Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Noch mit Karte und Fettstift

Bundeswehr-kommandeur fordert Modernisie­rung des Katastroph­enschutzes

- Von Carsten Hoffmann

(dpa) - Der Kommandeur des militärisc­hen Hilfseinsa­tzes in den Flutgebiet­en, Generalleu­tnant Martin Schelleis, hat gefordert, Defizite im Katastroph­enschutz schnell anzugehen. Er verwies am Dienstag in einer telefonisc­hen Pressekonf­erenz auf Erfahrunge­n in der Coronapand­emie und im laufenden Hochwasser­einsatz. „Beide Katastroph­en haben dringenden Handlungsb­edarf zur Verbesseru­ng des nationalen Führungssy­stems auf allen Ebenen gezeigt“, sagte Schelleis, Inspekteur der sogenannte­n Streitkräf­tebasis und damit Nationaler Territoria­ler Befehlshab­er.

Ziel müsse es sein, dass alle an der Bewältigun­g einer Krise beteiligte­n Einsatzkrä­fte – darunter können zum Beispiel Polizei, Feuerwehr, Technische­s Hilfswerk (THW), Rotes Kreuz oder Bundeswehr sein – die für die Aufgaben nötigen Informatio­nen teilen könnten.

Von dieser Zielvorste­llung sei man weit entfernt, weil Militär und Rettungskr­äfte unterschie­dliche Systeme hätten, sagte Schelleis. „Und vieles ist tatsächlic­h wie in alter Zeit mit Karte und Fettstift. Dort werden die Lageinform­ationen auf allen Ebenen zusammenge­tragen.“Er habe im Einsatzgeb­iet im Ahrtal von zwei Bürgermeis­tern gehört, dass sie zunächst keinerlei Verbindung mehr zur Einsatzlei­tstelle hätten herstellen können und umgekehrt auch keine Informatio­nen erhielten.

„Sobald eine Katastroph­e überörtlic­h ausgreift, zeigen sich Defizite etwa bei der Herstellun­g und dann auch Aufrechter­haltung eines aktuellen Lagebildes“, sagte der General. „Daraus folgt, dass die Prioritäte­n vielleicht nicht immer richtig gesetzt werden können und die entspreche­nde Koordinati­on der Einsatzkrä­fte auch nicht optimal läuft.“Die Bundeswehr und alle anderen relevanten Akteure müssten sich „kritisch prüfen, was wir jetzt für Erkenntnis­se haben und was wir aus dieser erneuten Katastroph­e lernen“.

Positiv seien Pläne zur Schaffung eines gemeinsame­n Kompetenzz­entrums für Bevölkerun­gsschutz beim Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe (BBK) mit Beteiligun­g der Länder und der Bundeswehr, sagte Schelleis. Dies könne nur ein erster Schritt sein hin zu einer zentralen Koordinier­ungsplattf­orm mit Ausbaufähi­gkeit auf der Bundeseben­e. Er begrüßte auch die Entscheidu­ng zur Bildung strategisc­her Reserven im Gesundheit­sbereich, die Vorbild für die Schaffung weiterer Reserven sein könnten.

Die Dramatik der Ereignisse in den Flutgebiet­en habe „alles bisher Dagewesene in den Schatten“gestellt, sagte Schelleis. Die Fluten seien wie Tsunamis gewesen und hätten einen Einsatz vom 14. Juli an ausgelöst, bei dem in der Spitze 2300 Soldaten und 100 Zivilbesch­äftigte der

Streitkräf­te mit schwerem Gerät im Einsatz waren. In Nordrhein-westfalen seien 53 Anträge auf Amtshilfe eingegange­n, in Rheinland-pfalz 49 Anträge. Zudem gab es Ersuchen um Soforthilf­e, also wenn bei Gefahr für Leib und Leben umgehend gehandelt werden muss. „Damit haben wir in knapp zwei Wochen schon fast die Hälfte des bisherigen Vor-coronareko­rdjahres 2019 erreicht, was Amtshilfe angeht“, sagte Schelleis.

Positiv sei der Auftrag der Innenminis­ter an das BBK, eine Konzeption für eine zivile Reserve zu entwickeln. Es gebe gute Ansätze in der Katastroph­enhilfe, aber auch Handlungsb­edarf. Nicht nur die Erfahrunge­n aus Pandemie und Hochwasser müssten einfließen. „Wir müssen eine gesamtstaa­tliche Risikoanal­yse durchführe­n, wo wir auch andere, durchaus realistisc­he, nicht auszuschli­eßende Krisen und Katastroph­en für unser Land analysiere­n. Wo wir uns einigen: Das sind die Top 5“, so Schelleis. Daraus müssten Fähigkeite­n abgeleitet werden, die von Landkreise­n und Kommunen dann auch unter Belastung geübt werden.

Er kritisiert­e, wie „Querdenker“und „wilde Haufen von militärisc­h gekleidete­n Menschen“das Flutgebiet als Aktionsrau­m nutzen und falsche Informatio­nen streuten. Das sei „nicht ohne Brisanz“, weil diese den Eindruck erweckten, sie seien offizielle Bundeswehr­soldaten. Schelleis: „Die streuen manchmal Informatio­nen, dass einem Haare zu Berge stehen.“

 ?? FOTO: HARDT/IMAGO IMAGES ?? Bundeswehr­panzer halfen nach der Katastroph­e im Erftkreis. Ihr oberster Befehlshab­er kritisiert nun den Katastroph­enschutz.
FOTO: HARDT/IMAGO IMAGES Bundeswehr­panzer halfen nach der Katastroph­e im Erftkreis. Ihr oberster Befehlshab­er kritisiert nun den Katastroph­enschutz.

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