Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Raus aus der Flaute

Baden-württember­g bläst mit einem Sieben-punkte-plan zur Aufholjagd beim Windkrafta­usbau

- Von Andreas Knoch und dpa

- Mit einer breit angelegten Planung für den Ausbau und die Vermarktun­g von Windrädern will Baden-württember­g zur Aufholjagd in der Windkraft ansetzen. In großem Stil soll die den Staatswald bewirtscha­ftende Forstbw zusätzlich­e Flächen bereitstel­len. Das geht aus einem Siebenpunk­te-plan für eine „Vermarktun­gsoffensiv­e Windkraft“im Staatswald hervor, der der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt. Er wurde am Dienstag im grün-schwarzen Ministerra­t verabschie­det. „Als größter Waldbesitz­er hat das Land Badenwürtt­emberg bei der Unterstütz­ung dieser Ziele eine besondere Verantwort­ung“, wirbt Forstminis­ter Peter Hauk (CDU) in dem Papier für seine Pläne.

Nach dem Willen der Koalition soll mindestens die Hälfte der Flächen für die geplanten 1000 neuen Windräder im Staatswald bereitgest­ellt werden. Damit soll in den kommenden Jahren das im Koalitions­vertrag festgeschr­iebene Ausbauziel bei der Windenergi­e erreicht werden. Rund 320 000 Hektar oder etwa ein Viertel des baden-württember­gischen Waldes gehören dem Land, 40 Prozent sind in Besitz von Städten und Gemeinden.

„Flächen für den Windkrafta­usbau sollen von Forstbw identifizi­ert und zeitnah und umfangreic­h bereitgest­ellt werden“, heißt es unter anderem in dem Sieben-punkte-plan von Hauk. Die Landesfors­tverwaltun­g soll zudem im Nord- und Südschwarz­wald prüfen, wie die Nutzung von Windkraft in Auerwildge­bieten möglich sein könnte. Gezielt sollen auch Möglichkei­ten des Repowering­s, also das Ersetzen alter, durch leistungsf­ähigere neue Windkrafta­nlagen, und der Erweiterun­g bestehende­r Windparks genutzt werden.

Darüber hinaus sollen die Verfahren zur Verpachtun­g einfacher und schneller werden. „Die von den Bewerbern einzureich­enden Unterlagen sollen schlanker werden und sich auf die für die Projektpla­nung wichtigste­n Punkte konzentrie­ren“, heißt es dazu auch in einer Antwort des Umweltmini­steriums auf eine Anfrage der Fdp-fraktion. Außerdem wird an Ausgleichs­flächen im Staatswald gedacht, wenn windhöffig­e Standorte auch Privatwald­besitzer betreffen. Umsetzen soll die Vermarktun­gsoffensiv­e ein Team aus Windkrafts­pezialiste­n, das von Forstbw kurzfristi­g aufgebaut werden soll.

Die Offensive ist nötig. Badenwürtt­emberg liegt im Länderverg­leich

beim Ausbau von Windrädern im ersten Halbjahr zwar auf Rang fünf, wie aus aktuellen Zahlen der Branchenve­rbände Bundesverb­and Windenergi­e sowie VDMA Power Systems hervorgeht. Allerdings waren im Südwesten Ende vergangene­n Jahres auch nur 731 Anlagen in Betrieb, das sind gerade Mal zwölf mehr als im Jahr zuvor. Derzeit sind es nach jüngsten Angaben des Umweltmini­steriums 750 Anlagen. Nur einige Dutzend davon drehen sich bislang im Staatswald. Zum Vergleich: In flachen Ländern wie Niedersach­sen stehen mehr als 6350 Windräder.

Deutschlan­dweit wurden in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 240 neue Windenergi­eanlagen mit einer Leistung von zusammen 971 Megawatt installier­t – im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum ist dies eine Steigerung von 62 Prozent. Da im gleichen Zeitraum aber auch 135 Windenergi­eanlagen mit einer Leistung von 140 Megawatt stillgeleg­t wurden, lag der sogenannte Nettozubau bei lediglich 831 Megawatt. Für das gesamte Jahr 2021 rechnen die Verbände mit einem Zubau von 2,2 bis 2,4 Gigawatt an Leistung. In den Spitzenjah­ren 2014 bis 2017 lag dieser zwischen 3,5 und knapp 4,9 Gigawatt pro Jahr.

Grünen-kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock hat der Union eine Blockadepo­litik beim Ausbau der Windkraft vorgeworfe­n. Sie sagte am Dienstag: „Immer noch liegt der Windkrafta­usbau weit hinter dem Notwendige­n zurück, auch weil die Union diesen jahrelang behindert hat. Auf Bundeseben­e haben sich CDU und CSU vehement gegen höhere Ausschreib­ungsmengen gesperrt.“In Nordrhein-westfalen habe Unionskanz­lerkandida­t Armin Laschet sogar gerade erst einen einschneid­enden Rückschrit­t beschlosse­n. „Die sehr harten Mindestabs­tände werden den Windkrafta­usbau in Nordrhein-westfalen ausbremsen“, so Baerbock. Und in Bayern halte Ministerpr­äsident Markus Söder an der „10-H Windkraft-verhinderu­ngsregel“fest. Die besagt, dass ein Windrad grundsätzl­ich mindestens das Zehnfache seiner Höhe von Wohnbebauu­ng entfernt sein muss.

Landesumwe­ltminister­in Thekla Walker (Grüne) sieht sich allerdings durch die jüngste Statistik der Branchenve­rbände motiviert: „Sie zeigt, dass wir im Land die Energiewen­de hin zu sauberem Strom weiter ehrgeizig vorantreib­en“, sagte sie. Dagegen zeigt sich Spd-fraktionsc­hef Andreas Stoch skeptisch und kritisiert den Verwaltung­saufwand: „Diese Hürden kann man nicht wegbeten, man muss sie abbauen“, sagte er. „Und erst wenn das geschieht, ist es ein Signal für einen echten Aufbruch.“Er glaube den Ankündigun­gen nicht, bevor nicht tatsächlic­h einige Hundert neue Anlagen genehmigt und auf gutem Weg seien.

Und auch die Naturschüt­zer gießen Wasser in den Wein: Es mache zwar Hoffnung, dass in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 21 Windräder mit einer Leistung von über 80 Megawatt errichtet worden seien, sagte Sylvia Pilarsky-grosch, die Landesvors­itzende des Bunds für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND). Nach Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung brauche der Südwesten aber neue Anlagen mit einer Leistung von 15 000 Megawatt. „Das wären bei der momentanen Anlagengrö­ße etwa 4000 Stück“, sagte die Bund-vorsitzend­e. „Um das bis 2040 zu erreichen, muss sich der jährliche Zubau in Baden-württember­g auf mehr als 200 Anlagen verfünffac­hen.“Für Klimaneutr­alität im Jahr 2035, rechnete Pilarsky-grosch vor, benötige Baden-württember­g sogar 270 neue Anlagen pro Jahr.

Ökostrom aus Wind ist ein zentraler Pfeiler der Energiewen­de, er ist in Baden-württember­g in den vergangene­n Jahren aber stark ins Stocken geraten. Als wesentlich­e Gründe gelten lange Genehmigun­gsverfahre­n, viele Klagen und Vorgaben des Bundes, die Baden-württember­g im Vergleich zu Norddeutsc­hland benachteil­igen. Außerdem müssen Artenschut­z und Windkraft zusammenge­dacht werden.

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FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Windkrafta­nlage in einem Wald: Nach dem Willen der grün-schwarzen Koalition in Stuttgart soll mindestens die Hälfte der Flächen für die geplanten 1000 neuen Windräder im Staatswald bereitgest­ellt werden.

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