Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Die Stadt als Schwamm
Starkregen und Hochwasser haben die städtebaulichen Fehler der Vergangenheit brutal aufgezeigt – Dabei kennen Risikoforscher und Planer längst Antworten auf die Folgen des Klimawandels
ermöglichen“, erklärt Birkmann. Der Effekt lässt sich jedoch nicht erzielen, wenn Städte, wie es oft geschieht, kleckerweise und eher unkoordiniert hier einen Grünstreifen anlegen und dort saisonal Pflanzenkübel aufstellen, wie Birkmann
betont: „Man muss sich fragen, wie sich die verschiedenen Grünzüge, Parks und Rückhaltebereiche durch eine systematische Planung miteinander vernetzen und zu einem Schwamm weiterentwickeln lassen.“
Die Schwammstadt wäre ein Paradigmenwechsel und ein Bruch mit der Vergangenheit. Vor allem in den 1950er- und 60er-jahren dienten die Fläche dem Wirtschaftswachstum und der Mobilität, Städte und Landschaften ergrauten durch exzessives Bauen. Noch immer verschwinden in Deutschland täglich 60 Hektar Erdreich unter Asphalt, Stein und Beton. „Dabei ist heute gar nicht mehr allein die Frage, ob jemand in der Stadt von A nach B kommt, sondern wie attraktiv eine Stadt ist durch qualitative hochwertige Grünräume und schattige Aufenthaltsbereiche“, sagt Birkmann. Die wassergesättigten Grünflächen der Schwammstadt verbessern das Kleinklima und erhöhen die Lebensqualität. Darüber hinaus wirken sie wie „Kühlschränke“, weil die Sonneneinstrahlung für Verdunstung sorgt, die Bäume Schatten spenden und die Temperaturen in den Häuserschluchten auf ein erträgliches Maß sinken. Die Stadt und ihre Menschen können freier atmen.
Dem Klimawandel wird damit auf vielfache Weise begegnet, als Hochwasserschutz bei Sturm und Starkregen genauso wie zu Hitzezeiten und bei extremen Temperaturen. In Chinae, das als Vorreiter der Schwammstadt gilt, weiß man schon lange um diese Vorteile. Notgedrungen durch den Klimawandel, aber vor allem durch die rasante Urbanisierung war es nötig geworden, den Wasserhaushalt der Megametropolen zu regulieren.
In Europa stieß das Prinzip zunächst in wassernahen Städten wie Kopenhagen, Göteborg oder Amsterdam auf Anklang, mit den fortschreitenden Naturphänomenen findet es auch weiter im Land Zuspruch. In Deutschland nimmt Bayern eine Vorreiterrolle ein, Anfang des Jahres präsentierte Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) den Leitfaden „Wassersensible Siedlungsentwicklung“, der sich an Kommunen und Planer richtig. Was hinter der Handreiche steckt, stellte Glauber bei der Präsentation unmissverständlich klar: „Unsere Lösung heißt Schwammstädte.“
Das Umweltministerium Badenwürttemberg reagiert auf Anfrage deutlich zurückhaltender. Das Konzept der Schwammstadt würde man zwar grundsätzlich unterstützen, heißt es. „Jedoch verfolgt man in Baden-württemberg einen ganzheitlicheren Ansatz.“Zu dem „Aspekte des Schutzes vor Wasserextremen, der Grundwasseranreicherung, natürlicher oder naturnaher Gewässerökosysteme, bis hin zur Erlebbarkeit von Wasser für die Bürgerinnen und Bürger gehören“.
Einzelne Städte haben sich trotzdem auf den Weg gemacht, so will Esslingen zur Schwammstadt werden, Initiativen und Projekte gibt es in Mannheim, Freiburg, Stuttgart und Heilbronn. Und in Winnenden entstand nach diesem Prinzip die Wohnsiedlung Arkadien, an deren Rand ein Bach verläuft, Rückhaltebecken sorgen zudem für einen langsamen Abfluss des Regenwassers. Ein Teich unterstützt das Wassermanagement und dient als Treffpunkt für die Bewohner. Das
Konzept stammt vom Ramboll Studio Dreiseitl aus Überlingen, dessen Geschäftsführer Dieter Grau in einem Fachvortrag erklärt, dass früher die Städte stets an Wasserläufen entstanden. „Brunnen gaben Strukturen, schafften Identität, stellten die Wasserversorgung sicher und hatten als Treffpunkt einen sozialen Aspekt.“Der technische Fortschritt hat diese Kultur zunehmend verdrängt, sagt Grau, und fordert ein Umdenken. „Wasser hat die gesamte Stadtstruktur bestimmt, darauf sollten wir uns wieder besinnen.“Was nicht immer leichtfällt.
Denn Wohnraum ist kostbar und zur Nachverdichtung in der Stadt gibt es keine Alternativen, das weiß auch Raumplaner Birkmann, der trotzdem von der Politik rechtliche Rahmenbedingungen und die verbindliche Planung von Grün fordert. „Mit guten Argumenten überzeugen sie keinen Investor, das Baugrundstück nicht voll auszunutzen, dazu sind die Preise zu hoch.“Deshalb sollten die Kommunen darauf pochen, dass bei Neubauten neben grauen auch blaue und grüne Flächen ausreichend Geltung erhalten.
Noch schwieriger wird dieses Farbenspiel beim Bestand, bei den Städten, wie sie sich oftmals heute präsentieren, über Jahrzehnte zugebaut, zumeist nur mit grünen Farbtupfern, also mit dem sprichwörtlichen Tropfen auf dem heißen Stein. „Jede Stadt muss eine Schwammstadt werden“, sagt daher Chris Zevenbergen, Hochwasserforscher an der Universität Delft, der „Süddeutschen Zeitung“. Allerdings, so Zevenbergen, braucht es „mindestens eine Generation, um eine existierende Stadt in eine Schwammstadt umzubauen“.
Auch Michael Eick, seit Anfang Juli Leiter der Akademie für Naturund Umweltschutz, die dem Umweltministerium Baden-württemberg angegliedert ist, spricht von einem riesigen Aufwand: „Die bestehenden Städte neu zu strukturieren, ist die größte Herausforderung.“Die Kommunen, so Eick zur „Schwäbischen Zeitung“, sollten sich jedoch fragen: „Welches sind die geringeren Kosten: Eine klimaund naturfreundliche Stadt mit hoher Lebensqualität für die Menschen. Oder sich auf das Lotteriespiel der Naturkatastrophen einzulassen und darauf zu hoffen, dass es einen nicht trifft.“Statt auf Glück zu hoffen, rät der Naturwissenschaftler den Kommunen, sich dem finanziellen, planerischen und baulichen Kraftakt einer Neuausrichtung zu stellen. Einen passenden Zeitpunkt dafür gibt es auch schon: jetzt.