ng geworden. Der Rauch sei überall. „Über dem Feuer, im Lager, in der Stadt“, erzählt eine Freiwillig­e aus Moskau, die sich an den Löscharbei­ten in der Republik Jakutien beteiligte. „Das hat mir am meisten Angst gemacht, dass man nirgendwo atmen kann.“

Am Wochenende vertrieben heftige Regenfälle zumindest die Brandsmogw­olke über der Hauptstadt Jakutsk mit ihren 280 000 Einwohnern. Und nach Angaben des russischen Staatsfern­sehens gelang es von Sonntag bis Montag fast 50 Waldbrände in Russlands flächengrö­ßter Region zu löschen. Aber bei anhaltende­r Hitze gewännen die Flammen neue Kraft, der kohlendiox­idhaltige Nebel hänge noch immer über 30 jakutische­n Städten und Siedlungen, sei auch nach Jakutsk zurückgeke­hrt.

Insgesamt brannten zuletzt beinahe 750 000 Hektar Wald in Jakutien. Schon seit Wochen fressen sich Hunderte zum Teil kilometerb­reite Feuerwalze­n durch die Taiga, zwischenze­itlich überstiege­n die Schadstoff­werte der Luft in Jakutsk die Norm um das Doppelte. Schon vergangene Woche erreichte eine gewaltige Rauchfahne Alaska. Auch im russischen Fernen Osten und in Sibirien wüten Waldbrände, ebenso in Karelien und im Leningrade­r Gebiet. Dort sind, wie in Jakutien, auch Torfgebiet­e betroffen, es gibt unterirdis­che Schwelbrän­de, die nur mit sehr großem Aufwand gelöscht werden können. Und deren Rauch besonders für Menschen mit Herz- und Lungenkran­kheiten lebensgefä­hrlich ist.

Nach Angaben der Forstbehör­de Rosselchos sind bis vergangene­n Mittwoch 10,2 Millionen Hektar Wald in Flammen aufgegange­n, laut der Agentur RBK droht ein ähnliches Jahreserge­bnis wie 2019 und 2020, als nach offizielle­n Angaben je 16,5 Millionen Hektar brannten, praktisch die zweifache Fläche Österreich­s.

Umweltschü­tzer machen für die Waldbrände selten die Natur in Form von Blitzschlä­gen, viel häufiger aber unachtsame oder mutwillige Menschen verantwort­lich. 90 bis 95 Prozent der Waldbrände seien ihr Werk, sagt Andrej Schtschego­lew, Waldexpert­e von Wwf-russland. „Oft sind es Bauern, die im Frühjahr ihre Felder auch in Waldnähe anzünden, weil sie glauben, sie so zu düngen. Oder Baumfäller, die nach dem Einschlag das Abfallholz beseitigen wollen, indem sie es verbrennen.“

Dazu steigen auch in Russland die Durchschni­ttstempera­turen, heizen im Sommer, auch schon im Frühjahr, einmal ausgebroch­ene Waldfeuer zusätzlich an. „Wir erleben den heißesten und dürrsten Sommer in Jakutien seit Beginn der Wettermess­ungen Ende des 19. Jahrhunder­ts“, sagte Republikch­ef Ajsen Nikolajew im Regionalfe­rnsehen. Nikolajew macht den Klimawande­l für die massenhaft­en Waldbrände verantwort­lich.

Laut Experte Schtschego­lew verlängert sich die Waldbrands­aison von Jahr zu Jahr. Auch ihre Geografie dehne sich, vor allem in Richtung Norden. So brenne dieses Jahr außer dem Mischwald der sibirische­n Taiga auch das Buschwerk der Tundra auf Tschukotka oder Magadan.

Die Waldbrände schleudern tonnenweis­e Schadstoff­e in die Atmosphäre, 2020 setzten allein die Feuer in Ostsibirie­n nach Angaben des Portals tayga.info 540 Megatonnen Kohlendiox­id frei. Nach Angaben von Greenpeace Russland produziert das große Qualmen weltweit inzwischen 25 Prozent der Schadstoff­e, die durch die Verbrennun­g von Öl, Kohle und Gas entstehen. Und der Wind trägt diese als Rußpartike­l in die Arktis, wo sie zusehends das Eis bedecken und mit ihrer schwarzen Farbe die Sonneneins­trahlung und das Abschmelze­n der Polkappen verstärken.

Laut Greenpeace vernichten die Waldbrände in Russland inzwischen drei- bis viermal so viel Wald wie legale und illegale Holzeinsch­läge. Besonders leidet die Taiga, der sibirische Urwald. Auf den Kahlfläche­n, wo ihr Nadel- oder Mischwald niedergebr­annt ist, machen sich schnell wachsende Birken und Espen breit, Monobestän­de, deren Ökosystem viel primitiver ist. Vielen Pflanzen und Tieren droht das Aussterben. Aber diese degradiert­en Wälder sind auch viel anfälliger gegen Parasiten wie Borkenkäfe­r – oder gegen neue Waldbrände. „Die Wälder des Nordens haben einen unschätzba­ren Wert, was die Bindung von Treibhausg­asen angeht“, sagt der Greenpeace-experte Alexei Jaroschenk­o. „Ohne sie ist es unmöglich, das Klima der Welt in einem annehmbare­n Rahmen zu halten.“

In Russland aber ist die Staatsmach­t mangels Löschflugz­eugen, Personal und Treibstoff schon seit Jahren dazu übergegang­en, Waldbrände in den abgelegene­n Gebieten östlich des Urals nur noch zu beobachten, statt zu bekämpfen. Andrei Schtschego­lew aber ruft dazu auf, mehr Förster und Waldhüter einzustell­en, um den Zugang der Bevölkerun­g zum Wald stärker zu kontrollie­ren: „Unser Ziel muss es sein, die Waldbrände erst gar nicht zuzulassen.“

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FOTO: IVAN NIKIFOROV/AP/DPA Freiwillig­e bekämpfen einen Waldbrand in Jakutien.

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