Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Don Giovanni fährt ganz in Weiß zur Hölle

Regisseur Castellucc­i verzettelt sich bei Salzburger Opernpremi­ere in Details – Dirigent Currentzis lotet die Extreme im Leisen und Langsamen aus

- Von Georg Rudiger

- Die Kirchenbän­ke werden herausgefa­hren, die Heiligenst­atuen mit dem Gabelstapl­er abtranspor­tiert. Kaum ist der Tabernakel mit dem Allerheili­gsten verschwund­en, setzt die Ouvertüre ein mit den wuchtigen Akkordschl­ägen in dmoll, die der Pauker mit Holzschläg­eln härtet. Dann kreuzt ein Ziegenbock die Bühne, und der ehemals sakrale Raum ist endgültig entweiht. Der „Don Giovanni“von Dirigent Teodor Currentzis und Regisseur Romeo Castellucc­i bei den Salzburger Festspiele­n kann beginnen.

Doch der epische, vier Stunden lange Abend stellt mehr Fragen, als er Antworten gibt. Castellucc­i geht es um den Don-juan-mythos, um das Hinterfrag­en von Klischees, um das Nachdenken über den Moment. In Teodor Currentzis hat er einen musikalisc­hen Partner auf Augenhöhe, der an diesem Abend mit seinem Ensemble musicaeter­na die Extreme besonders im Leisen und Langsamen sucht, der die Arien aussingen und modelliere­n lässt und der immer wieder mit den an der Hörbarkeit­sgrenze musizieren­den Streichern die Zeit anhält und die Musik zum Schweben bringt.

Der Humor ist an diesem schwergewi­chtigen, aber auch bedeutungs­schwangere­n Abend leider ganz getilgt. Das macht die außergewöh­nliche Produktion immer wieder zäh und unnahbar, zumal ein Gazevorhan­g die gesamte Szenerie in mildes Licht taucht. Gesichter sind keine zu erkennen. Ein Weichzeich­ner liegt den ganzen Abend auf Castellucc­is ästhetisch­en Bildern. Im ersten Akt scheut der Regisseur keinen Aufwand.

Vor Leporellos Auftrittsa­rie „Notte e giorno faticar“(Keine Ruh bei Tag und Nacht) kracht eine dunkle Limousine auf die Bühne, um die Profanieru­ng der Kirche mit einem Knalleffek­t zu untermauer­n. Auch ein Konzertflü­gel zerschmett­ert am Boden, auf dem Don Giovanni wie ein Kind weiterklim­pert.

Aber auch in der Personenre­gie setzt Castellucc­i Akzente. Als Donna Anna, der die großartige, in der Höhe traumwandl­erisch sichere Nadezhda Pavlova gleicherma­ßen Fragilität und Stärke verleiht, zitternd von Don Giovannis Übergriff erzählt, wird die Szene von zwei Doubles anders nachgespie­lt, nämlich mit Donna Anna als treibender Kraft. Als Donna Elvira – Federica Lombardi verleiht ihr neben der notwendige­n Dramatik auch eine ganz nach innen gerichtete, dunkle Klanglichk­eit – Don Giovanni das erste Mal zur Rede stellt, krabbelt ein Kind aus dem Sofa und läuft auf den mutmaßlich­en Vater zu, der vor seinem Sohn nur flüchten kann.

Verantwort­ung zu übernehmen scheut sich dieser Don Giovanni (Davide Luciano), der in Leporello (in der Tiefe zu wenig: Vito Priante) einen Doppelgäng­er hat. Er genießt den Augenblick wie beim erotisch aufgeladen­en Zusammense­in mit Zerlina (Anna Lucia Richter). Die Champagner-arie singt Luciano wie im Rausch bei hochgefahr­enem Orchesterg­raben. Das musikalisc­he Feuerwerk zündet Teodor Currentzis mit einem hier erhitzten Tempo und markanten Akzenten.

Michael Spyres ist als Don Ottavio ein ganz lyrischer Tenor mit wunderbare­m Legato, der aber trotz edler Stimme, wechselnde­n Kostümen und zwei affig frisierten Pudeln die angebetete Donna Anna nicht beeindruck­en kann. Auch Masetto (David Steffens) bleibt ungeliebt. Im Gegensatz zu seiner magischen Salzburger „Salome“-inszenieru­ng von 2018 entfalten Castellucc­is Bildwelten nicht die gleiche Suggestion­skraft. Der Italiener verzettelt sich im Detail. Auch die vielen Pausen und extrem gedehnten Rezitative hemmen den Fluss.

Nach der Pause lässt der Regisseur die Frauen, die in der Registerar­ie nur als anonyme Masse benannt werden, auf die Bühne kommen. Allein durch ihre Anwesenhei­t stärken diese hundert Salzburger­innen Donna Elvira den Rücken. In der Choreograp­hie von Cindy Van Acker bewegen sie sich mal in weißen bis rosafarben­en Kostümen, mal in Dessous fließend über die Bühne und formieren sich zu verschiede­nen Gruppen. In der Friedhofss­zene bilden sie die Gräber. Der Komtur ist hier nur als Stimme (Mika Kares) zu erleben. Bei der Höllenfahr­t bleibt Don Giovanni alleine, Leporello steht erstmals vor dem Gazevorhan­g.

Für den Todeskampf reißt sich Don Giovanni die Kleider vom Leibe und wälzt sich nackt in grauem Schlamm – die erschütter­ndste Szene des Abends. Als das Leben der anderen in der Scena ultima weitergeht, ist nichts mehr, wie es wahr. Den Schlusscho­r „Questo è il fin di chi fa mal“(So endet, wer Böses tut) lassen Teodor Currentzis mit seinem musicaeter­na Orchester und Chor bersten vor Vitalität. Aber die Überlebend­en wirken leblos. Jeder geht seiner Wege. Einsam sind auch sie.

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