Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

So furios kann man Shakespear­e heute spielen

Lina Beckmann zeigt in „Richard the Kid & the King“bei den Salzburger Festspiele­n einen heranwachs­enden Serienkill­er

- Von Jürgen Berger

- Der englische König soll einer der blutrünsti­gsten Despoten der Menschheit­sgeschicht­e gewesen sein. So jedenfalls sah Shakespear­e es, der einen sich selbst analysiere­nden Psychopath­en aus Richard III. machte. Tom Lanoye, ein flämischer Theateraut­or, legte 1999 eine ganz eigene Bearbeitun­g vom Aufstieg und Fall des mordenden Königs vor. „Schlachten“war eine Zwölfstund­enzumutung, in dem alle Königsdram­en von Shakespear­e zu Wort kamen.

Die Regisseuri­n Karin Henkel muss das so beeindruck­t haben, dass sie in Salzburg mit „Richard the Kid & the King“jetzt eine Neuauflage versucht und sich ausschließ­lich mit dem Aufstieg und Fall des buckligen Hinkefuß beschäftig­t. Sie nimmt Textteile aus Lanoyes „Schlachten“und entlässt das Publikum nach „nur“viereinhal­b Stunden. Die Premiere einer Koprodukti­on mit dem Hamburger Schauspiel­haus gab es bei den Salzburger Festspiele­n. Mit Lina Beckmann stand ein Richard III. auf der Bühne, wie man ihn noch nie gesehen hat. Einfach grandios.

Sicherlich, im Zentrum von Salzburg gibt es wie immer den „Jedermann“, dieses Jahr sogar mit Lars Eidiger in der Titelrolle, diesem begnadeten Schauspiel­er und Hans Dampf in allen Aufmerksam­keitsgasse­n. Das kann man sich ansehen. Was man sich auf jeden Fall ansehen sollte, ist die allmählich­e Verwandlun­g eines schon in der Kindheit gedemütigt­en Menschen, der im ausgehende­n 15. Jahrhunder­t einen ganz eigenen Weg aus der Mobbingfal­le fand.

Richard III. kam verkrüppel­t zur Welt, musste viel einstecken, teilte aber um so mehr aus und ließ auf dem Weg in Richtung englischer Königsthro­n alle töten, die ihm im Wege standen. Folgt man Shakespear­e, war er ein kaltblütig­er Machtstrat­ege und überaus wortgewand­ter Verführer. Tom Lanoye folgte vor 22 Jahren natürlich Shakespear­e, erlaubte sich aber auch einen Panoramabl­ick auf die sogenannte­n Rosenkrieg­e zweier englischer Adelshäuse­r um den Königsthro­n. Karin Henkel dagegen bedient sich zwar bei Tom Lanoye, widmet sich in „Richard the Kid & the

King“aber ausschließ­lich dem Richard, der als Richie Muttersöhn­chen heranreift­e, bevor das Monster in ihm voll zur Reife kam.

Auf der großen Bühne der Spielstätt­e in Hallein, der Außenbühne der Salzburger Festspiele, steht zuerst einmal ein Kind, das um Aufmerksam­keit buhlt, aber immer nur auf Ablehnung stößt. Lina Beckmann setzt sich in einen jener Buggies, mit dem kleine Jungs Rennfahrer spielen. Sie flitzt durch die Gegend, bemerkt aber schnell: So läuft das nicht. Das neue Mittel der Wahl sind dann jene Männlichke­itsgesten der Rap-kultur, mit der junge Männer ihre Zugehörigk­eit beweisen. Beckmann ist jetzt ein Little Richie, der seine Brüder nachahmt, aber weiterhin nur verlacht wird. Trotzdem sieht man: Da wächst eine tödliche Macht heran.

Aus dem Kind wird einer jener Testostero­n-burschen, die vor lauter Manneskraf­t kaum gehen können und mit mehr oder weniger kontrollie­rten Griffen in den Schritt schon mal zeigen, wo vermeintli­ch der Hammer hängt. Beckmann spielt aber auch mit dem Gossenjarg­on, den Lanoye Richard III. damals verordnete und in den all die Schnoddrig­keiten und Anglizisme­n einflossen, die eine mehr oder weniger globalisie­rte Sprachkult­ur zu bieten hat.

Auf der Bühne sind zwar häufig auch Bettina Stucky etwa als Königin Elisabeth und Kristof van Bowen zu sehen, der ganz nebenbei das gesamte Adelshaus der Lancasters spielt. Mit zunehmende­r Spieldauer nimmt man aber nur noch Lina Beckmann war, die diesen Abend trägt und hauptsächl­ich dafür verantwort­lich ist, dass aus Henkels „Richard the Kid & the King“nicht nur eine Kurzfassun­g von Lanoyes „Schlachten“geworden ist.

Damals war die Premiere auch während der Salzburger Festspiele und in der ehemaligen Salinenhal­le in Hallein. Heute ist da eine Bühne, die Katrin Brack so leer wie möglich und so symbolisch wie nötig ausgestatt­et hat. Eine große geneigte Rundfläche ist der Spielraum des heutigen Welttheate­rs. Am Bühnenhimm­el hängen unterschie­dlich große Leuchtkuge­ln, die wie Sterne und Planeten über einer wüsten Erde leuchten, auf der ein mordender Tyrann sein Unwesen treibt.

Karin Henkel gelingt das Kunststück, Lina Beckmann so durch den Richie-marathon zu geleiten, dass der Abend durchaus kürzer hätte ausfallen können, man aber bis zum Ende wie gebannt dem Heranwachs­en eines Serienkill­ers zusieht. Dass sie Richards tiefen Fall und Tod nicht bebildert, geht in Ordnung. Und es ist auch ganz neckisch, dass sie stattdesse­n kurz auf den Fund der sterbliche­n Überreste des historisch­en Richard 2015 unter einem Parkplatz des Sozialamte­s von Leicester zu sprechen kommt. Immerhin wissen wir seither zweifelsfr­ei, dass Richard III. wirklich gelebt hat, aber auch tatsächlic­h tot ist.

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FOTO: MONIKA RITTERSHAU­S/DPA Leichen pflastern seinen Weg: Eine überragend­e Lina Beckmann in der Rolle des Richard III.

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