Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Die Musik ist seine Mission

Der italienisc­he Stardirige­nt Riccardo Muti wird 80 Jahre alt

- Von Natalie Skrzypczak

(dpa) - Stardirige­nt Riccardo Muti hat die Schwermut gepackt. „Ich bin des Lebens müde“, sagte der Italiener, der heute 80 Jahre alt wird, kürzlich in einem Interview. Die Prinzipien der Kultur, mit denen er aufgewachs­en sei, sieht Muti in der heutigen Welt auf den Kopf gestellt und klagte im „Corriere della Sera“über eine sich einschleic­hende Bequemlich­keit im Dirigenten­beruf.

Anfänger hätten heutzutage oft kein langes und ernsthafte­s Studium absolviert, meinte der Maestro. Er selbst studierte erst am traditions­reichen Konservato­rium San Pietro e Majella in Neapel Klavier, am Konservato­rium in Mailand kamen später Dirigieren und Kompositio­n dazu. Sein umfangreic­hes Wissen und die langjährig­e Erfahrung bringt Muti an der nach ihm benannten Riccardo Muti Italian Opera Academy dem Dirigenten­nachwuchs näher. Zum Schutz von Schönheit und Tiefgründi­gkeit der italienisc­hen Oper sieht der Maestro dies als seine moralische Pflicht, wie es auf der Website der Akademie heißt.

Von der beklagten Müdigkeit merkt man zumindest Mutis Terminplan nichts an: In den Wochen vor seinem Geburtstag war er auf zahlreiche­n Podien unterwegs, darunter im armenische­n Jerewan, in Ravenna und Venedig in Norditalie­n sowie in Taormina auf Sizilien. Im August hat er gleich mehr Grund zum Feiern, wenn er sein 50. Salzburger Bühnenjubi­läum begeht.

Zu diesem Anlass wird Muti bei den Festspiele­n mit den Wiener Philharmon­ikern Ludwig van Beethovens „Missa solemnis“, eines der unbestritt­enen Gipfelwerk­e sakraler Musik, spielen. Während des Lockdowns bereitete er sich intensiv darauf vor. An dem Werk arbeite er seit mehr als einem halbem Jahrhunder­t, es zu dirigieren habe er sich aber bisher nicht getraut. „Es ist die Sixtinisch­e Kapelle der Musik“, sagte Muti ehrfürchti­g.

Als Dirigent arbeite man nicht für den Erfolg, betonte der Meister, den man auch „King of Verdi“nennt. „Man macht es, weil man weiß, der Beruf ist eine Mission.“Seine musikalisc­he Berufung hat den Maestro in die namhaftest­en Opernhäuse­r der Welt gebracht: Fast 20 Jahre lang (1986-2005) war er Musikdirek­tor der Mailänder Scala, die er schließlic­h in einem dramatisch­en Streit um die Intendante­nnachfolge verließ. Es folgten unter anderem Engagement­s in Salzburg, an der New Yorker Metropolit­an Opera und beim Chicago Symphony Orchestra.

Muti – der auch schon die Berliner Philharmon­iker, das London Philharmon­ic Orchestra, das Philadelph­ia Orchestra und die Wiener Philharmon­iker dirigierte – polarisier­te schon immer. Zu den größten Dirigenten der heutigen Zeit gehört er dennoch, oder gerade deshalb. Er wurde bereits „Präzisions­fanatiker“genannt. Er ist eben ein Dirigent, der mit strengem Taktstock regiert.

Über die Inszenieru­ngen von Verdis „Rigoletto“, „La Traviata“und „Il Trovatore“sagte Muti zum Beispiel einmal: „Hier werden wir uns nicht mit dem Tand zufriedeng­eben, den man in manchen Opernhäuse­rn, wo Sänger und Dirigenten keinen Respekt vor dem Notentext haben, hören kann. Wir gehen zu dem zurück, was Verdi wirklich geschriebe­n hat.“

Kaum zu glauben, dass es in der Kindheit kurzzeitig Zweifel am musikalisc­hen Talent des späteren Stardirige­nten gab. „Der kleine Riccardo ist nicht geschaffen für die Musik“, habe sein Vater gesagt, als Muti zunächst mit Gesangsübu­ngen haderte. Über eine Geige als Weihnachts­geschenk habe er als Junge sogar geweint – aber schließlic­h fand er doch noch seine Liebe zur Musik. Nur für seine Beerdigung wünscht sich der Maestro „absolute Stille“und bloß keinen Applaus, wie er betont. „Wenn jemand applaudier­t, schwöre ich, dass ich zurückkomm­e, um ihn nachts in den intimsten Momenten zu stören.“

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FOTO: HANS PUNZ/DPA Riccardo Muti bei einem Konzert 2018 in Wien.

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