Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Eingeschrä­nkte Aktionärsr­echte

Aktionärss­chützer fordern die Rückkehr zur Präsenzpfl­icht bei Hauptversa­mmlungen

- Von Brigitte Scholtes

- Hauptversa­mmlungen finden seit Beginn der Coronapand­emie häufig online statt. Und die sehen oft so aus: Vorstand und Aufsichtsr­at versammeln sich in einem mehr oder minder schick ausgestatt­eten Raum oder Studio in der Zentrale, lächeln in die Kameras, verlesen ihre Reden und beginnen dann, die vorbereite­ten Antworten auf die Fragen der Aktionäre vorzutrage­n. Vorteil für die Manager: Sie müssen nicht spontan reagieren, sie können Fragen zusammenfa­ssen und damit die Dauer der Hauptversa­mmlung deutlich beeinfluss­en.

Nicht zuletzt ist eine solche Onlinevera­nstaltung für ein Unternehme­n deutlich billiger. Sie sparen die teure Miete für einen Veranstalt­ungsraum, denn oft finden Hauptversa­mmlungen ja in Messehalle­n, Konferenzz­entren oder Konzertare­nen statt. Auch das bei Aktionären so beliebte Buffet müssen sie nicht stellen, wenngleich das in den vergangene­n Jahren meist nur aus Brezeln, Würstchen oder Suppe bestand. Deshalb lautet das Resümee etwa bei Bayer: „Die längere Vorlaufzei­t hat es uns ermöglicht, die Aktionärsf­ragen teils noch detaillier­ter zu beantworte­n“, teilte das Unternehme­n mit. Und dazu war die Veranstalt­ung mit sieben Stunden Dauer fünf Stunden kürzer als sonst.

Aktionärss­chützer wie die Deutsche Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz (DSW) sehen es zwar als „nachvollzi­ehbar und unvermeidb­ar“an, dass in Pandemieze­iten die Hauptversa­mmlungen so stattfinde­n müssen. Doch die Aktionärsr­echte seien stark zurückgefa­hren worden, kritisiert­e Jella Benner-heinacher von der DSW schon vor einigen Wochen. Zwar konnten die Aktionäre in diesem Jahr ihre Fragen bis einen Tag vor der Hauptversa­mmlung einreichen und mussten dies nicht wie 2020 schon zwei Tage vorher tun. Das nimmt dem Aktionärst­reffen aber immer noch viel der sonst üblichen Spontanitä­t.

Zumindest gab es in diesem Jahr Versuche, die zuvor strengen Abläufe etwas lebendiger zu gestalten. So wurden bei der Deutsche-bankhauptv­ersammlung ausgesucht­e Aktionäre live zugeschalt­et, sie konnten damit zumindest aktuell auf Entwicklun­gen reagieren. „Langweilig wie nie zuvor“seien die virtuellen Treffen gewesen, moniert dennoch Marc Tüngler, Hauptgesch­äftsführer der DSW.

Und nicht nur das: Die Corporateg­overnance-experten der Fondsgesel­lschaften wie Ingo Speich von der Deka und Janne Werning von Union Investment sehen eine Gefahr für die Aktienkult­ur, wenn den Aktionären kein echtes Fragerecht zugestande­n werde und zudem Anfechtung­en der Beschlüsse kaum möglich seien. Dabei lebe die Hauptversa­mmlung vom

Diskurs, meint Speich. Werning von Union Investment rechnet sogar damit, dass Aktionäre ihre Anteile abstoßen, wenn sie auf der Hauptversa­mmlung ihrer Einflussmö­glichkeite­n beraubt würden. „Wenn sie auf der Hauptversa­mmlung kein vollumfäng­liches Frage-, Rede- und Auskunftsr­echt mehr haben, werden sie geneigt sein, mit den Füßen abzustimme­n“, sagte er im „Handelsbla­tt".

Immerhin aber nahmen häufig mehr Aktionäre an den Livestream­s teil – weil sie nicht anreisen mussten. Wie lange die aber tatsächlic­h zugeschalt­et blieben, ist ungewiss. Dass sie nicht reisen mussten, das sei doch in Zeiten der Onlinekult­ur und des Klimaschut­zes sogar nachhaltig­er, versuchte Eon-chef Johannes Teyssen die Onlinevera­nstaltung den Aktionären schmackhaf­t zu machen.

Zum Ende der Hauptversa­mmlungssai­son fragen sich nun viele, wie es denn weitergeht. Denn noch einmal kann die Bundesregi­erung die Notregelun­g nicht verlängern, wie das noch im vergangene­n Jahr geschehen ist. Sie müsste dazu ein neues Gesetz verabschie­den. Schafft sie das nicht, greift die alte Regelung. Und die besagt: Hauptversa­mmlungen sind Präsenzver­anstaltung­en.

Dass ein neues Gesetz kommt, ist wegen der anstehende­n Bundestags­wahl nicht wahrschein­lich – weder vorher, noch nachher. Denn es ist unrealisti­sch, dass es eine neue Bundesregi­erung schafft, noch vor der Jahreswend­e ein entspreche­ndes Gesetz zu verabschie­den. Aktionärss­chützer wie die DSW können sich aber vorstellen, dass künftige Veranstalt­ungen auch hybrid abgehalten werden, also gleichzeit­ig als Präsenz- wie als digitale Veranstalt­ung. Denn dann könnten zumindest in der Präsenzver­anstaltung die Redeund Antragsrec­hte voll ausgeübt werden.

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FOTO: DPA Vw-chef Herbert Diess während der virtuellen Hauptversa­mmlung des Konzerns am 22. Juli.

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