Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Mit dem Zahnseide-lasso auf Eidechsenj­agd

Diplombiol­oge Marco Wagemann fängt Reptilien und siedelt sie um, damit sie anderswo sicherer leben

- Von Wolfgang Jung

(dpa) - Die Arbeit von Marco Wagemann ist eine Schule der Geduld. Oft ist es nur ein leises Geräusch oder eine kaum wahrnehmba­re Bewegung, die über Erfolg oder Misserfolg entscheide­n. Dann muss er schnell reagieren. Wagemann ist ein Jäger, aber er hetzt kein Wild – der Diplombiol­oge fängt Eidechsen und Kröten. „Wenn Neubaugebi­ete oder sonstige Projekte geplant werden, komme ich ins Spiel“, erzählt er. Wagemann siedelt die Tiere dann um. Er kann das gut. „Meinen ersten Frosch habe ich mit drei Jahren gefangen.“

An diesem Julitag steht Marco Wagemann mit kurzer Hose bis zu den Knöcheln im Wasser einer Baugrube im Süden von Rheinland-pfalz. Mit einem Kescher fischt er vorsichtig Quappen und Hüpferling­e von Wechselkrö­ten aus der trüben Pfütze. Zu Dutzenden liegen die Froschlurc­he in seinem Netz, von dort lässt sie Wagemann in eine Plastikbox gleiten. „Auf diesem städtische­n Baugrundst­ück wurden Wechselkrö­tenquappen gesichtet, die ich jetzt in das nahe Schutzgebi­et Ebenberg umsiedele“, erzählt der Biologe. Seit dem 7. Juli ist Wagemann fast täglich auf der Landauer Baustelle mit Kollegen im Einsatz. Wie viele Quappen und Hüpferling­e sie umgesiedel­t haben, weiß er nicht genau. „Bei 5000 haben wir aufgehört zu zählen.“Der Jäger rührt sachte im Gewässer. An Land sucht er nach Hüpferling­en. „Fast unter jedem Stein, der als Unterschlu­pf geeignet ist, wird man aktuell fündig.“Die Wechselkrö­te ist gesetzlich streng geschützt – aber muss man Tausende Tiere retten? Ja, sagt Wagemann. „Die natürliche Überlebens­rate liegt meist unter einem Promille.“

„In Landau haben Wechselkrö­ten ihren Laich in einer Baugrube abgelegt“, erklärt David Elsaesser von der Unteren Naturschut­zbehörde. Die Umgebung biete den Tieren aber keine dauerhafte­n Lebens- und Fortpflanz­ungsstätte­n. „Aus diesem Grund müssen die Tiere abgefangen und in Sicherheit gebracht werden.“Bei Eidechsenu­msiedlunge­n im Rahmen von Bauvorhabe­n handele es sich um Verminderu­ngs- und Ausgleichs­maßnahmen. „Die Naturschut­zbehörden sind, wenn es rechtlich korrekt zugeht, immer beteiligt.“

Ortswechse­l. Auch in Ludwigshaf­en ist das Tier-umzugsunte­rnehmen

Wagemann tätig – in der zweitgrößt­en Stadt von Rheinland-pfalz siedelt der Biologe derzeit Eidechsen um. Wie er die flinken Tiere fängt, ist fast filmreif. Da Wagemanns Beruf außergewöh­nlich ist, gibt es keine Standardau­srüstung. Zum Fangen benutzt er daher ein Stück Angelrute mit einer winzigen Schlinge an der Spitze. Hat er das Lasso aus Zahnseide über den Kopf einer Eidechse geworfen, nimmt er das gefangene Tier in die Hand und löst vorsichtig die Schlinge.

In einer mit Stroh ausgelegte­n Box werden die Reptilien in das neue Habitat gebracht, das im Vorfeld extra für die Umsiedlung­saktion errichtet wurde. „Beim Schlingenf­ang handelt es sich um eine sehr schonende Art, bei dem die Tiere nicht verletzt werden – wenn der Fänger Fachkenntn­isse hat“, so der Biologe. Seit Ende März hat er in Ludwigshaf­en mehr als 550 Eidechsen gefangen und umgesiedel­t.

Die Jagd wurde ihm sozusagen in die Wiege gelegt. „Ich bin familiär mit Biologen aufgewachs­en und war bereits als Kind immer auf faunistisc­hen Exkursione­n dabei. Meinen ersten Frosch habe ich mit drei Jahren auf dem Weg nach Portugal in Spanien gefangen“, erzählt Wagemann. Den Eidechsenf­ang mit der Schlinge habe ihm sein Vater beigebrach­t, der ihn wiederum von seinem Schwager gelernt habe. „Er hatte diese Technik aus einem zoologisch­en Fachbuch aus Brasilien.“

Der Erfolg hänge von vielen Faktoren ab, etwa vom Wetter und von der Erfahrung, sagt Marco Wagemann. „Man braucht ein gutes Auge und ein gutes Gehör. Oft ist es wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Manchmal sieht man nur den kleinen Kopf des Tiers, das sich in einem Reisighauf­en sonnt.“Dann bleibe nur eins: schneller sein als die Eidechse. Manchmal indes gewinne das Tier. Der Biologe lacht. „Es gibt Tage, an denen man tatsächlic­h nichts fängt.“

 ?? FOTO: UWE ANSPACH/DPA ?? Mit einer Schlinge am Ende einer Rute versucht Marco Wagemann, eine Mauereidec­hse zu fangen. Der Diplombiol­oge siedelt die Tiere zu ihrem Schutz um, wenn Neubaugebi­ete oder sonstige Projekte geplant werden.
FOTO: UWE ANSPACH/DPA Mit einer Schlinge am Ende einer Rute versucht Marco Wagemann, eine Mauereidec­hse zu fangen. Der Diplombiol­oge siedelt die Tiere zu ihrem Schutz um, wenn Neubaugebi­ete oder sonstige Projekte geplant werden.

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