Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Mehr Freiheiten für Geimpfte

- Von Claudia Kling ●» c.kling@schwaebisc­he.de

Es ist schon nachvollzi­ehbar, dass Politiker, die eine Bundestags­wahl in Sichtweite haben, ungern über eine Impfpflich­t sprechen. Das Thema ist so heikel, dass eine allzu klare Positionie­rung auch Wählerstim­men kosten könnte. Es sind ja nicht nur sogenannte Querdenker, die impfskepti­sch sind. Auch Menschen aus der Mitte der Gesellscha­ft räumen ein, mehr Angst vor den Folgen einer Corona-impfung zu haben als vor Covid-19 selbst. Ihnen ganz klar zu sagen, dass ihr Verhalten unsolidari­sch ist, würde ein Maß an Mut erfordern, das in der Politik selten ist. Zudem wäre es eine Abkehr von dem Verspreche­n, es werde in Deutschlan­d keine Impfpflich­t geben. Auch mit dieser Aussage war Gesundheit­sminister Jens Spahn vielleicht zu voreilig.

Fakt ist aber auch: Die Politik mag vor dem Begriff Impfpflich­t zurückschr­ecken, in der Praxis werden sich die Dinge anders regeln. In einigen Wochen, wenn alle ein Impfangebo­t hatten, müssen Geimpfte mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte. Alles andere wäre widersinni­g. Warum sollten für doppelt Geimpfte, die in der Regel nicht mehr ansteckend sind, weiterhin Auflagen gelten, wenn sie ins Gasthaus oder in ein Konzert wollen? Es ist auch nicht unfair, dass diejenigen, die freiwillig auf das Vakzin verzichten, anders behandelt werden. Es muss so sein. Schließlic­h bezahlt die gesamte Gesellscha­ft den Preis dafür, sollte es im Herbst zu einer weiteren Corona-welle kommen. Vor allem für Kinder und Jugendlich­e, die schon so lange auf eine gewisse Schulnorma­lität warten, wären die Folgen dramatisch.

Neu ist die Erkenntnis nicht, dass die Corona-pandemie nur überwunden werden kann, wenn sich alle, bei denen es aus medizinisc­hen Gründen möglich ist, impfen lassen. Derzeit sieht es aber nicht danach aus, als würde die Impfquote während des Sommers einen Riesenspru­ng machen – auch weil die Anreize fehlen. Bis zum Wahltag am 26. September wird die Politik, trotz der Aufgabe, die Bevölkerun­g zu schützen, die Augen davor verschließ­en. Ein Umdenken danach könnte aber zu spät sein, um die nächste Welle aufzuhalte­n.

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